Neuer Rimac Nevera (2021): Erste Testfahrt
Einblick in Rimacs Traumfabrik
Vom Garagen-Tüftler zur Avantgarde des vollelektrischen Sportwagenbaus: Die AUTO ZEITUNG schaut hinter die Kulissen bei Rimac und unternimmt eine Testfahrt im Rimac Nevera (2021).
Nicht nur der neue Rimac Nevera (2021) aus unserer ersten Testfahrt ist jung. Wenn wir uns die kreativen Köpfe in Rimacs Traumfabrik so ansehen, ist auch der erste Eindruck: Sind die alle jung! – Mit seinen 34 Jahren ist Mate Rimac, der Gründer und CEO des kroatischen Elektro-Shooting Stars Rimac, älter als viele seiner Mitarbeitenden. Und das Team wirkt trotz seiner Jugend und der riesigen Herausforderungen unfassbar cool: "Wir kommen mit Stress eben gut klar", sagt Chefingenieur Matija Renić, 31 Jahre alt, und grinst, während er uns durch die makellose Werkshalle führt, in der konzentriert, ruhig und präzise gearbeitet wird.
Auf einer Linie fertigt Rimac den Nevera, auf der anderen den technisch eng verwandten Pininfarina Battista. "Rimac Automobili" ist eine Hälfte des Joint-Ventures Bugatti-Rimac, seit die beiden Unternehmen im Herbst 2021 offiziell zusammengelegt wurden. Eigentlich müsste Matija Renić ja am vollelektrischen Nachfolger des Bugatti Chiron arbeiten, aber heute ist er unser Guide: "Ich habe bei Rimac angefangen, als das Unternehmen etwa 80 Mitarbeiter hatte. Wir konnten damals das gesamte Ingenieurteam in einem Raum unterbringen." Heute sind es rund 1700, allein im letzten Jahr hat Rimac fast 700 Menschen neu eingestellt. Da Rimac stetig expandiert und die Nachfrage am neuen Rimac Nevera steigt, bezog das Unternehmen im Oktober 2021 seinen neuesten Standort in Sveta Nedelja westlich von Zagreb. Auch interessant: Unsere Produktipps auf Amazon
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Vor der ersten Testfahrt im Rimac Nevera (2021) kommt die Werksbesichtigung
Bevor wir zur ersten Testfahrt in den neuen Rimac Nevera (2021) einsteigen, geht die Werkstour weiter. Das ehemalige Lager einer Baumarktkette wurde umfassend überarbeitet und bietet nun in den oberen Etagen ein Silicon-Valley-Start-up-Flair mit Besprechungsräumen zwischen Glaswänden und offenen Arbeitsinseln, in den Pausenräumen gibt es Yogamatten und Sitzsäcke. Nicht, dass sie jemand benutzen würde, die Mannschaft scheint viel zu beschäftigt: Die Produktion findet im Erdgeschoss des Gebäudes statt – von der Lackierung über den Antriebsstrang bis zur Endmontage. Andere Komponenten werden am immer noch aktiven früheren Standort hergestellt.
"Die einzigen Teile, die von Zulieferern kommen, sind sehr spezielle Komponenten wie Bremsen, Sitze, Reifen und Glas", sagt Renić, "alles andere stellen wir selbst her." Zum Beispiel die kompakten Antriebseinheiten des neuen Rimac Nevera: zwei E-Maschinen in einem Gehäuse inklusive Übersetzungs-Getriebe und Wechselrichter. Die hinteren Pakete leisten 600 PS (441 kW) und 895 Newtonmeter pro Seite, die vorderen 335 PS (246 kW) und 271 Newtonmeter pro Seite. Wahnsinn! "Die Fertigung läuft halbautomatisch und ist für dieses Projekt maßgeschneidert worden", meint Renić. "Obwohl der Nevera nur in einer Auflage von 150 Exemplaren gebaut wird, haben wir viel in die Fertigungsautomatisierung investiert. Man könnte das wahrscheinlich auch in einem Manufakturansatz angehen, aber die Qualität des Produkts wäre dann nicht auf dem Niveau, das wir wollen."
Arbeiten bei Rimac wie im Silicon Valley
Bevor wir die Testfahrt machen, werfen wir einen Blick auf die Fertigung des E-Sportlers. Die eigentliche Montage des Rimac Nevera (2021) beginnt in der sogenannten "Zone Zero". Das Kohlefaser-Monocoque-Chassis des Nevera ist mit seinem geklebten Dach, integrierten Crash-Strukturen ohne separate Hilfsrahmen und einer in das Monocoque integrierten Batterie alles andere als gewöhnlich. In der "Zone Zero" wird es angeliefert und mit Halterungen für die 77 separaten Steuergeräte des Nevera oder den Kabelbaum bestückt. Danach folgen in "Zone Eins" Lenkung, Steuergeräte sowie Kühlleitungen und Hochspannungskabel. In Zone Zwei und Drei wird es dann ernst: Die Antriebsstränge folgen sowie das Ladegerät und alle Aufhängungsteile. "Ab hier sind die Autos prinzipiell fahrfertig", sagt Renić, "hier verlassen die Pininfarina das Werk, um in Italien endmontiert zu werden."
