Mercedes eActros (2024): Testfahrt im E-Lkw für Fernverkehr
Der leise Riese
Mit dem neuen Mercedes eActros 600 (2024) dreht Daimler Trucks dem Lkw auch auf der Langstrecke den Diesel ab. Die AUTO ZEITUNG hat letzte Testfahrten vorm Serienstart mit dem leisen Riesen begleitet.
Er ist zwar nicht hoch, aber steil. Sehr steil sogar. Denn mit seinen 18 Grad ist der Steigungshügel auf der Teststrecke von Daimler Trucks in Wörth nicht nur für Fußgänger:innen eine schweißtreibende Übung, sondern auch für den Actros, den sie hier sonst auf Herz und Nieren testen. Selbst das Topmodell des Fernlasters, immerhin mit 15,6 l Hubraum, knapp 600 PS (441 kW) und 2800 Nm müsste hier beim Anfahren ordentlich orgeln, bis es in Fahrt kommt und aller Dämmung zum Trotz dröhnt es dabei in der Kabine so laut, dass man kaum mehr sein eigenes Wort versteht. Von dem feinen Zittern ganz zu schweigen, das wie ein fernes Erdbeben durch die Kabine zeiht und von dem Kraftakt zeugt, den der Sechszylinder vollbringen muss.
Doch beim neuen Mercedes eActros 600 (2024) ist alles anders. Flüsterleise und ohne jede Mühe setzt sich der Berg aus Stahl in Bewegung und zieht die Steigung hinauf, als hätte es die Trägheit der Masse nie gegeben. Und das, obwohl die knapp 17 m lange Fuhre schon alleine gute 20 t wiegt und noch einmal mit genauso viel Last beladen ist. Wie der Name es schon sagt, handelt es sich hier auch um kein normalen Actros. Daimler legt letzte Hand an den eActros 600, mit dem die Marke nun auch den Fernverkehr elektrifizieren will.
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Der neue Mercedes G 580 EQ (2024) im Fahrbericht (Video):
Erste Testfahrt mit dem neuen Mercedes eActros 600: Ende 2024 startet die Auslieferung
Seit zwei Jahren rührt Daimler Trucks dafür schon die Werbetrommel, hat publikumswirksam eine Marathon-Testfahrt über 13.000 km bewältigt und Ende 2024 soll endlich die Auslieferung beginnen. Die ersten 1000 Kunden haben dafür schon unterschrieben, und die Zahl der Absichtserklärungen ist längst auch ins Vierstellige geklettert. "Wir müssen anerkennen, dass Transport ein Teil des Problems ist, wenn es um den Klimawandel geht", räumt Karin Radström, die Chefin der Mercedes-Trucks, ein. Sie ist aber überzeugt, dass Laster auch ein Teil der Lösung sein können und macht mit dem neuen Mercedes eActros 600 (2024) den nächsten Schritt.
Mit dem bisherigen eActros für den Verteilerverkehr hat das neue Modell bis auf den Namen nicht mehr viel gemein. Man thront luftgefedert in einer geräumigen, aerodynamisch optimierten Kabine, blickt auf ein halbes Dutzend Kameramonitore und Spiegel, hat hinter sich eine bequeme Pritsche und braucht nicht viel mehr als den kleinen Finger und den großen Zeh, um den Sattelzug in Fahrt und auf Kurs zu halten. Die Arbeit übernehmen dabei zwei E-Maschinen, die mitsamt eines vierstufigen Getriebes an der Hinterachse des Zugfahrzeugs angeschlagen sind und von drei Fahrprogrammen unterschiedlich stark im Zaum gehalten werden.
Zahlreiche elektronische Tricks für mehr Reichweite
Egal, wie sehr die Elektronik den Antrieb des neuen Mercedes eActros 600 (2024) drosselt, braucht es nur einen Kickdown, um wie hier am Steigungshügel den Booster zu starten. Nicht für ein paar Sekunden wie im Pkw, sondern volle zwei Minuten und bisweilen sogar mehr stellen die E-Maschinen dann die volle Leistung zur Verfügung und nehmen dann solchen Steigungen den Schrecken – genau wie Passstraßen, einem Traktor auf der Landstraße oder eine verkürzte Autobahnauffahrt. Um trotz der größeren Last die Reichweite gegenüber den Verteilermodellen auf 500 km zu erhöhen, hat Projektleiter Michael Wolf statt Akkus mit bislang maximal 420 kWh mehr als 600 kWh in den Rahmen gehängt und bei der Zellchemie zugleich auf Lithium-Eisenphosphat gewechselt. "Diese Technik erlaubt uns mehr nutzbare Kapazität und ist vor allem haltbarer", sagt Wolf. Das ist wichtig bei einem derartigen Investitionsgut: Während Autos heute nur noch selten auf mehr als 300.000 km ausgelegt werden, soll der E-Antrieb des Actros genau wie ein Diesel mindestens 1,2 Mio. Kilometer durchhalten und zehn Jahre tadellos funktionieren.
