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VDA-Präsident Bernhard Mattes: Interview "Die Gesellschaft braucht individuelle Mobilität"

AUTO ZEITUNG
Inhalt
  1. VDA-Chef Bernhard Mattes im AUTO ZEITUNG-Interview
  2. Die deutsche Autoindustrie als Global Player
  3. Bei der IAA geht es um die Mobilität der Zukunft
  4. Trend zur Elektrifizierung macht Umbau erforderlich

Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), spricht im Interview mit der AUTO ZEITUNG über den Wandel der Automobilbranche, CO2-Grenzwerte und die Frankfurter Automesse IAA.

Herr Mattes, es gab in letzter Zeit Zweifel an der Geschlossenheit des VDA. Was ist für Sie die größte Herausforderung?

Es gibt nicht die eine Herausforderung. Vielmehr bringt die Transformation der deutschen Automobilindustrie Herausforderungen in drei Bereichen mit sich: Erstens Klimaschutz, CO2-Ziele der EU, alternative Antriebe. Zweitens Digitalisierung, Vernetzung, automatisiertes Fahren – mit Auswirkungen auf das gesamte Verkehrssystem. Drittens die globale Ausrichtung der Autoindustrie – in Zeiten von Protektionismus und Handelskonflikten. Alle diese Punkte betreffen auch den Industriestandort Deutschland. Wir diskutieren diese Fragen intensiv und erarbeiten gemeinsame Positionen. Das ist Arbeit, gelingt aber sehr gut. Daran messe ich die Geschlossenheit des Verbandes. Mehr zum Thema: Frankfurter Automesse IAA 2019

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VDA-Chef Bernhard Mattes im AUTO ZEITUNG-Interview

Wann kann in Deutschland der Dieselskandal zu den Akten gelegt werden?

Statt einer Prognose habe ich einen klaren Wunsch: Das Thema muss so schnell wie möglich vollständig geklärt und abgearbeitet werden. Die rechtlichen Verfahren müssen zum Abschluss kommen, um uns mit aller Kraft den Zukunftsthemen widmen zu können.

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Nach den aktuellen Umfragen werden in der nächsten Bundesregierung die Grünen mit dabei sein. Was bedeutet das für die Autoindustrie?

Die deutsche Automobilindustrie hat seit Gründung der Bundesrepublik mit jeder Regierungskoalition konstruktiv und zielorientiert zusammengearbeitet – übrigens auch mit Rot-Grün. Es geht stets um die Frage, wie wir gemeinsam Zukunftsaufgaben bewältigen können, wie wir Beschäftigung, Wachstum und Innovation am Industriestandort Deutschland sichern. Das ist meine Überzeugung – und das ist auch die Haltung unserer Mitgliedsunternehmen. Entscheidend ist, dass wir im Dialog mit Politik und Gesellschaft einen Grundkonsens finden: Individuelle, nachhaltige Mobilität und Klimaschutz sind notwendig für die Zukunft Deutschlands. Wir brauchen beides, nicht nur eines davon.

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Meinen Sie nicht, dass damit Tempo 130 beschlossene Sache ist?

Das Thema kommt immer mal wieder auf die Agenda. Erst kürzlich hat der Bundesverkehrsminister dazu klare Worte gefunden. Ein starres, generelles Tempolimit auf Autobahnen wäre reine Symbolpolitik – und die CO2-Einsparung wären marginal. Sinnvoll sind dagegen intelligente Verkehrsleitsysteme, die Rücksicht auf Witterung, Wetter- und Verkehrslage nehmen. Das haben wir bereits auf etlichen Strecken, das wird vom Autofahrer angenommen. Und: Deutschlands Autobahnen sind die sichersten Straßen.

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Würde ein Tempolimit der deutschen Autoindustrie schaden?

Das Label "Approved on German Autobahn" hat in vielen Ländern dieser Erde nach wie vor einen Stellenwert und ist ein Gütekriterium. Warum? Weil ein Fahrzeug, das auch bei höheren Geschwindigkeiten äußerst sicher ist, technologisch sehr anspruchsvoll sein muss. Das betrifft die gesamte Fahrwerksabstimmung inklusive Bremsen, Dämpfung, Federung. In kritischen Situationen bietet ein solches Auto zusätzliche Sicherheitsreserven und lässt sich besser handeln. Künftig steht allerdings die Aufgabe im Vordergrund, wie wir mit Digitalisierung, Vernetzung und alternativen Antrieben unsere starke Stellung im Weltmarkt halten und ausbauen.

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Die deutsche Autoindustrie als Global Player

Wie wichtig ist überhaupt der deutsche Markt für die deutsche Autoindustrie als Global Player?

Der deutsche Markt steht für 3,4 Millionen Pkw, die deutschen Konzernmarken produzieren weltweit über 16 Millionen Autos im Jahr. Aber: Deutschland ist der Markt mit den anspruchsvollsten Kunden, dem höchsten Wettbewerbsniveau und mit ausgeprägtem Premiumcharakter. Wer sich als Hersteller hier behaupten will, muss besonders gut sein und überzeugende Produkte anbieten. Wir haben einen Marktanteil von 70 Prozent.

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Auf welchen Märkten haben die deutschen Hersteller noch die größten Wachstumspotenziale?

Auf jeden Fall Asien, besonders China, auch wenn es dort aktuell einen Rückgang gibt. Doch der ist vor allem dem Handelskonflikt mit den USA geschuldet. Wir steigern unseren Marktanteil, sogar im Premiumsegment legen wir zu. Mit dem Mercosur-Freihandelsabkommen der EU kommt die Chance Südamerika hinzu – ein Markt von 3,2 Millionen Autos. In den USA wächst zudem das Light-Truck-Segment. Da wollen wir weiter Punkte machen, ebenso in Europa. Aber mittelfristig bleibt Asien der Wachstumstreiber.

