Alfa Romeo Giulia/Kia Stinger: Test Sportliche Mittelklasse-Limousinen im Vergleich
Im Test trifft die italienische Alfa Romeo Giulia auf den koreanischen Kia Stinger. Die Mittelklasse-Limousinen haben große Ambitionen und einen ebenso ambitionierten Antritt!
Gesamtbewertung (max. Punkte) | Alfa Romeo Giulia Veloce Q4 | Kia Stinger 2.0 T-GDI |
---|---|---|
Karosserie (1000) | 597 | 620 |
Fahrkomfort (1000) | 742 | 777 |
Motor/Getriebe (1000) | 601 | 552 |
Fahrdynamik (1000) | 717 | 653 |
Eigenschaftswertung (4000) | 2657 | 2602 |
Kosten/Umwelt (1000) | 290 | 328 |
Gesamtwertung (5000) | 2947 | 2930 |
Platzierung | 1 | 2 |
Alfa Romeo Giulia Veloce – das klingt schon nach der ganz großen Vorstellung. Die Italiener verstehen es einfach, sich und ihre Produkte ins Rampenlicht zu rücken. Die Giulia war 1962 der Inbegriff der modernen Sportlimousine und ist es mit der Rückkehr der Neuauflage vor gut drei Jahren erneut. Egal wo die Giulia auftaucht – die Passanten sehen in ihr einen italienischen Sportwagen, stellen die Verbindung zu Ferrari her und applaudieren innerlich. Ja, ein Alfa Romeo und vor allem die Giulia mit ihrem traditionsreichen Markenlogo über dem selbstbewusst getragenen, markanten Scudetto-Kühlergrill bekommt vom Publikum schnell Vorschusslorbeeren spendiert. Da hat es der Kia Stinger nicht ganz so leicht. Doch der Koreaner, könnte, wenn nicht das Kia-Logo seine Haube zieren würde, bei den meisten beim Schaulaufen mit dem Alfa als kleiner Maserati durchgehen. Er überrascht auf angenehm positive Weise. Und den ersten Szenenapplaus darf das Kia-Design- Team um Chefdesigner Peter Schreyer definitiv genießen. Bleibt die Frage, wie gut sich die beiden extravaganten Limousinen in den fünf Akten des Vergleichstest inszenieren. Vorhang auf für das Duell zwischen der allradgetriebenen Italienerin mit 280 PS und dem Shootingstar aus Korea mit 245 PS und Heckantrieb.
Alfa Romeo Giulia im Video:
Alfa Romeo Giulia und Kia Stinger im Test
Die Alfa Romeo Giulia erkennt man mit geschlossenen Augen. In ihr sitzt man dicht an der Tür, das Lenkrad rückt nah an die Brust, und die Beine fädeln sich perfekt in den langen Fußraum. Die Giulia ist nicht eng, sondern vielmehr auf Maß geschneidert. Und dank der großen Einstellbereiche von Sitz und Lenkrad finden hier Fahrer jedweder Statur eine gute Sitzposition. Nur das Panoramadach, dessen Einfassung die Kopffreiheit stark reduziert, kann man von der Bestellliste getrost streichen. Der Kia Stinger ist ganze vier Zentimeter flacher und bietet dennoch deutlich mehr Platz überm Scheitel. Auch zur Seite fällt die Bewegungsfreiheit etwas besser aus. Aber vor allem sitzt man noch tiefer als in der Giulia. Der Stinger wiedersetzt sich dem Trend zu hohen Sitzpositionen und vermittelt einen Hauch von Sportwagenflair. Dabei offeriert er dennoch mehr Platz als der Alfa – auch im Fond. Im Gepäckraum punktet überraschend die Giulia mit einem Ladevolumen von 480 Litern – das sind fast 80 Liter mehr, als der Kia aufnimmt. Und die hoch aufschwenkende Heckklappe des Koreaners kontert sie mit einer dreiteilig umlegbaren Fondlehne und einer Durchreiche, während sich der Stinger mit einer asymmetrisch vorlegbaren Lehne begnügt. Deutlich mehr Hingabe hat Kia der Bedienung gewidmet. Zum einem sind das Navigationssystem und die Apple CarPlay- sowie Android Auto-Funktion serienmäßig an Bord, und zum anderen folgt die Bedienung einem klar strukturierten Pfad per acht Zoll großem Touchscreen und eindeutig definierter Tasten sowie Reglern. Der Alfa Romeo Giulia ist in seiner Menüführung deutlich umständlicher. Hinzu kommt, dass das zum Serienumfang zählende Navigationssystem nur 6,5 Zoll misst und eine Handy-Integration Aufpreis kostet. Positiv: Gegenüber früheren Modellen gibt es nun eine Apple CarPlay- und Android- Funktionen, und das System läuft endlich stabil. Dass sich Alfa nicht auf seinem Markenimage ausruht, zeigt auch der immer besser werdende Qualitätseindruck der Giulia. Das reicht allerdings immer noch nicht, um dem sehr souverän verarbeiteten Kia Stinger den ersten Kapitelsieg des Tests streitig zu machen.