In Zone Vier geht es nur noch um den Nevera: Das gesamte Interieur wird montiert, auch die Karosserieelemente kommen nun hinzu. Danach stehen noch Prüfstandtests und eine abschließende Qualitätskontrolle an. Für den Fall, dass Sie jetzt mit einem Rimac Nevera (2021) liebäugeln und auch gerade zwei Millionen Euro frei haben, darf man Ihnen nun Hoffnung machen: In der limitierten Auflage sind tatsächlich noch ein paar wenige Exemplare frei. Während unseres Werksbesuchs wurde übrigens gerade das Fahrzeug Nummer eins fertig zur Übergabe. Hinter der Zone Vier steht es zur Inspektion unter Lichtbändern, die gnadenlos selbst die kleinsten Lackfehler in der schwarzen Karosserie des neuen Rimac Nevera offenbaren. Aber: Es gibt keine …
Ein Entwicklungsfahrzeug steht bereit
Abgesehen von einem Satz glänzender Felgen ist dieser neue Rimac Nevera relativ (2021) zurückhaltend konfiguriert und ähnelt damit den anderen silbernen und grauen Autos, die gerade noch durch die Montagezonen wandern – ausgefallene Lackierungen scheint nicht die allererste Wahl zu sein. Übrigens: Uns hat Rimac die Identität der Kundschaft nicht verraten, ein paar Tage später kennen wir sie trotzdem: Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg hat sich den ersten Nevera gesichert.
Wir sind bereit für die erste Testfahrt. Vor der Halle wartet jetzt der leitende Test- und Entwicklungsfahrer Miroslav Zrnčević mit einem stark beanspruchten Entwicklungs-Nevera. Weshalb Zrnčevićs Spitzname übrigens "Mrgud" ist, also "der Mürrische", erschließt sich uns nicht – Miroslav ist genau so entspannt und offen wie der Rest der Rimac-Mannschaft. Das Hineintauchen ins Cockpit unter den Schmetterlingstüren hindurch ähnelt dem Einstieg in einen McLaren, der Innenraum wirkt intelligent und minimalistisch aufgebaut. Das schlanke, spitz zulaufende Karbon-Armaturenbrett enthält mehrere Bildschirme: ein großes, digitales Instrumentendisplay, einen zentralen Touchscreen, kreisförmige Anzeigen in Rundinstrumenten und eine Leistungsanzeige auf der Beifahrerseite. Sitze, Lenkrad und Spiegel werden am Touchscreen justiert –die Entscheidung hierfür soll wohl Gegenstand einiger Diskussionen gewesen sein. Wählrad auf D und los.
Schier unendlicher Drehmomentvorrat
Das Lenkgefühl des Rimac Nevera (2021) ist neutral, ruhig, präzise, der Bremspedalweg im energiesparenden Range-Modus aber etwas lang. Während der ersten Testfahrt brauchen wir ein paar Kilometer, um uns daran zu gewöhnen. Je nachdem, in welchem Fahrmodus man sich befindet, mischt der Nevera die Rekuperationsbremse und die mechanischen Bremsen nahtlos, man muss also entweder ein Gefühl für die richtige Dosierung aufbauen oder in den anderen Modi Sport, Track und Custom (Parameter: Gaspedal, Bremse, Federung, Lenkung) nach spontan besser passenden Set-ups fahnden. Dabei erschließt sich uns der straffe, pointierte und agile Charakter des Nevera immer mehr. Er kauert tief auf der Straße, trotzdem wirkt das Fahrverhalten ungemein geschmeidig – sogar im aggressivsten Track-Modus.
Und die Beschleunigung von bis zu 1800 PS im Track-Modus? – Ist in der ersten Testfahrt natürlich so umwerfend und explosiv wie erwartet, der schier unendliche Drehmomentvorrat im tiefen Keller der Hightech-E-Motoren ist regelrecht bizarr. Auf unserer schnellen Testrunde im Straßenverkehr rund um das Rimac-Headquarter können wir da nur an der Oberfläche kratzen. Allerdings fällt auf, wie entspannt und gefällig der Rimac Nevera (2021) den ganz normalen Fahrbetrieb absolviert. Wie zugänglich, offen und präzise er sich verhält. Matija Renić hatte das bereits angekündigt: "Der Nevera soll maximal benutzerfreundlich sein, ein im Grunde freundliches Auto." Aber der Nevera hat auch diese andere Seite. Eine dunkle Seite. Nur wenige Millimeter Druck aufs Gaspedal stoßen das Tor in eine Welt aus absurdem Speed auf.
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