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BMW gegen VW: Kampf um Rolls-Royce/Bentley

Die Schlacht um Emily

Markus Bach Chefredakteur Crossmedia
Inhalt
  1. BMW gegen VW: Duell um Bentley und Rolls-Royce
  2. VW zahlt Vickers mehr als BMW
  3. Politik muss Streit um Rolls-Royce schlichten
  4. VW bekommt Bentley statt Rolls-Royce
  5. Die Verkäufer
  6. Gegner werden zu Partnern

1998 gerieten zwei Schwergewichte aneinander: BMW und VW kämpften um den Besitz von Rolls-Royce und Bentley. Wir verraten, was den Wirtschaftskrimi damals wirklich entschied!

 

BMW gegen VW: Duell um Bentley und Rolls-Royce

Vorhang auf für ein episches Duell: auf der einen Seite der machtbewusste Ferdinand Piëch, der gerade als Vorstandsvorsitzender den VW-Konzern aus einer schweren Krise herausgeführt hatte – der Porsche-Enkel, der auf Automessen den großen Auftritt suchte und mit kurzen, schneidenden Bemerkungen gern die gesamte Branche in Aufruhr versetzte. Auf der anderen Seite Bernd Pischetsrieder, einer der Unauffälligen unter Deutschlands Spitzenmanagern. Der Großneffe des Mini-Erfinders Alec Issigonis hatte als Vorstandsvorsitzender bei BMW die Rover-Übernahme eingefädelt, die sich zum Zeitpunkt des Duells immer mehr als Fehler erwies.

Auf Konzernseite trat 1998 David gegen Goliath an: VW war der größte Autobauer Europas und verkaufte 4,75 Mio. Neuwagen im Jahr. Dagegen kam BMW trotz der Übernahme von Rover nur auf ein Viertel des VW-Absatzes und lieferte lediglich 1,19 Mio. Autos aus. Zudem erwirtschaftete VW mit 3,2 Mrd. Euro fast dreimal so viel Gewinn wie die Münchner:innen mit 1,1 Mrd. Euro. Nun zum Preis für den Sieger des Duells: Rolls-Royce. Es ging also um die luxuriöseste Automarke der Welt, das Kronjuwel der britischen Autoindustrie. Zu Beginn der 1990er-Jahre hatte nur noch Coca-Cola eine weltweit größere Bekanntheit. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg galten die Fahrzeuge mit dem Doppel-R im Logo als die besten Autos der Welt. Auf ihren imposanten Motorhauben thronte die "Spirit of Ecstasy". Der "Geist der Verzückung" wird von einer Frau mit einem im Wind wehenden Tuch symbolisiert, von Fans der Marke liebevoll Emily genannt.

Zu Beginn des Jahres 1998 war von einer Schlacht um eben diese Frau jedoch noch nichts zu sehen. Die Sache schien klar: Nach dem Kauf von Rover vier Jahre zuvor wollte Pischetsrieder nun einen weiteren britischen Autohersteller übernehmen. Mit dem Rüstungskonzern Vickers, dem Eigentümer der Rolls-Royce-Autosparte, war sich BMW über einen Verkauf einig. Die Beziehungen zwischen München und Crewe waren in den letzten Jahren stetig gewachsen: So nutzte das neueste Modell der britischen Marke, der Rolls-Royce Silver Seraph, den V12-Motor aus dem BMW 7er. Auch der Bentley Arnage, die Marke gehörte seit 1931 zu Rolls-Royce, griff auf ein Triebwerk von BMW zurück, den M62 V8-Benziner. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon

Leslie & Cars fährt den Rolls-Royce Cullinan Black Badge (2019) im Video:

 
 

VW zahlt Vickers mehr als BMW

Doch die BMW-Manager hatten nicht mit Ferdinand Piëch gerechnet. Der VW-Chef war nach der erfolgreichen Sanierung des Konzerns dabei, sich ein Portfolio von Luxusmarken zusammenzukaufen: 1998 hatte VW bereits Lamborghini sowie Bugatti erworben. Nun sollte Rolls-Royce die Krönung sein. Während alle Welt davon ausging, dass die britische Marke von BMW gekauft würden, machte Piëch den Aktionär:innen des Vickers-Konzerns ein deutlich attraktiveres Angebot: Bot die Münchner Marke umgerechnet 580 Mio. Euro, lockte er mit 730 Mio. Euro. Dem konnten die Investor:innen nicht widerstehen: So kaufte VW Rolls-Royce und Bentley, das Werk in Crewe sowie alle Designrechte mitsamt der Kühlerfigur "Spirit of Ecstasy". Mit seiner Aktion nahm Piëch das Risiko in Kauf, innerhalb weniger Jahre einen zweiten Autokrieg vom Zaun zu brechen: Erst im Januar 1997 hatte ein millionenschwerer Vergleich die langjährigen Auseinandersetzungen zwischen VW und Opel um den Kostenkiller José Ignacio López beendet. Nun also VW gegen BMW.

