Van Tourer 600 L (2023): Erste Testfahrt
Dieser Ducato ist ein Trick-Kasten
Auf den ersten Blick ist der Van Tourer 600 L (2023) ein wohnlicher Sechs-Meter-Ducato wie alle anderen auch. Doch in den Details setzt er sich von vielen Wettbewerbern ab. Und manche Lösungen sind sogar richtig genial, wie die erste Testfahrt zeigt.
Erste Testfahrt mit dem Van Tourer 600 L (2023)
Die erste Begegnung mit dem Van Tourer 600 L (2023) fühlt sich ein bisschen nach der Saison 2015 an. Wer damals einen Sechs-Meter-Kastenwagen wollte, saß mit der Vorhersehbarkeit des Ferienbeginns in einem weißen Fiat Ducato. Heute hat sich das mit den Lieferengpässen im Stellantis-Konzern geändert, in fast allen Modellprogrammen macht sich inzwischen der Ford Transit breit. Die Marke Van Tourer dagegen bietet ihre kompakten Camper noch immer prinzipiell auf Fiat-Basis an. Das muss kein Fehler sein, denn der Ducato der Serie 8 fährt sich kultivierter als alle seine Vorgänger. Und auch ein Van Tourer von 2023 ist natürlich ein ganz anderes Reisemobil als sein Vorgänger von 2015.
Wir betrachten das gleich näher, aber erst einmal erklären wir, was das für eine Marke ist. Ein Hersteller im klassischen Sinn ist Van Tourer nämlich nicht. Hinter dem Label steht Inter Caravaning, nach eigenen Angaben die größte Caravaning-Kette Europas. Zu ihr gehören über 45 Händler in den DACH-Ländern sowie in Dänemark, Italien und Spanien. Gemeinsam verkaufen sie so viele Campervans, dass sich eine eigene Hausmarke lohnt. Um die Produktion kümmert sich Knaus, deren Modellprogramm eine Vielzahl eigener Kastenwagen enthält. Allerdings kleben sie bei Knaus nicht einfach nur andere Dekorfolien aufs Blech der Van Tourer, sondern produzieren eine Kastenwagen-Serie mit eigenen Ausstattungs- und Designmerkmalen. Die Positionen auf dem Markt ähneln sich natürlich, Knaus und Van Tourer sind gemeinsam in der gehobenen Mittelklasse unterwegs. Und die Formate sind die gleichen, aber das liegt natürlich am Ducato, der die Längen von 5,40, 5,99 oder 6,36 Metern vorgibt. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
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600 L: Wohnmobil mit Längsbett und viel Stauraum
Den Van Tourer der Sechs-Meter-Klasse gibt es wahlweise mit Querbett, dann ist es ein 600 D, oder mit Längsbett, dann heißt er 600 L wie unser Testwagen. Und schon hier unterscheidet er sich von vielen Wettbewerbern, denn die hintere Liegefläche fällt mit einer Länge von maximal zwei Metern und einer Breite von 1,80 Metern äußerst großzügig aus. Zudem lässt sich das dreiteilige Bett am Kopf- und Fußende aufstellen, was hinten Platz für Fahrräder schafft und vorn eine Art Sofafunktion ermöglicht. Die Lehne ist zwar nicht hoch, doch die Passagier:innen liegen bequem wie auf einer Recamiere. Und wenn sich vor den hinteren Flügeltüren gerade kein Meer wellt, lässt sich im kleinen, trapezförmigen Regal unterm Dach ein Tablet-PC zum Filmegucken aufstellen.
Auch der Blick unters Bett lohnt sich, denn da ist außergewöhnlich viel Platz fürs Gepäck. Der 1,58 Meter tiefe und bis zu 1,70 Meter breite Stauraum ist gleich mehreren Kunstgriffen zu verdanken. Oft nimmt der Frischwassertank viel Platz im Heck weg, doch Van Tourer hat den Behälter flach gemacht und am Fahrzeugboden montiert. Eine spezielle Isolierung schützt ihn vor Frost und Materialermüdung, so verspricht es zumindest der Prospekt. Auch einen Gasflaschen-Kasten im eigentlichen Sinn gibt es im Van Tourer nicht, weil er ausschließlich mit Dieselheizung zu haben ist. Bleibt eine Dreiliter-Gasflasche zum Kochen, aber die nimmt im schmalen Geschränk nicht viel Platz in Anspruch.
Die Großzügigkeit im Heck müssen die Raumplaner:innen woanders wieder einsparen, das ist so sicher wie die Mittagsruhe auf dem Campingplatz. Beim Van Tourer fehlen die Zentimeter rund um den Esstisch, der vor Antritt der Fahrt ausgebaut und unterm Bett verstaut werden muss, weil es bei zurückgeschobenem Fahrersitz sonst zu knapp für die Mitfahrenden auf der Sitzbank wird. Das stört nicht, wenn es sich um kleine Fahrgäste handelt, doch für vier stämmige Erwachsene wird es in der Dinette knapp. Der Esstisch ist dafür recht groß und erweiterbar. Clever gedacht ist zudem die Sitzbank mit ihren auseinanderschiebbaren Hälften. Auch sonst gibt sich der Wohnraum des Van Tourer bei der ersten Testfahrt gar nicht kleinlich.
