Die chinesische Staatsmarke Hongqi schickt ihr Flaggschiff auf Europa-Tour. Das elektrische Fullsize-SUV Hongqi E-HS9 wird 2024 auch in Deutschland angeboten. Mit gigantischer Batterie, großer Reichweite und einem ambitionierten Preis
Preis: Hongqi E-HS9 (2024) ab 79.995 Euro
In Deutschland ist Hongqi wohl nur waschechten Autofans ein Begriff. Das Kürzel E-HS9 ginge auch als Name eines Smartphones durch. Aber das liegt nicht daran, dass die Marke ein x-tes chinesisches Auto-Startup wäre. Ganz im Gegenteil. Hongqi – "hong-chi" ausgesprochen und übersetzt patriotisch "Rote Fahne" – gibt es seit 1958 und ist damit die älteste Automarke Chinas. Sie gehört zur staatlichen FAW-Gruppe und ist dadurch mittelbar mit Schwergewichten wie VW und Toyota verbandelt. Nebenbei gesagt ist es auch die einzige chinesische Luxusmarke und darf exklusiv Staatschef und Parteigrößen der Volksrepublik motorisieren. Dazu dienen bislang feudale Limousinen, deren Design an amerikanische Straßenkreuzer der Sechziger-Jahre erinnert und mit denen es in Europa keinen Blumentopf zu gewinnen gäbe. Daher erfindet sich Hongqi gerade völlig neu.
Statt auf Limousinen setzt das Unternehmen nun vornehmlich auf SUV. Die trinkfreudigen Benziner werden durch E-Motoren ersetzt. Für das Flaggschiff, den Hongqi E-HS9 (2024), wurde eigens ein Designer von Rolls-Royce abgeworben. Preislich fällt der Newcomer zwar deutlich günstiger aus als der britische Vertreter des Establishments. Für einen China-Import dennoch selbstbewusst: Laut Liste muss man 102.995 Euro berappen, um sich den Hongqi E-HS9 Exclusive Long Range in die – hoffentlich weiträumige – heimische Garage stellen zu können. Zur Markteinführung gilt ein Aktionspreis von 99.900 Euro für diese zum Marktstart einzig angebotene Version.
Interessanter erscheint das Leasingangebot: Für 999 Euro monatlich stecken ohne Anzahlung 1500 km im Paket, das zudem jeden Monat kündbar ist. Unter der Topversion platziert die Marke den Hongqi E-HS9 Exclusive. Dieser kommt auf 89.995 Euro und mit kleinerer Batterie. Noch "billiger" und zudem praktischer geht es in der Variante Premium zu. Kostenpunkt: 79.995 Euro. (Alle Preise: Stand April 2024). Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Leslie & Cars auf der Auto Shanghai 2023 (Video):
Antrieb: Starke Reichweite, schwache Ladeleistung
In der dicksten Konfiguration, Exclusive Long Range genannt, fährt der Hongqi E-HS9 (2024) einen Akku mit einer Kapazität von 120 kWh brutto spazieren. In Europa bietet das bislang einzig das Mercedes EQS SUV. Damit soll der Hongqi im WLTP-Zyklus bis zu 515 km weit kommen. Der anschließende Ladestopp kündigt sich allerdings etwas langwierig an. Der Chinese saugt mit maximal 130 kW Ladeleistung an flotten Ladesäulen, kaum halb so viel wie seine besten Konkurrenten. Das schränkt seine Langstreckentauglichkeit ein. Auch auf Wechselstrom hat er mit elf kW nur gezügelten Appetit.
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Beide Batterieoptionen ernähren zwei E-Motoren, die jeweils eine Achse antreiben. 160 kW vorne und 245 kW hinten summieren sich zu 405 kW (551 PS) und einem vergleichsweise moderaten Drehmoment von 450 Nm. In der günstigeren Ausstattung Exclusiv kommt ein Akku mit 99 kWh Kapazität zum Einsatz. Damit ist er immer noch keine rollende Verzichtserklärung. Eine Reichweite von 465 km und Luftfederung lindern die Leiden von Fernweh-Geplagten. Mit der Premium-Version fällt auch die Luftfederung weg.
