Formel-1-Legende Sir Stirling Moss ist tot: Nachruf
Moss war mehr als nur der beste Zweite
Sir Stirling Moss im Alter von 90 Jahren gestorben. Der Engländer galt als einer der vielseitigsten Piloten aller Zeiten, gewann 16 Grands Prix – wurde aber nie Weltmeister. Auch auf diesen Fakt stützte sich sein Legendenstatus. Ein Nachruf.
Dass Sir Stirling Moss nie Formel-1-Champion wurde, schien ihn nicht wirklich zu stören. Er wusste stets, mit welchem Maß an Talent er zur Weltspitze zählte. Er war ein Alleskönner, und der letzte Vertreter der Garde früher Nachwuchs-Superstars nach dem Krieg. Ein Ausnahmetalent. Moss machte sich sogar einen Spaß daraus, mit seiner Titellosigkeit zu kokettieren. Bei einer Saisonabschluss-Gala, bei der auch Sebastian Vettel – damals für seinen vierten Titel – geehrt wurde, meinte Moss: "Mann, ich habe 15 Jahre lange versucht, Champion zu werden. Und du hast jetzt schon vier Titel. Das ist nicht fair." Worauf Vettel die Dinge nicht minder schlagfertig in die passende Perspektive setzte: "Ja, vielleicht habe ich vier Weltmeisterschaften erobert. Aber du hast auf jeden Fall mehr Frauenherzen erobert und gebrochen als ich." Moss war für seinen filouhaften Charme nicht minder bekannt wie für seinen außergewöhnlichen Speed. Auch im höheren Alter noch diente er als Repräsentant, vor allem für seinen ehemaligen Arbeitgeber Mercedes. Dinnerabende mit ihm waren stets ein Erlebnis, seine ungezählten Anekdoten spannend, seine Bonmots unterhaltsam. Aber ebenso gut unterstrich Sir Stirling Moss mit profunder Meinung seine Gedanken zum aktuellen Status des Motorsports, besonders zur Formel 1. Moss wurde zu einer der großen Legenden des Sports. Wie Fangio neben ihm, wie Clark, Stewart, Lauda, Prost, Senna, Schumacher und Hamilton nach ihm. Mehr zum Thema: Alle Weltmeister der Formel-1-Geschichte
Max Verstappen weiht die neue Formel-1-Strecke in Zandvoort ein (Video):
Nachruf zum Tod von Formel-1-Legende Sir Stirling Moss
Am 27. September 1929 kam Sir Stirling Moss im vornehmen Londoner Stadtteil Kensington zur Welt. Sein Vater Alfred war Zahnarzt, seine Mutter Aileen eine vornehme Dame schottischer Abstammung. Moss wollte nie etwas anderes als Rennfahrer werden. Unter Rennleiter Herrmann Neubauer bekam er bei Mercedes einen Vertrag für 17 Rennen, für die Formel 1 und für Sportwagen. Dass er in der Formel 1 Juan Manuel Fangio nur ebenbürtig war, aber nie überlegen, akzeptierte Moss mit nüchterner Selbstverständlichkeit. Und während der Argentinier einen Titel nach dem anderen holte und im Silberpfeil bei zwölf Einsätzen achtmal gewann, verbuchte Moss nur einen einzigen Sieg im W196: Beim Großen Preis von England 1955 in Aintree, seinem Heimrennen. "Fangio ist für mich heute noch der beste Rennfahrer der Welt", beteuerte Sir Stirling Moss bis zuletzt. Der Zieleinlauf damals in Aintree war denkbar knapp: Nur um zwei Zehntel getrennt kreuzten die beiden Silberpfeile die Linie. "Ich weiß bis heute nicht, ob mir Fangio damals den Sieg überlassen hatte", fragte sich Moss immer wieder, "Fangio war ja so ein Typ, der hätte auch sagen können: Na ja, es ist Stirlings Heimrennen, also was soll's. Als ich ihn einmal darauf ansprach, meinte er aber: Nein, es war einfach dein Tag."
