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Geht auch ganz einfach:

DaimlerChrysler: Die gescheiterte Fusion

Größenwahn und Absturz

Markus Bach Chefredakteur Crossmedia
Inhalt
  1. Die gescheiterte Fusion von DaimlerChrysler
  2. Schrempp schmiedet in Rekordzeit den drittgrößten Autokonzern
  3. Verluste statt Gewinne
  4. Schrempp-Nachfolger Zetsche zieht die Notbremse
  5. Fiat gelingt das Kunststück

Mit der "Hochzeit im Himmel" zwischen Daimler und Chrysler wollte Jürgen Schrempp einen Weltkonzern schaffen. Wieso er so dramatisch scheiterte und wie nah Mercedes am Abgrund stand.

Vielleicht begann die ganze Geschichte von DaimlerChrysler tatsächlich auf einer Herrentoilette. Dort sollen sich, was offiziell natürlich nie bestätigt wurde, Daimler-Chef Jürgen Schrempp und der Chrysler-Vorsitzende Robert Eaton getroffen haben. Nur kurz getrennt von dem sie ständig begleitenden Team, sah der Deutsche seine Chance gekommen: Am Waschbecken habe er dem US-Amerikaner die Fusion ihrer beiden Unternehmen angeboten. Damit begann ein Wirtschafts-Thriller, in dessen Verlauf das schwäbische Traditionsunternehmen Daimler zu einem der größten Weltkonzerne aufstieg, nur um wenige Jahre später kurz vor dem Kollaps zu stehen. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon

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Die gescheiterte Fusion von DaimlerChrysler

Aber der Reihe nach: Erste dokumentierte Gespräche über eine Fusion von Daimler und Chrysler fanden im Januar 1998 in der Zentrale des US-Konzerns in Auburn Hills statt. Chrysler, der drittgrößte amerikanische Autokonzern nach General Motors und Ford, war nicht nur für die Mercedes attraktiv: Drei Jahre vor den Daimler-Avancen hatte der US-Multimilliardär Kirk Kerkorian 22,3 Milliarden US-Dollar für den Autobauer geboten: ohne Erfolg. Doch Jürgen Schrempp besaß unbestreitbar das Talent, andere von seinen Visionen zu überzeugen. So konnte er Chrysler-Chef Robert Eaton schnell für sich gewinnen und bereits am 7. Mai 1998 den Zusammenschluss der beiden Unternehmen ankündigen. Dabei sollte es sich nicht um eine Übernahme des US-Konzerns durch Daimler handeln, sondern um eine Fusion unter Gleichen. Innerhalb von wenigen Monaten stimmten sowohl die EU-Kommission als auch die amerikanischen Wettbewerbsbehörden der Mega-Fusion zu. Auf zwei parallel abgehaltenen, außerordentlichen Hauptversammlungen gewannen Schrempp und Eaton auch die Zustimmung: Daimler-Anleger:innen erhielten pro Aktie 1,005 DaimlerChrysler-Papiere, eine Chrysler-Aktie wurde in 0,6235 neue Papiere umgewandelt. Es war der größte Zusammenschluss in der deutsch-amerikanischen Geschichte.

Am 17. November 1998 nahm dann der neue DaimlerChrysler-Konzern seine Geschäfte auf. Jürgen Schrempp, der sein Ziel in weniger als einem Jahr erreicht hatte, feierte den Zusammenschluss als "Hochzeit im Himmel". Er hatte – gemessen am Umsatz – den drittgrößten Autohersteller der Welt geschaffen. Schrempp selbst bildete zusammen mit Robert Eaton eine Doppelspitze aus zwei Vorstandsvorsitzenden. Doch bereits am 1. April 2000 verabschiedete sich Eaton mit einer angeblich 70 Millionen US-Dollar schweren Abfindung in den Ruhestand. Schrempp führte sein Imperium nun allein. Zudem nahm die Anzahl der Deutschen im Vorstand immer mehr zu, die US-Amerikaner:innen gerieten in die Minderheit. Auch für Schrempp persönlich lohnte sich die Fusion: Der gelernte Kfz-Mechaniker stieg zum höchstbezahlten deutschen Firmenlenker auf. Das Manager Magazin schätzte 2002 seine jährlichen Bezüge inklusive Aktienoptionen auf mindestens 10,8 Millionen Euro. Schrempp residierte in der 1990 für 300 Millionen Euro neu gebauten Konzernzentrale in Stuttgart-Möhringen – weit entfernt vom Stammwerk in Untertürkheim. Schon bald hatten die insgesamt 13 Gebäude für die 3000-köpfige Verwaltung unter Daimler-Mitarbeitenden ihren Spitznamen weg: "Bullshit Castle".