Die Konkurrenten:
Exterieur: Zwischen Opulenz und purem Protz
Der Hongqi E-HS9 (2024) kann nicht leugnen, dass sein Designer vorher bei Rolls-Royce gearbeitet hat. Giles Taylor hat dort zuvor den Cullinan kreiert. Für den Hongqi E-HS9 hat der Brite im Wesentlichen das Dach abgesenkt und die emblematische Kühlerfigur demontiert. Das 5,21 m lange SUV mit einem Radstand von 3,11 m wirkt dadurch dynamischer, aber nicht weniger respekteinflößend als sein englisches Vorbild.
Der gewaltige Grill lässt so manche Niere vor Neid die Kühllamellen schließen. Die endlose Motorhaube kann man schon mit einer leichten Sehschwäche kaum noch überblicken. Das Designerstück rollt geschmeidig auf dem schmalen Grat zwischen Opulenz und maßlosem Protz. Wenn man nicht gerade für eine Konkurrenzfirma arbeitet, muss man den E-HS9 nicht hassen. Man könnte ihn sogar mögen. Nur die 22-Zöller der Topversion schrumpfen in der günstigeren Version des 2,7-t-Kolosses auf das Format 21 Zoll.
Interieur: Überraschend sportlich
Hinter dem Lenkrad überrascht der Chinese mit einem unerwartet sportlichen Layout. Das Armaturenbrett ist vergleichsweise tief montiert, das Volant selbst nicht zu groß und griffig. Für das luxuriöse Interieur zeichnet der Deutsche Jan Kaul verantwortlich, zuvor zwei Jahrzehnte in Diensten von Mercedes. Fürs Auge ist der Gesamteindruck sehr wertig, beim Anfassen schon ein bisschen weniger. Manche als Metall getarnte Plastikteile in Mittelkonsole und Lenkrad kämen so bei Audi nicht durch die Qualitätskontrolle. Von Bentley oder Rolls-Royce ganz zu schweigen.
Die Ausstattung des Hongqi E-HS9 (2024) ist weitgehend komplett. Leder oder Alcantara, eine ausgedehnte Bildschirmlandschaft und elektronische Helferlein überall. Sehr praktisch: Die dritte Sitzreihe faltet sich elektrisch ein und aus. Das beugt Verrenkungen vor. Sind alle Sitze belegt, bleibt vom ansonsten sehr großen Kofferraum naturgemäß nur ein kleiner Rest. Tröstlich: Gegen Aufpreis ist ein Frunk mit einem Volumen von 75 l erhältlich. Und: Im Gegensatz zu den mit drei Zweierreihen versehenen Exclusive-Versionen bringt Hongqis Einstiegsversion einen siebten Sitz mit.
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Assistenzsysteme: Hongqi hat noch Nachholbedarf
Auch das Fahren will der Hongqi E-HS9 (2024) erleichtern. Dazu stehen ein adaptiver Geschwindigkeitsregler, ein Spurhalteassistent und ein Totwinkelwarner bereits serienmäßig bereit. Überhaupt ist die Aufpreisliste sehr kurz. Außer einer Anhängerkupplung, einem Dachträger und besagtem Frunk stehen dort nur Sound-Pakete mit bis zu 16 Lautsprechern. Echte Geeks müssen allerdings auf die ausgebufftesten Fahrassistenten der Konkurrenz oder ein Head-Up-Display verzichten. Bei allem Luxus, in diesen Punkten bietet der große Hongqi eher gehobene Hausmannskost.
Fahreindruck: Vorgeschmack auf das, was bald aus China kommt
Es erscheint höchst unwahrscheinlich, dass der neue Hongqi E-HS9 für fast 80.000 Euro den europäischen Markt für elektrische Luxus-SUV aufrollt. Dafür ist die hiesige Kundschaft wohl zu markenbewusst und konservativ, der Newcomer auch nicht Langstrecken-tauglich genug. Aber der E-HS9 ist ja auch bloß ein Vorgeschmack auf das, was bald aus China kommen wird: nicht nur preislich, sondern auch technisch konkurrenzfähige E-Autos aller Couleur, Gewichts- und Größenklassen. Und, ja, eben auch in der Luxusklasse, die die deutschen Hersteller nicht mehr exklusiv gepachtet haben.
China rammt die rote Fahne in europäischen Boden, erwägt sogar, eine eigene Produktionsstätte vor Ort aufzubauen. Hissen die heimischen Premiumhersteller deshalb bald die weiße Flagge? So weit ist es noch nicht. Aber zumindest über die Ambitionen der Chines:innen dürfte es jetzt nicht mehr den leisesten Zweifel geben.