Fahrkomfort: Kia Stinger mit deutlichem Plus
Feinschliff bemerkt man auch bei der Fahrwerksabstimmung der Alfa Romeo Giulia. Dank adaptiver Dämpfer (1400 Euro) hat sie trotz straffer Grundnote das hölzerne Ansprechverhalten der ersten Modelle abgelegt. Das Zusammenspiel aus großen Runflat-Reifen und sportlicher Abstimmung fällt dennoch nicht so geschmeidig aus wie das Set-up des ebenfalls mit adaptiven Dämpfern ausgestatteten Koreaners. Auch bei den Sitzen spricht im Test alles für den Kia Stinger. Sie sind nicht nur einen Hauch größer, auch ihre Kontur bietet den besseren Kompromiss aus effektivem Seitenhalt und entspannter Langstreckentauglichkeit. Die Sportsitze der Giulia sind spürbar knapper geschnitten und straffer gepolstert. Das stört auf ausgedehnten, zügig gefahrenen Etappen allerdings deutlich weniger als die bei höherem Tempo schlechte Geräuschdämmung. Oberhalb von Tempo 150 tobt der Wind derart ungestüm um Seitenspiegel und A-Säule, dass man gegenüber dem leisen Stinger die Lautstärke erhöhen muss, um den Staumeldungen weiter folgen zu können.
Motor/Getriebe: Alfa Romeo Giulia überzeugt
Der große Auftritt der Alfa Romeo Giulia beginnt, wenn man ihrem Antrieb freien Lauf lässt. Als Veloce leistet der Vierzylinder-Turbobenziner 280 PS, produziert vollmundige 400 Newtonmetern und verteilt die Kraft über ein virtuos auf die Taktbefehle des Fahrers agierende Achtstufen-Automatik an alle vier Räder. Der kehlige Grundton, mit der die Giulia im Stand vor sich hinröchelt, wird unter Last vollmundig und mit steigender Drehzahl zu einer fast vergessenen Vierzylinder-Melodie, die die Italienerin in den Sechzigern berühmt gemacht hat. Der Turbomotor hat echtes südländisches Temperament, hängt gierig am Gas und surft dennoch ganz up to date elegant auf der Drehmomentwelle. Da kann der Kia Stinger mit seinem nur 245 PS starken und im Vergleichstest vor allem bei hohen Drehzahlen lustlos wirkenden sowie wie synthetisch klingenden Turbobenziner nicht mithalten. Erst beim Verbrauch übt sich der Antrieb des Alfa mit 10,5 Litern auf 100 km gegenüber dem Stinger (11,6 Liter) in Zurückhaltung.
