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Geht auch ganz einfach:

Elektroauto des Jahres 2023: Kandidaten/Ergebnis

Elektronen auf Reisen

Johannes Riegsinger Autor
Inhalt
  1. AUTO ZEITUNG wählt das Elektroauto des Jahres 2023
  2. Nur ein guter E-Antrieb reicht nicht
  3. Perfektion oder Emotion
  4. Interner Konkurrent für den Hyundai
  5. Zweimal ID. Buzz oder einmal BMW i7
  6. Fazit

Eine bunt gemischte Jury, zehn Elektroautos des Jahrgangs 2023, über 1200 Kilometer durch Vogesen und Schwarzwald, von Autobahnen bis Pass-Straßen – am Ende steht der Sieger fest: das "Elektroauto des Jahres 2023" der AUTO ZEITUNG!

Einen kurzen Moment lang fühlt es sich an wie früher. Als wären wir noch einmal unterwegs, um den "Sportwagen des Jahres" zu suchen: frühes Treffen an der Redaktion, schachern um Zündschlüssel, losfahren mit Vorfreude auf ein paar intensive Jury-Tage im Redaktionsteam. Aber da singen keine Zwölfzylinder, poltern keine V8-Boliden, sägen keine Sechszylinder-Boxer, röcheln keine hochgezüchteten Turbo-Vierzylinder – stattdessen machen sich zehn Elektroautos auf leisen Katzensohlen auf die Reise. Mit gelassener Autobahn-Richtgeschwindigkeit geht es aus Köln nach Süden – die Redaktion der AUTO ZEITUNG erlebt gerade ihren "Saulus-zu-Paulus"-Moment. "Sportwagen des Jahres" war gestern, "Elektroauto des Jahres 2023" ist heute und das Feld der Nominierten trotzdem so spannend und vielseitig wie nie: Vom Abarth 500e bis zum BMW i7 reicht die Größenskala, ein Smart #1 im Brabus-Trimm darf gegen das dicke Mercedes EQS SUV antreten, der famose VW ID. Buzz balgt sich mit einem Porsche Taycan GTS Sport Turismo und der deftige Ford Mustang Mach-E GT mit dem intellektuellen Hyundai Ioniq 6. Nicht zu vergessen der Lucid Air und der Audi Q8 e-tron.

Wilde Mischung? – Absolut richtig. Wir haben unsere Nominierten aus vielen Auto-Kategorien gewählt, die einzige Gemeinsamkeit der gerade flott nach Süden strömenden Wettbewerber ist, dass sie Autos zum Fahren sind. Also keine nutzwertigen Von-A-nach-B-Vernunft-Langweiler, sondern Elektroautos, die Freude machen. Besonders. Charakterköpfe. Bemerkenswert. Nach knapp 150 Kilometern legen wir den ersten Ladestopp ein, die routinierten Vielfahrenden des Test-Teams wissen eben längst, wie Elektro-Reisen geht: nicht verbissen den Akku leerfahren, sondern immer wieder, wenn es in den Groove der Reise passt, mit einem 15 Minuten-Stopp ein paar SoC-Prozentpunkte nachladen. Einmal Klo und Kaffee reicht an einem satt pumpenden Schnelllader meist locker für weitere 150 Kilometer Reichweite.

Die Hightech-Boliden von Audi bis Porsche mit ihren reichweitenstarken Riesen-Akkus müssten nach der ersten Mini-Etappe eigentlich noch lange nicht ans Kabel, für die würde es ohne Stopp aus Köln bis beinahe nach Freiburg reichen. Auch der kleine Smart #1 Brabus ist mit dessen 66-kWh-Batterie weit entfernt von Reichweiten-Sorgen – nur um den Abarth 500e macht das Reise-Team beim Fahrerwechsel einen auffällig großen Bogen. Der heiße Rennzwerg ist eben fürs rasante Stromern auf Kurzstrecken gedacht, mit seinem 42-kWh-Akku geht ihm nach spätestens 235 Kilometern der Saft aus. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon

Elektroauto des Jahres 2023 präsentiert von Bridgestone

 

AUTO ZEITUNG wählt das Elektroauto des Jahres 2023

Das sorgt vor allem dann für reichweitenbedingte Stress-Transpiration beim Fahrer des Abarth 500e, wenn vorneweg der Lucid Air gewaltig Druck macht: Der US-Luxus-Gleiter mit 900-Volt-Architektur in 620 PS starker "Touring"-Konfiguration soll laut Werk im Idealfall bis zu 725 Kilometer schaffen – selbst wenn davon in der Praxis noch reale 600 Kilometer übrig bleiben, ist das für die meisten Reisen mehr als üppig. Umso mehr, weil sich unser Lucid Air bei jedem Schnellladestopp sofort mit Ladeleistungen von mindestens 150 kW (theoretisch schafft er bis zu 300 kW!) gewaltig Strom ziehend ins Zeug legt. Für Reichweiten-Ängste haben Lucid Air-Pilot:innen nur ein müdes Lächeln übrig. Den ganz Furchtsamen sei ein Grand Touring (819 PS, bis zu 839 km) oder gar Dream (1111 PS, bis zu 883 km) empfohlen. Damit ist der Lucid ein besonders heller Stern am Reichweitenhimmel.