Was Piëchs Manager bei ihrem Handstreich jedoch übersahen: Nicht Vickers, sondern der Triebwerksbauer Rolls-Royce Holdings hielt die Markenrechte an dem Namen sowie am Logo mit Doppel-R. Beides nutzte Vickers nur in Lizenz (siehe Kapitel "Die Verkäufer" unten). Und Rolls-Royce Holdings dachte gar nicht daran, diese Rechte an VW zu verkaufen. Denn die Brit:innen produzierten zusammen mit BMW Strahltriebwerke für Business- und kleine Linienflugzeuge. Dieses Kerngeschäft wollte man nicht durch Verstimmungen gefährden. Und BMW? "Wir waren entschlossen, die Namensrechte nicht einfach so an VW abzugeben", äußerte sich Pischetsrieder. So verkaufte Rolls-Royce Holdings die Rechte für rund 60 Mio. Euro an die Münchner Marke. Ferdinand Piëch hatte zwar Emily erobert, durfte seine Autos aber nicht mehr Rolls-Royce nennen. Diese Pattsituation fasste er später so zusammen: "Keiner von uns hätte einen Rolls-Royce bauen können."

 

Politik muss Streit um Rolls-Royce schlichten

Doch das Strategieteam von VW unterschätzte BMW noch in einem weiteren Punkt: Der technische Kooperationsvertrag der Münchner Marke mit Rolls-Royce enthielt eine zwölfmonatige Kündigungsfrist, sollte der britische Autobauer verkauft werden. Bernd Pischetsrieder saß also am längeren Hebel und reagierte daher gelassen auf den Verkaufscoup von Piëch. Auf die Frage, ob BMW das VW-Angebot für Rolls-Royce bei Vickers noch einmal überbieten wolle, antwortete er: "Das Thema ist für mich erledigt." Stattdessen spielte Pischetsrieder seine zweite Trumpfkarte aus: BMW kündigte den Liefervertrag für Motoren und Getriebe. Rolls-Royce stand plötzlich ohne Antrieb da. Kein Problem, beruhigte Piëch: "Wir haben Zwölfzylinder-Motoren, die in acht Monaten in Rolls-Royce und Bentley eingebaut werden können." Das war sehr optimistisch formuliert, denn ein V12 fehlte im VW-Konzern. Zwar entwickelte VW einen W12-Motor, der auf zwei VR6-Triebwerken basierte. Doch dieser befand sich noch in der Konzeptionsphase, er ging erst drei Jahre später bei Audi in Serie. Kein Wunder, dass das Ingenieursteam in Ingolstadt nach der Aussage ihres Chefs schon das Schlimmste befürchtete. Dort kursierte über Piëch seit seiner Zeit als Audi-Vorsitzender der abgewandelte Werbespruch "Vorsprung durch Hektik".

Ohne V12 hätte Rolls-Royce auf den V8 aus dem Audi A8 ausweichen müssen. Doch auch das war nur theoretisch möglich: Die Technik von BMW war zu tief in die aktuelle Fahrzeuggeneration der britischen Marke integriert. VW hätte zunächst komplett neue Modelle entwickeln müssen. Und das hätte mindestens vier, eher fünf Jahre ohne Verkäufe bedeutet. Ferdinand Piëch war bewusst, dass er das den VW-Aktionär:innen nicht vermitteln konnte. Klein beigeben wollte der selbstbewusste Österreicher jedoch nicht. Allerdings standen seine Chancen auch im Kampf um die Namensrechte nicht gut: Analyst:innen rechneten mit einem jahrelangen Rechtsstreit. So hatte der Verkäufer Vickers bereits die Europäische Kommission zur Klärung der Markenrechte an Rolls-Royce angerufen. Der Triebwerksbauer Rolls-Royce Holdings hielt dagegen daran fest, den Namen nur in Lizenz an den Rüstungskonzern vergeben zu haben.