 

Schrempp schmiedet in Rekordzeit den drittgrößten Autokonzern

Dort arbeitete auch Lydia Deininger. Die langjährige Büroleiterin und Assistentin Jürgen Schrempps wurde im Jahr 2000 seine Frau und bezog laut Recherchen des Spiegel ein Gehalt von rund 200.000 Euro pro Jahr. Auch Schrempps jüngerer Bruder Wolfgang stieg überraschend schnell in der Welt-AG auf: Der ehemalige Berufsschulleiter führte erst die italienische Konzerntochter und verantwortete ab 2006 die Aktivitäten von DaimlerChrysler in Australien. Noch interessierte das den Aufsichtsrat und die Aktionär:innen nicht. Denn Jürgen Schrempps Plan schien aufzugehen: Während die Mercedes-Gruppe 1999 einen Gewinn von 2,7 Milliarden Euro erzielte, trugen die einstigen Chrysler-Marken über fünf Milliarden Euro zur Erfolgsbilanz des neuen Konzerns bei. Für seinen Wagemut wurde Schrempp von der internationalen Presse gefeiert. So nannte ihn die New York Times den "Cowboy aus dem Schwarzwald". Schrempps Welt-AG sollte sogar noch größer werden: Im Juli 2000 übernahm DaimlerChrysler für 2,2 Milliarden Euro 34 Prozent der Anteile von Mitsubishi Motors, des viertgrößten japanischen Autokonzerns. Damit wollte Schrempp zum einen die wachsenden asiatischen Märkte schneller erschließen, zum anderen die Lücken des Konzerns im Bereich der Klein- und Kompaktwagen schließen. Und Schrempps Shopping-Tour in Asien ging noch weiter: Für 428 Millionen US-Dollar beteiligte sich DaimlerChrysler mit 10,5 Prozent an Hyundai. Nun reichte sein Imperium vom fernen Asien bis nach Amerika.

DaimlerChrysler-Fusion
Foto: AUTO ZEITUNG

Doch die Erfolgsbilanz bekam erste Risse: Im Jahr 2000 schrumpfte der Gewinn der Chrysler Gruppe auf nur noch 501 Millionen Euro zusammen – ein Einbruch von 90 Prozent. Der Absatzschwäche des US-Marktes begegneten alle Autohersteller mit einer nie gekannten Rabattschlacht, die ihre Gewinne auffraß. Ein Jahr später folgte dann der Tiefpunkt: Die Chrysler Gruppe erwirtschaftete einen Verlust von über 5,2 Milliarden Euro. Und das, obwohl sie ihre Überkapazitäten drastisch reduzierte und die unrentable Traditionsmarke Plymouth einstellte. Bis Ende 2003 wurden sechs Fabriken geschlossen und rund 30.000 Mitarbeitenden abgebaut. Im schwäbelnden Stuttgart war schon längst nicht mehr von Chrysler, sondern nur noch vom "Krisler" die Rede. Um die Bilanzen aufzuhübschen, versuchte DaimlerChrysler, vermehrt an lukrative Regierungsaufträge zu kommen. Laut späteren Ermittlungen des US-Justizministeriums sollen dafür ab 1998 in 22 Ländern wie etwa Russland, der Türkei, Ägypten und China im zweistelligen Millionenbereich Bestechungsgelder gezahlt worden sein. 2010 gestand der Konzern in einem Vergleich mit den US-Behörden seine Schuld ein.

 

Verluste statt Gewinne

Zu allem Überfluss meldete sich der Investor Kirk Kerkorian mit einer milliardenschweren Klage zurück: Er warf Jürgen Schrempp vor, die Fusion mit Chrysler sei in Wirklichkeit eine Übernahme durch Daimler gewesen. Dabei konnte sich Kerkorian auch auf ein Interview mit Schrempp berufen, das dieser mit der Financial Times geführt hatte. Darin bestätigte Schrempp ganz offen, dass die Dominanz Daimlers im Konzern und die Herabstufung Chryslers zu einer "Abteilung" von Anfang an sein Plan gewesen war. Von nun an versuchte Schrempp, seine Welt-AG in zahlreichen Rückzugsgefechten zu retten: So trennte er sich im August 2004 von der 10,5-Prozent-Beteiligung an Hyundai. Diese Partnerschaft steckte in einer Sackgasse. Auch bei Mitsubishi waren seit der Übernahme die Verkaufszahlen eingebrochen. Nissan, Honda und vor allem Toyota nahmen in großem Stil Marktanteile ab. Schließlich verkaufte Schrempp 2005 auch Mitsubishi und behielt nur noch die Lastwagensparte Mitsubishi Fuso. Insgesamt hatte das Mitsubishi-Abenteuer DaimlerChrysler über zwei Milliarden Euro gekostet.