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In der öffentlich wahrgenommenen Meinung heißt es, die deutsche Autoindustrie habe alles Mögliche verschlafen – Elektromobilität, Hybridtechnik, autonomes Fahren. Wie sehen Sie die deutsche Industrie global aufgestellt?

Die Diskussion wird so nur im Inland geführt, nicht weltweit. Ich halte mit Fakten dagegen: Rund jedes zweite E-Auto, das in Deutschland neu zugelassen wird, kommt von deutschen Konzernmarken. In den nächsten drei Jahren investieren unsere Unternehmen über 40 Milliarden Euro in alternative Antriebe, rund 18 Milliarden Euro in die Digitalisierung. Bis 2023 verfünffachen wir das Angebot von Modellen mit Elektroantrieb auf über 150. Das allein reicht aber nicht – wir brauchen die entsprechenden Rahmenbedingungen und einen massiven Ausbau der Ladeinfrastruktur. Notwendig sind bis zum Jahr 2030 eine Million öffentliche Ladepunkte, 100.000 Schnellladepunkte sowie mehrere Millionen private Ladepunkte.

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Wie schätzen Sie das CO2-Ziel für das nächste Jahr mit durchschnittlich 95 Gramm ein? Drohen Strafzahlungen? 

Das Ziel ist anspruchsvoll – und unsere Unternehmen tun alles, um diese weltweit ambitioniertesten Vorgaben zu erfüllen. Die 95 Gramm sind allerdings nur ein Zwischenschritt, es geht weiter, 2025 und 2030. Das sind noch gewaltige Aufgaben, die nur mit einem hohen Anteil an Elektrofahrzeugen zu stemmen sind.

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Bei der IAA geht es um die Mobilität der Zukunft

Eine andere Mammutaufgabe ist in diesem Jahr die IAA. 22 Marken sollen abgesagt haben…

Wir orientieren uns an den Unternehmen, die auf der IAA ihre Innovationen zeigen werden. Das wird sehr eindrucksvoll sein. Wir haben die IAA konsequent weiterentwickelt und auf die Zukunft ausgerichtet. Es geht nicht mehr allein um Weltpremieren – davon werden wir etliche sehen –, es geht um die Mobilität der Zukunft. Deshalb stellen wir die IAA auf vier große Säulen: Die IAA Conference bietet eine Plattform für Austausch, Dialog und Vernetzung. Damit bringen wir Hersteller, Zulieferer, Tech-Unternehmen, Start-ups und auch kritische Stimmen zum Automobil zusammen. Die IAA Exhibition steht für Modellneuheiten. Dazu gehört die New Mobility World, die kompetent mit Unternehmen aus der Tech-Szene besetzt ist. Mit der IAA Experience bieten wir einen ganzen Strauß an Erlebnismöglichkeiten, etwa E-Bikes, Offroad-Parcours oder Probefahrten. Die vierte Säule ist die IAA Career – damit offerieren wir jungen Menschen die Chance, sich aus erster Hand über Berufsbilder dieser Branche zu informieren.

Wird um das automatisierte Fahren nicht ein zu großer Hype gemacht?

Beim automatisierten Fahren kommen die Anwendungen jetzt sukzessive zum Einsatz. Autofahren wird damit noch sicherer und komfortabler. Bis zum autonomen Fahren dauert es noch länger. Erste Ansätze werden auf der Autobahn zu sehen sein, da ist die Situation weniger komplex: Es gibt keinen Quer- oder Gegenverkehr. Auch das Valet Parking, also das automatische Einfahren ins Parkhaus, steht in den Startlöchern. Mehr zum Thema: Ferngesteuertes Parken (Remote Parking) im Test

 

Trend zur Elektrifizierung macht Umbau erforderlich

Kostet der Umstieg auf die neuen Technologien wie die Elektromobilität Arbeitsplätze? 

Richtig ist, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr Teile und Komponenten haben als ein batterieelektrischer Pkw. Entsprechend werden dort mehr Menschen in der Fertigung beschäftigt. Aktuell haben wir 836.000 Mitarbeiter allein im Inland – neuer Höchststand. Die Zahl der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung ist um elf Prozent auf 126.400 gestiegen. Der Trend zur Elektrifizierung wird einen Umbau erforderlich machen. Deswegen kommt es darauf an, diesen Prozess klug, flexibel und sozialverträglich zu gestalten. Da geht es auch um Qualifizierung und Weiterbildung. Diesen Transformationsprozess haben wir aufgenommen, auch im Dialog mit Bundesregierung und Gewerkschaften. Natürlich ist das Thema Beschäftigung wichtig für den Standort Deutschland. Aber wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Es wäre zu früh, das "Lied vom Ende des Verbrenners" zu singen: Selbst wenn wir 2030 etwa zehn Millionen E-Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen haben sollten, gibt es immer noch fast 40 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotor. Außerdem: Auf vielen Märkten werden hocheffiziente Verbrenner noch lange einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

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BEV oder Brennstoffzelle, was setzt sich durch?

Vom Prinzip her bietet die Brennstoffzelle für bestimmte Anwendungen durchaus Vorteile. Das Wasserstoff-Tanken geht schneller als das elektrische Laden, die Reichweiten sind höher. Allerdings ist Wasserstoff derzeit die teuerste Antriebsart von allen – und wird weder in ausreichender Menge noch CO2-neutral erzeugt. Deshalb, und mit Blick auf das 2030-Ziel, legen wir unseren Schwerpunkt auf die batterieelektrische Antriebsart.

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