Seine Konkurrenten sorgen jedoch ebenfalls nicht für größere Einschränkungen auf der Anreise, und bis zur Titelvergabe muss der ambitionierte Lucid noch einige Kilometer absolvieren. Bei den zurückgelegten Strecken handelt es sich neben den Autobahn-Stints am Anreisetag und in der Abreisenacht um härtestes Kurvengewürm in Elsass und Schwarzwald. Linksrheinisch runter, rechtsrheinisch hoch. Da kommt also noch einiges auf den US-Elektro-Newcomer zu, bis er sich vielleicht "Elektroauto des Jahres 2023" nennen darf.

Unsere Online-Kollegin Leslie Schraut (@leslieandcars) bringt die Jury nach der Anreise-Etappe sofort auf Betriebstemperatur: Leslie umschwärmt den Air als ein "starkes Reiseauto, in dem man gut sitzt" – und Test-Ressortleiter Michael Godde widerspricht sofort. Wer die beiden in diesem Moment sieht, weiß sofort weshalb: Leslie Schraut, das sind 1,65 Meter Temperament, während beim coolen Zweimeter-Godde sich Amseln noch im Landeanflug überlegen, ob dieses baumähnliche Wesen nicht doch zum Nestbau taugt. Oder mit anderen Worten: "Die Schraut" sitzt im Lucid Air wie in Abrahams Schoß und schaut als Digital-Native an der wilden Touch-Wisch-Fummel-Surr-Bedienung des hypermodernen Amis einfach vorbei, doch "der Godde" sieht im Lucid statt Straße nur die ans durchgehende Panorama-Glasdach geklebte Sonnenblende, ist darüber hinaus Anfang 50 und hat daher schon Autos erlebt, die einfach und gut zu bedienen waren. Der Lucid Air gehört nicht dazu.

 

Nur ein guter E-Antrieb reicht nicht

Man muss die weiteren Diskussionen im Test-Team nicht lange verfolgen, um ein klares Bild zu bekommen, wohin die Reise gehen wird. Erste These der versammelten Schwarmintelligenz: Auch ein spektakulär guter Elektroantrieb macht noch lange kein gutes E-Auto, wenn das Auto ansonsten nicht punktet. Und Zweitens: Autos, deren Modernität durch ein Konzert von aufmerksamkeitsheischenden Erlebnis-Effekten demonstriert werden muss, laufen schnell Gefahr, als nervig und eher modisch denn modern wahrgenommen zu werden. Übrigens verläuft hier die Wahrnehmungstrennlinie zwischen der "Vor-iPhone-Generation" und der "Nach-iPhone-Generation" auch bei uns im Team: Wer noch Autos fuhr, die in Vergleichstests empfindlichen Punkteabzug bekamen, weil man zum Radiosender-Einstellen zu lange nach unten schauen musste, akzeptiert Autos, bei denen man sich zur Außenspiegeleinstellung tatschend durch Untermenüs quälen muss, eben schlecht.

Die Jungen kennen es nicht anders, fahren vollvernetzt mit Dauerblick auf Riesen-Displays, wissen sich dabei vom Piepsen der Assistenzsysteme in der Spur gehalten und verstehen das Kritteln der Alte-Herren-Mannschaft nicht so recht. Redaktions-Erklärbär Riegsinger hilft nach: "Wasserhähne kennt ihr? Kalt-Blau, Rot-Warm? Aufdrehen-Zudrehen?" Die jungen Menschen im Team nicken. "Würdet ihr es dann gut finden, wenn man sich in Zukunft beim Zähneputzen erstmal auf dem nach Handannäherung ausfahrenden Badezimmerspiegel wischend ins vierte Untermenü fummeln müsste, nur weil Elon Musk das auch so macht?" Groschen fallen, Kronleuchter gehen auf, in der weiteren Diskussion wird schnell klar, dass die Generation Tatsch zwar kein Problem mit dem Gefummel hat, es aber eher hinnimmt denn gut findet und ansonsten einfach gern Autofahren möchte.