DaimlerChrysler-Fusion
Foto: AUTO ZEITUNG

Um die Verluste von DaimlerChrysler in den USA und Japan auszugleichen, musste die Kernmarke Mercedes noch mehr Gewinn abwerfen. Dies führte zu empfindlichen Kosteneinsparungen bei dem Premiumhersteller. Zudem schickte Schrempp seine besten Mitarbeitenden zur Sanierung von Chrysler und Mitsubishi in die Welt. Langsam machte sich deren Fehlen aber bei Mercedes bemerkbar: Die neuen Modellgenerationen litten unter zahlreichen Qualitätsproblemen. War Mercedes in den 1990er-Jahren noch die unangefochtene Nummer eins unter den globalen Premiummarken, holten Audi und BMW nun auf. Vor allem BMW konnte seine weltweiten Verkäufe innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppeln. Dagegen stagnierte der Absatz von Marcedes seit dem Jahr 2001 bei rund 1,2 Millionen Fahrzeugen pro Jahr. 2005 kam es schließlich zum Machtwechsel: BMW löste Mercedes als erfolgreichsten Premiumhersteller der Welt ab.

 

Schrempp-Nachfolger Zetsche zieht die Notbremse

Dazu kamen die Probleme der Kleinstwagenmarke Smart und der 2002 wiederbelebten Luxusmarke Maybach, die beide trotz Milliardeninvestitionen keine Gewinne abwarfen und die Bilanz der Mercedes-Gruppe weiter belasteten. 2005 verbuchte die einstige Vorzeigemarke ein Minus von einer halben Milliarde Euro. Die Aktionär:innen verloren allmählich das Vertrauen in Schrempps Vision einer Welt-AG: Hatte der Aktienkurs von DaimlerChrysler 1999 noch den Höchstwert von 92,55 Euro erreicht, fiel er im Frühjahr 2003 auf nur noch 25,51 Euro. In vier Jahren gingen also rund drei Viertel der Investitionen verloren. Seinem Rausschmiss kam Schrempp jedoch zuvor: So kündigte er im Juli 2005 überraschend seinen Rückzug an und übergab die Geschäfte am Jahresende an seinen Nachfolger Dieter Zetsche. Obwohl Schrempp den Eindruck erwecken wollte, er übergebe einen erfolgreichen Konzern, wurde er entgegen damaliger Gepflogenheiten nicht in den Aufsichtsrat berufen.

Als die Chrysler Gruppe 2006 erneut in die roten Zahlen rutschte, zog Dieter Zetsche die Notbremse: Er plante den Verkauf von Chrysler. Neben den Investmentgesellschaften Cerberus und Blackstone sowie dem Autozulieferer Magna brachte sich auch Kirk Kerkorian wieder als Käufer ins Spiel: Statt 22,3 Milliarden US-Dollar wie 1995 war ihm Chrysler jetzt nur noch 4,5 Milliarden wert. Diese Blöße wollte man sich in Stuttgart jedoch nicht geben – man verkaufte Chrysler für 5,5 Milliarden Euro an Cerberus. Am 4. Oktober 2007 wurde auf einer außerordentlichen Hauptversammlung schließlich die Umbenennung des Konzerns von DaimlerChrysler in Daimler beschlossen. Schrempps Vision einer Welt-AG forderte jedoch weitere Opfer: Um die Kernmarke Mercedes zu sanieren, wurden bis Ende 2008 rund 14.000 Stellen abgebaut.

 

Fiat gelingt das Kunststück

Jeep Renegade
Mit dem in Italien gebauten Renegade auf Basis des Fiat 500X landete Jeep einen Verkaufserfolg. Foto: Jeep

Die Ironie der Geschichte: Nachdem die Fusion zu DaimlerChrysler gescheitert war, schaffte es ausgerechnet der selbst in schwerem Fahrwasser befindliche Fiat-Konzern, Chrysler bis in die Gegenwart zu retten. Nach der Finanzkrise von 2007 musste Chrysler Insolvenz anmelden. Da kündigte Fiat-Chef Sergio Marchionne an, 20 Prozent des Konzerns zu übernehmen. 2014 schlossen sich Fiat und Chrysler dann zu FCA zusammen. Und Marchionne gelang es tatsächlich, zahlreiche Synergien in dem auf den ersten Blick seltsam wirkenden Verbund zu heben: So entwickelte Alfa Romeo eine neue SUV-Plattform, die auch von Jeep genutzt wird. Auf der kompakten Fiat-Architektur entstanden Modelle von Dodge und Chrysler. FCA löste die erfolgreichen Pick-ups aus Dodge und schuf damit die Marke RAM, die in den USA bis heute beständig hohe Gewinne erzielt. Nach dem Tod von Sergio Marchionne fusionierte FCA schließlich 2021 mit dem französischen PSA-Konzern zu Stellantis.

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