Ein weiterer Autokrieg nach der Schlammschlacht zwischen VW und Opel schien nicht mehr abwendbar zu sein. Eine solche Auseinandersetzung hätte das gute Image der deutschen Autoindustrie im Ausland und damit den Standort Deutschland gefährdet. Schließlich intervenierte die Politik: BMW bat den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber um Hilfe. Dieser sprach mit seinem Amtskollegen Gerhard Schröder. Als Regierungschef des Landes Niedersachsen, das mit 19 Prozent damals größter Anteilseigner von VW war, saß Schröder im Aufsichtsrat des Konzerns. Und der kommende Bundeskanzler schaffte es, Ferdinand Piëch zu einer Verhandlungslösung zu bewegen. Danach ging alles sehr schnell: Den Hausjurist:innen in Wolfsburg und München gelang es, die verworrenen Besitzansprüche klar zu trennen. Piëch verzichtete auf lange Sicht auf die Marke Rolls-Royce und durfte diese nur für fünf Jahre behalten: 2003 ging die Marke mit allen Rechten vollständig an BMW. VW bekam dagegen Bentley sowie das Werk in Crewe. "Ich hätte es vorgezogen, beide Marken zu behalten, aber ich bin zufrieden", äußerte sich Piëch versöhnlich.

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VW bekommt Bentley statt Rolls-Royce

Trotzdem war es für ihn eine Niederlage, er musste Emily ziehen lassen. Die Marke Bentley hätte er einzeln deutlich günstiger bekommen können. Zudem war BMW mit Rolls-Royce nun in der Lage, ab 2003 einen kompletten Neustart hinzulegen. Dafür errichtete die Münchner Marke ein modernes Autowerk auf der grünen Wiese in Goodwood. VW musste dagegen das alte Stammwerk in Crewe mit weiteren Investitionen kräftig modernisieren. Über 800 Mio. Euro steckten die Wolfsburger:innen in den nächsten Jahren in ihre Neuerwerbung. Bernd Pischetsrieder konnte sich neben Emily auch über einen neuen Kunden freuen, denn die Preise für die Motorenlieferungen von BMW an VW für Rolls-Royce und Bentley wurden in den Verträgen bis 2002 festgeschrieben. Ferdinand Piëch war jedoch schon dabei, seine Niederlage in einen Sieg umzumünzen: "Wir wollten in erster Linie nur Bentley." Immerhin entfielen 70 Prozent der Verkäufe auf die sportlichere der beiden Marken. Der Österreicher gab das ehrgeizige Ziel aus, den Absatz von Bentley zu verzehnfachen: Die Brit:innen sollten jährlich über 10.000 Neuwagen verkaufen. Dafür konnte Bentley auf die gesamten Ressourcen des VW-Konzerns zurückgreifen.

So enthielt der 2003 präsentierte Continental GT, der erste unter VW-Regie entwickelte Bentley, alles, was an Technik im Konzern neu und teuer war: Das luxuriöse Coupé basierte auf der D-Plattform des Konzerns, die sonst nur noch von den Spitzenmodellen Audi A8 und VW Phaeton genutzt wurde. Unter der Haube setzte Piëch seine 1998 geäußerte Ansage in die Realität um und verpasste dem Briten den neu entwickelten W12-Motor samt Biturbo-Aufladung. Zudem bekam der Continental GT Luftfederung und Allradantrieb aus dem VW-Technik-Schatzkästchen. Das Hauptproblem von Bentley ließ sich damit allerdings nicht beseitigen: die gegenüber Rolls-Royce mangelnde Bekanntheit. Doch auch hierfür ließ Piëch eine Lösung entwickeln: Die Marketing-Strateg:innen des Konzerns besannen sich auf die sportlichen Erfolge aus den Anfangsjahren von Bentley, pikanterweise noch vor der Übernahme durch Rolls-Royce im Jahr 1931. Damals eilten die sogenannten "Bentley Boys" mit ihren Rennwagen bei den 24 Stunden von Le Mans von Sieg zu Sieg: Ab 1927 gelangen vier Triumphe in Folge.

Ein weiterer Le Mans-Sieg musste also her. Dafür durfte Bentley auf Basis des bereits an der Sarthe siegreichen Audi R8 einen Rennwagen aufbauen. Nach zwei Testanläufen trat der Bentley Speed 8 im Jahr 2003 als Favorit an. Neben der Technik bekamen die Brit:innen von Audi auch die Unterstützung des Rennteams sowie von zwei Werksfahrern der Ingolstädter Marke. Wie von Piëch geplant gelang ein Doppelsieg, Bentley hatte sich endgültig von Rolls-Royce emanzipiert. Kein Wunder, dass auch die Verkaufszahlen anstiegen: 2015 verkaufte Bentley weltweit 10.110 Fahrzeuge. Damit hatte Piëch sein Ziel erreicht. Zu diesem Zeitpunkt war Bentley auch endlich finanziell in der Gewinnzone angelangt: 2015 trugen die Brit:innen 110 Mio. Euro zur VW-Konzernbilanz bei. Und was wurde aus Emily? Rolls-Royce gelang der technische Neustart auf der grünen Wiese unter BMW-Regie. Mit dem 2003 startenden Phantom VII positionierten die Münchner:innen die britische Marke deutlich nach oben, er knüpfte nicht nur dem Namen nach an die großen Repräsentations-Limousinen von Rolls-Royce an. Der Gewinner Bernd Pischetsrieder saß zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr in München auf dem Chefsessel, sondern in Wolfsburg (siehe Kapitel: "Gegner werden zu Partnern"). Größere Stückzahlen erreichte Rolls-Royce dann mit dem Ghost, der 2009 auf den Markt kam. Schließlich gelang es im Vorjahr auch der Marke mit dem Doppel-R, ihre Verkäufe seit 1998 zu verzehnfachen. Die Schlacht um Emily hatte langfristig gesehen also zwei Sieger.