Wie weit der eActros mit einer Ladung tatsächlich kommt, liegt natürlich vor allem an der Tonnage und der Topografie. Die größte Stellschraube aber ist die Person am Steuer: Genau wie der Pkw bietet auch der Truck neben einer intelligenten Routenplanung deshalb eine mehrstufige Rekuperation und gewinnt seine Bremsenergie zurück. Geregelt wird das genau wie bis dato die Retarder genannte Motorbremse mit einem Hebel am Lenkrad. Und weil so viel Masse im Spiel ist, ist der Effekt dabei um so größer. So groß, dass Wolf sogar eigens einen Zusatzverbraucher entwickeln musste, um die gesamte Energie überhaupt wieder loswerden zu können, falls die Batterie sie nicht mehr aufnehmen kann.
Spätestens, wenn es mit dem neuen Mercedes eActros 600 (2024) durch die Stadt geht, wechselt man aber am besten am Touchscreen gleich ins Profi-Profil und überlässt der Elektronik das Kommando. Dann regelt der eActros die Rekuperation selbst und lässt sich problemlos mit einem Pedal fahren – bis er an der roten Ampel oder einer Steigung zum Stehen kommt. Sind Ampel sonst ein Grund für Ungeduld, erzeugen die E-Motoren plötzlichen einen AMG-Moment und Vorfreude auf den Kickdown.
600-kWh-Akku mit perspektivisch 1000 W Ladeleistung
Die Reichweite ist aber nur das eine Problem. Ein weiterer Knackpunkt im Fernverkehr ist das Laden: "Lange Standzeiten können wir uns nicht erlauben. Ein Laster muss Geld verdienen, und das kann er nur beim Fahren", sagt Wolf. Deshalb fokussiert sich das Entwicklungsteam auf jene 45 min Ruhezeit, die Fernfahrende nach 4,5 h Lenkzeit von Gesetz wegen einlegen müssen. Um in dieser Zwangspause möglichst viel Strom in die Batterien zu pressen, arbeitet der neue Mercedes eActros 600 (2024) mit einer Betriebsspannung von 800 V und schon jetzt mit einer Ladeleistung von maximal 400 kW. Schon das reicht, um in der Pause so viel Energie nachzuladen, dass es für die zweite Hälfte der Schicht reicht.
Mittelfristig soll es sogar noch schneller gehen, denn Wolf und sein Team haben alles dafür vorbereitet, dass der Actros auch Megawatt-Laden kann – dann steigt die Ladeleistung auf 1000 W und es reichen weniger als 30 min für die ersten 80 Prozent. Einziger Haken: Nachdem es bislang nicht mal dezidierte 400-kW-Säulen für Lkw gibt und sich die Testfahrende deshalb mühsam unter die Pkw mischen müssen, wenn sie ausnahmsweise mal außerhalb ihrer Fuhrhöfe laden, ist von einer Megawatt-Infrastruktur bislang keine Rede. Da Daimler aber nicht alleine ist mit der Elektrifizierung des Schwerverkehrs, drängen jetzt immer mehr E-Trucks auf die Straße und der Druck auf die Energieversorger und Netzbetreiber wächst.
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Mercedes eActros 600 (2024) kostet etwa 2,5-mal so viel wie ein Verbrenner
Die Personen am Steuer, die in Zeiten gravierenden Personalmangels immer mehr Mitspracherecht haben, will Daimler dabei mit einem Komfort ködern, wie er bislang unerreicht ist – mit schier endloser Kraft und einer Stille, wie es sie im Schwerlaster so noch nie gegeben hat. Und zwar nicht nur während der Fahrt, sondern auch auf dem Rastplatz, wo zum Beispiel die Kühlung des Aufliegers ebenfalls aus dem Akku gespeist wird und der Motor deshalb ausbleiben kann.
Und den Flottenbetreibern rechnet Projektleiter Wolf deutliche Einsparungen vor: Ja, der neue Mercedes eActros 600 (2024) kostet etwa 2,5-mal so viel wie ein herkömmliches Fahrzeug, für das man je nach Fuhrparkgröße und Verhandlungsgeschick Preise ab etwa 100.000 Euro veranschlagen muss, räumt er ein. Die Zeiten, in denen der Staat 80 Prozent des Mehrpreises übernommen hat, sind vorbei. Doch emissionsfreie Trucks zahlen keine Lkw-Maut und die Wartungs- und Verschleißkosten sind deutlich geringer. Für das größere Eigengewicht gibt es einen Bonus, der am Ende die gleiche Zuladung garantiert. Und je nach Ladestrategie ist der Strom deutlich billiger als der Sprit. Bestenfalls schon nach fünf Jahren fährt der eActros deshalb billiger als jeder Diesel, rechnet Wolf vor: "Und danach macht man auf jedem Kilometer Gewinn."