Viermal hintereinander Zweiter in der Formel-1-Weltmeisterschaft
Von 1955 an war Sir Stirling Moss in der Formel 1 viermal hintereinander WM-Zweiter, danach noch zweimal WM-Dritter. Mit Mercedes hätte er vermutlich die besten Chancen gehabt, den Titel zu holen. Doch nach dem Unglück in Le Mans 1955 mit über 80 Toten zog sich Untertürkheim Ende 1955 bekanntlich aus dem Rennsport bis auf weiteres zurück. Ganz anders als die meisten Rennfahrer mochte Sir Stirling Moss jedoch nicht jene Rennwagen unbedingt am liebsten, mit denen er die größten Triumphe feierte. "Mein Lieblingsauto war der Maserati 250F", sagte der Engländer einmal, "da konnte man technische Unzulänglichkeiten mit fahrerischem Talent ausgleichen." Vielleicht fast schon etwas langweilig empfand er dagegen die zu ihrer Zeit nahezu unschlagbaren Mercedes: "Sehr groß, sehr zuverlässig, sehr stark", lautete seine eher emotionslose Beschreibung der Silbernen. Im Sportwagen 300SLR war er Fangio überlegen. Moss triumphierte damit bei den legendären Langstreckenrennen, allein 1955 bei der Mille Miglia, der Targa Florio und auch der Tourist Trophy in Dundrod auf Irland. Nicht aber in Le Mans – nachts um 1.45 Uhr zog Mercedes wegen der Katastrophe die verbliebenen 300 SLR zurück. "Schade, dass wir in Le Mans 1955 nie volles Rohr fahren konnten, wie das heute der Fall ist", bedauerte Moss noch vor geraumer Zeit, "damals musste man super-sanft mit dem Auto umgehen, und Neubauer hat uns nie irgendwelche Limits gesetzt. Es lag an uns, wie wir das auto behandelten. Ich bin sicher, Fangio und ich hätten dieses Rennen gewonnen." Mehr zum Thema: Alles zur aktuellen Formel-1-Saison
Sir Stirling Moss nahm bis ins hohe Alter an Rennveranstaltungen teil
"Die Mille Miglia war eine der erschreckendsten Erfahrungen meines Lebens", konstatierte Sir Stirling Moss später, "wie wenn man in Monaco mit Vollgas durch den Tunnel rast, aber nie das Ende der Kurve sieht, bis du den Scheitelpunkt verpasst hast. Und das zehn Stunden lang." "Fangio ist älter, überlegter, vorsichtiger", urteilte Neubauer damals. Zu Moss notierte die Rennleiter-Legende: "Er riskiert Kopf und Kragen. Er ist zu jung, zu begreifen, wie schön das Leben ist." Wenn sich Neubauer da nicht geirrt hatte: Moss wusste stets, welch tolles Leben er führte. Die schnellsten Autos der Welt im Kampf am Limit zu fahren, das war nicht nur in jener Zeit ein optimales Entrée in der Damenwelt. Auch in seiner Gier nach hübschen Frauen gab Sir Stirling Moss immer Vollgas. Kein Wunder, dass erst seine dritte Ehe hielt. Rund 40 Jahren blieb er mit Susie verheiratet, die bis zuletzt sein Leben und Termine organisierte. Bis in die Mitte der 2010er-Jahre war Moss noch immer in der historischen Motorsport-Szene aktiv, oft in seinem eigenen Osca 1500, mit dem er 1954 in Sebring gewonnen hatte. In 15 Saisons absolvierte Moss 496 Renneinsätze. Er fuhr alles was bei drei nicht in der Garage war. Formel-Autos, Sportwagen, Bergrennen, Tourenwagen, Rallyes, sogar Hochgeschwindigkeits-Rekorde. 130 mal schied er aus – damals waren Rennwagen deutlich unzuverlässiger als heute. Von den 366 Rennen, die er beendete, gewann er 222. Das entspricht einer Trefferquote von 66 Prozent. "Als ich gefahren bin, hatte ich nie die Befürchtung, ich würde nicht alles geben. Ich hatte immer ein starkes Selbstbewusstsein. Ich hatte einfach das Gefühl, die anderen schlagen zu können."
Ein Unfall beendete Sir Stirling Moss' Karriere
Doch auch Sir Stirling Moss blieb nicht frei von Fehlern. War es ein Fahrfehler, der seinen Lotus am Ostermontag 1962 in Goodwood zerschellen ließ? Der Unfall, der ihn vier Wochen im Koma und ein halbes Jahr halbseitig gelähmt zurückließ, bleibt bis heute ein Mysterium. Zu jeder vollen Stunde übertrug die BBC damals den Gesundheitszustand des schnellen Patienten. Als er ein Jahr später nach Goodwood zurückkehrte, fuhr er sofort wieder starke Rundenzeiten. Dennoch der Rücktritt am gleichen Abend via BBC : "Ich musste alle Fahrmanöver von mir einfordern. Nichts kam automatisch." Seine Leichtigkeit war verschwunden. Hatte sich Moss nicht genügend Zeit zur Rekonvaleszenz gegeben? Sonst hätte seine Karriere wohl bis Mitte der 1970er-Jahre reichen können. Seine Verpflichtung, mit 52 Jahren in der Britischen Tourenwagen-Meisterschaft zu starten, auf einem Audi 80, bezeichnete Sir Stirling Moss als den größten Fehler seiner Karriere: "Ich war zuvor nie einen Fronttriebler gefahren, ich war nie auf Slicks unterwegs." Der größte Irrtum seiner Karriere indes mag sein auf Patriotismus basiertes Verweigern gewesen sein, dass er später nie wieder für ein nicht-englisches Team fahren wollte. "Ich wollte immer britische Autos und für britische Teams fahren", sagte der überzeugte Brite, "weil ich mir wie ein grüner Gladiator vorkam, der die roten Löwen bekämpfte." Nun ist Sir Stirling Moss im Alter von 90 Jahren am 12. April 2020 gestorben