Fahrdynamik: Keine Rankommen für den Kia Stinger
Der feinnervige Antrieb ist auch die Basis für ein vergnügliches Ausloten des Grenzbereichs: Die Alfa Romeo Giulia folgt den Lenkbefehlen ohne Verzögerung, lediglich die Leichtigkeit und die geringe Rückmeldung der Lenkung verlangen anfangs etwas Gewöhnung. Die heckbetonte Kraftverteilung verleiht der Giulia eine ausgeprägte Agilität bei gleichzeitig guter Allradtraktion. Ihr volles Potenzial kann die Italienerin dennoch nicht zeigen. Zwar reicht es, um den Kia Stinger im Test auf Abstand zu halten, aber das rigoros eingreifende ESP und die resolute Traktionskontrolle unterdrücken das dynamische Talent zu vehement. Alfa sollte zumindest eine zusätzliche freizügigere Abstimmung finden – so wie es die Konkurrenz von BMW und Mercedes und eben auch von Kia anbietet. Nur weil die Koreaner beim extrem sicher am Limit agierenden Stinger im Sportmodus die Zügel lockern und die Traktionskontrolle mehr Schlupf erlaubt, hängt er der Giulia vor allem in schnell gefahrenen Wechselkurven dicht am Stoßfänger. Enge Kehren absolviert die feurige Südländerin hingegen mit deutlich mehr Feingefühl und Tempo. Den gelungenen Schlussakkord setzt der Alfa mit der wunderbar zu dosierenden Brembo-Bremsanlage. Sowohl mit kalten als auch warmen Bremsen braucht die Sportlimousine aus Tempo 100 über einen Meter weniger bis zum Stillstand als der Koreaner.
Umwelt/Kosten: Alfa Romeo Giulia ohne Chance
Mehr Leistung, Allradantrieb und ein die glorreiche Historie lassen sich die Italiener gut bezahlen. Die Alfa Romeo Giulia Veloce Q4 kostet in der Basisausstattung bereits 52.000 Euro – inklusive der testrelevanten Extras klettert der Preis auf stolze 55.200 Euro. Der deutlich besser ausgestattete Kia Stinger steht für 44.490 Euro in der Preisliste. Mit nahezu allen Extras kostet der Asiate 49.790 Euro und bietet zudem eine siebenjährige Garantie – Kapitelsieg für den Kia.
Messwerte und technische Daten Alfa Romeo Giulia & Kia Stinger
AUTO ZEITUNG 6/2019 | Alfa Romeo Giulia Veloce Q4 | Kia Stinger 2.0 T-GDI |
---|---|---|
Technik | ||
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 4/4; Turbo | 4/4; Turbo |
Hubraum | 1995 cm³ | 1998 cm³ |
Leistung | 206 kW/280 PS | 180 kW/245 PS |
Max. Gesamtdrehmoment | 400 Nm | 353 Nm |
Getriebe/Antrieb | 8-Stufen-Automatik/Allrad | 8-Stufen-Automatik/Hinterrad |
Messwerte | ||
Leergewicht (Werk/Test) | 1530/1680 kg | 1655/1731 kg |
Beschleunigung (Test) | ||
0 - 100 km/h | 5,1 s | 6,6 s |
0 - 150 km/h | 10,6 s | 13,7 s |
Höchstgeschwindigkeit (Werk) | 240 km/h | 233 km/h |
Bremsweg aus 100 km/h kalt/warm (Test) | 36,2/35,0 m | 37,3/36,2 m |
Verbrauch (Test/WLTP) | 10,5/9,1 l S/100 km | 11,6/9,0 l S/100 km |
CO2-Ausstoß (Test/EU) | 249/205 g/km | 275/204 g/km |
Preise | ||
Grundpreis | 52.000 Euro | 44.490 Euro |
Testwagenpreis | 55.200 Euro | 49.790 Euro |
Die Alfa Romeo Giulia Veloce Q4 setzt sich in diesem Test dank ihres großartigen Antriebs und des leichtfüßigen, wenn auch vom ESP zu stark reglementierten Handlings an die Spitze. So kann sie bei Komfort und Preisgestaltung dem Kia Stinger 2.0 T-GDI den Szenenapplaus überlassen. Der geringe Punkteabstand zeigt aber, dass sich die Italiener nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen können und ihr Modell konsequent weiterentwickeln müssen – wie in puncto Multimediaaustattung und Sicherheitsausstattung bereits geschehen.