Clevere Dusche im Ducato-Wohnmobil
Wer beispielsweise nicht klarkommt mit den Micro-Nasszellen vieler Campervans, kann hier zum glücklichen Vielduscher werden. Im Normalzustand ist das Bad auch im Van Tourer 600 L (2023) klein, doch es lässt sich mit wenigen Handgriffen von 70 auf 120 Zentimeter Raumtiefe vergrößern. Es reicht, die Sperrklinke zu lösen und die faltbare Außenwand an der Dachleiste des gegenüberliegenden Hochschranks zu arretieren. Die andere Hälfte der Dusche lässt sich mit einem Vorhang verschließen. Damit die Duschtasse im Durchgang des Campers nicht stört, kann man sie mit einer Platte im Dekor des Fußbodens abdecken. Beim Duschen verschwindet die Abdeckung in einem Fach unterm Bett. Überhaupt zeigt das Bad sehr schön, wie sie die Dinge bei Van Tourer zu Ende denken. Die Dusche hat drei Abläufe, es gibt jede Menge Stauraum, gleich zwei Spiegel und neben dem Waschbecken noch eine Ablagemulde für nasse Waschlappen oder Bikinis. Der gegenüberliegende Küchenblock entspricht dagegen dem Klassenstandard mit zwei Kochstellen, drei Schubladen, Edelstahlspüle und Klappbrett zur Erweiterung der Arbeitsfläche. Ein praktisches Detail ist der schmale Kleiderschrank auf der rechten Seite, dessen Oberfläche sich als Anrichte nützlich macht.
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Aufstelldach gegen Aufpreis
Bis hierhin gehört alles zur Serienausstattung des Van Tourer, doch zur Unterkunft für vier Reisende wird er erst mit dem Aufstelldach für 5690 Euro extra. Das ist viel Geld, aber auch eine Investition, die sich für Familien lohnt, weil es da oben kein bisschen frugal zugeht. Das Obergeschoss ploppt nach dem Öffnen zweier Drehverschlüsse und Lösen zweier Gurte in weniger als 30 Sekunden auf, es bietet eine Liegefläche von 2,00 auf 1,30 Meter und ein üppiges Raumgefühl mit fast einem Meter maximaler Kopffreiheit. Die Matratze liegt zwar auf einer GFK-Platte ohne Lattenrost, trotzdem ruht man darauf sehr komfortabel. Die Stirnfläche und die Seiten des Dachzelts lassen sich im Sommer öffnen, für den Winter gibt es eine eigene Heizdüse, die aus dem Erdgeschoss nach oben führt. Für die Beleuchtung sorgen wahlweise eine umlaufende LED-Lichtleiste und zwei Lesespots mit USB-Anschlüssen. Und sogar an eine eigene Dachluke haben sie bei Van Tourer gedacht.
Kein Virtuose beim Federungskomforf
Es lebt und reist sich gut in diesem Sechs-Meter-Camper, was nicht zuletzt am Altmeister Ducato liegt. Der ist mit seinem 140-PS-Turbodiesel (Aufpreis 1090 Euro) und der mitteilsamen E-Lenkung noch immer ein vitaler, handlicher Reisebegleiter, auch wenn er in diesem Leben, wie die Testfahrt zeigt, wohl kein Virtuose des feinen Federungskomforts mehr wird. Ansonsten gibt es nur den Preis des Van Tourer zu beweinen, denn natürlich hat auch er die Anpassungen der vergangenen Jahre mitgemacht. Mit Klappdach und dem unverzichtbaren Comfortpaket (3490 Euro) reißt er locker die 70.000-Euro-Grenze. Das ist er aber wert, zumal auch die Machart der Möbel und die Knisterfreiheit des Aufbaus zum gehobenen Anspruch passen. Und die Wettbewerber machen es auch nicht mehr günstiger. Was zeigt, dass im Nice-Price-Jahr 2015 nicht alles schlecht war.
Preis & technische Daten des Van Tourer 600 L (2023)
AUTO ZEITUNG 09/2023 | Van Tourer 600 L |
Technische Daten | |
Motor | 4-Zylinder Turbodiesel ; 2184 cm³ |
Getriebe/Antrieb | Sechsgang-Schaltgetriebe; Vorderrad |
Leistung | 103 kW/140 PS bei 3500 /min |
Max. Drehmoment | 350 Nm bei 1400 /min |
Karosserie | |
Außenmaße (L/B/H) | 5998/2050/2780 mm |
Leergewicht/Zuladung | 2864/636 kg |
Sitz-/Schlafplätze | 4/4 |
Ausstattung | |
Herd/Heizung | 2 Flammenkocher/Truma Combi 6 |
Gas | 1 x 3 kg |
Frisch-/Abwasser | 100/85 l |
Kaufinformationen | |
Basispreis | 62.890 € |
Jeder kompakte Campervan ist ein Kompromiss, doch beim Van Tourer nervt er nicht: Der 600 L bietet ein großes Heckbett, viel Raum fürs Gepäck und ein luftiges Bad, während die Dinette eher knapp geschnitten ist. Das stört aber nur im Familienmodus und außerhalb der Freiluft-Saison. Ansonsten sammelt der Van Tourer bei der ersten Testfahrt viele Sympathiepunkte mit seinen aufmerksamen Details, zu denen auch das praxisnah ausgestattete Aufstelldach gehört.