 

Die Verkäufer

Der Schlüssel für den Sieg in der Schlacht um Rolls-Royce liegt in der verworrenen Besitzstruktur verborgen. Um diese zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte der Marke. Schon kurz nach deren Gründung im Jahr 1906 versuchte Charles Rolls, die anderen Gesellschafter vom Bau eines Flugzeugmotors zu begeistern. Zu seiner Enttäuschung lehnten sie jedoch ab. So dauerte es bis 1915, bis Rolls-Royce im Ersten Weltkrieg sein erstes Flugzeugtriebwerk konstruierte. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Marke zu einem der erfolgreichsten Flugzeugmotor-Produzenten auf und bewältigte auch den Übergang von Propellern zu Strahltriebwerken. Das ebenfalls florierende Geschäft mit Luxuskarossen machte bald nur noch einen kleineren Teil des Unternehmens aus. Und das, obwohl man 1931 zusätzlich die Automarke Bentley übernommen hatte. Doch 1971 gerieten die Entwicklungskosten für die neue Strahltriebwerks-Generation außer Kontrolle, Rolls-Royce stand kurz vor dem Ruin und wurde verstaatlicht. Zwei Jahre später spaltete die britische Regierung den Autobauer ab, da den Wähler:innen die Produktion von Luxusautos auf Staatskosten nicht zu vermitteln war. Mit Erfolg für den 1987 wieder privatisierten Triebwerkshersteller: Dieser ist unter dem Namen Rolls-Royce Holdings heute der zweitgrößte Anbieter auf dem Weltmarkt.

Der Autohersteller wurde dagegen 1980 vom britischen Rüstungskonzern Vickers übernommen. Dieser bekam die Fabrik in Crewe, Bentley sowie alle Designrechte von Rolls-Royce, also auch die an der Kühlerfigur "Spirit of Ecstasy", von Fans liebevoll Emily genannt. Da der Triebwerkshersteller den berühmten Namen und das Logo mit dem Doppel-R weiter nutzte, behielt dieser die Eigentumsrechte daran. Vickers bekam nur eine Lizenz zur Nutzung auf den Fahrzeugen. Genau dieser Fakt wurde 1998 zu einem entscheidenden Argument in der Schlacht um Rolls-Royce, als sich Vickers entschloss, den Autohersteller an VW zu verkaufen. Ironie des Schicksals: Nach dem Ende des Kalten Krieges geriet der Rüstungskonzern Vickers selbst in wirtschaftliche Schieflage und wurde 1999 ausgerechnet von Rolls-Royce Holdings übernommen. Der Triebwerkshersteller war jedoch nur an der Sparte für Schiffsantriebe interessiert und verkaufte die Rüstungsabteilungen an den britischen Alvis-Konzern. Zu diesem Zeitpunkt war die Schlacht um Rolls-Royce jedoch schon längst entschieden.

 

Gegner werden zu Partnern

Aus Geringschätzung wurde Respekt: Nach der Auseinandersetzung um Rolls-Royce hielt Ferdinand Piëch große Stücke auf BMW, vor allem auf dessen Chef Bernd Pischetsrieder. Dieser konnte sich jedoch nur kurz über Emily freuen. Bereits 1999 musste er die Münchner Marke verlassen, die von ihm eingefädelte Rover-Übernahme hatte sich zum Debakel entwickelt. Piëch holte ihn kurzerhand in den VW-Konzern und machte Pischetsrieder zum Vorstandsvorsitzenden von Seat. Drei Jahre später empfahl der Österreicher ihn sogar als seinen Nachfolger als VW-Chef. Von 2002 bis 2006 leitete Pischetsrieder den Konzern, bis es zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und Piëch kam, der inzwischen dem Aufsichtsrat vorsaß: Pischetsrieder hatte sich getraut, zu viele Entscheidungen seines Vorgängers zu revidieren.

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