Elektroauto des Jahres 2023
Foto: Frank Ratering

Da liegt die gemeinsame Schnittmenge: beim Auto, beim Fahren. Und deshalb surfen wir hinter Sélestat in die Vogesen hinauf, lassen es zum Col du Bonhomme geschmeidig krachen – und haben es auf Passhöhe angekommen mit einem traurigen Abarth 500e-Piloten zu tun. Der hat den künstlichen Motorsound reingedreht, ist die Strecke mit blutunterlaufenen Augen und Schaum vorm Mund in absolut letzter Eskalationsstufe hochgeturnt, badet nun in Adrenalin, befürchtet aber, am Ende der Welt gestrandet zu sein: "Nur noch 45 Kilometer Reichweite, damit komme ich nie runter bis Mulhouse …" Der Kollege Elmar Siepen hat das Mercedes EQS 580 SUV aus dem Tal in die Höhe gewuchtet, wirft einen beiläufigen Blick aufs Display und grinst: "Ich hab noch weit über 400 Kilometer und bin nicht mal ganz vollgeladen losgefahren ..."  – "Aber dafür ist dir unterwegs das Gesicht eingeschlafen in deinem Elektro-Sprinter," blafft der Abarth 500e-Mann zurück, "der dicke Pott macht doch keinen Spaß!" – "Aber Komfort hat der, sagenhaft, und die Allradlenkung lässt einen trotz 3,21 Meter Radstand auf einem Handtuch drehen", schnauzt Siepen beleidigt retour, wirkt dabei aber wenig überzeugend.

Wir alle sind das EQS 580 SUV bereits gefahren, freuen uns am gravitätischen Marsch des großen Schwaben, an seinem immensen Raumangebot, der brachialen Leistung und enormen Reichweite, aber seit der letzten Autobahnabfahrt ist bei allen die Leidenschaft etwas abgekühlt. Seine knapp 2,7 Tonnen lässt er trotz aller Fahrwerkstricks spüren, er fährt gewichtig und ernsthaft wie eine d-Moll-Symphonie von Beethoven. Martin Urbanke legt noch einen nach: "In Sachen Komfort ist der EQS nicht mal spitze, der BMW i7 spielt hier in einer eigenen Liga, sorry ..." – "…und in Sachen Verarbeitung, Material, Ambiente und Luxusgefühl wirkt das Mercedes EQS SUV gegen den BMW i7 ebenfalls spürbar schwächer", wundert sich Chefredaktions-Vize Klaus Uckrow. "Da hilft auch das Hyperscreen-Riesendisplay nicht. Im BMW gibt es viel mehr Schönes zu sehen, anzufassen, handzuschmeicheln."

Alle Kandidaten:

Die Fans des Lucid Air verfolgen die Debatte spürbar unruhig: Die US-Maschine ist eine Macht auf der Langstrecke, hat eine Menge Faszinationspunkte gesammelt und sich sogar auf den bisherigen Kurvenstrecken mit Anstand geschlagen, aber das überkomplexe Bedienkonzept findet wenige Fans, und das spürbare Knarzen auf schlechten Straßen macht wenig Boden gut, wenn der Lucid Air noch Titelchancen halten will. "129.000 Euro kostet der? Hmm… Weniger als das Mercedes EQS SUV", grübelt Daten-Mastermind Uckrow – das hört sich immer noch nicht so an, als ob er gerade auf seiner inneren Rangliste einen der beiden Wettbewerber nach vorn schieben würde.

Dem Abarth 500e-Fahrer in Reichweiten-Not hat dieser Diskurs nicht weitergeholfen, Michael Godde schreitet daher besänftigend ein: "Der Bordrechner kalkuliert die letzten 20 Bergaufkilometer bei scharfer Fahrweise, wenn wir es jetzt auf dem Vogesen-Kamm locker angehen lassen, bist du schnell wieder bei 70 bis 80 Kilometer Reichweite. Und wenn der Saft doch ausgeht ..." – "... lassen wir dich einfach stehen" grinst Elmar Siepen, korrigiert aber gleich gewohnt kollegial-großzügig: "Nee, vorher nehme ich dich natürlich ins Schlepptau. Im Ladesäulen-Finden bin ich eine echte Instanz! Folge mir, Verzagter!" – Sprichts, wirft sich in den Ford Mustang Mach-E GT und schlenzt mit wimmernden Reifen vom Parkplatz. 

Elektroauto des Jahres 2023
Foto: Wolfgang Groeger-Meier

Das zurückbleibende Team nickt verständnisvoll: Anders als beherzt möchte man den Ford überhaupt nicht fahren. Er ist ein fester Händedruck, kultiviert infernalischen Anriss, pflegt einen beinahe analogen Charakter – und das macht ihn für die Muscle-Car-Fans der Redaktion (heißt: alle) ungemein attraktiv. Das mächtige Bedien-Tablet im Cockpit tut zwar so, als habe Ford auf digitale Moderne umgeschwenkt, aber die ganze Fahrerei im Mustang brüllt ansonsten: Rock 'n' Roll! Ins Kurventalent des Chassis mischt sich ein dezentes Rodeo-Bocken, der Ford Mustang Mach-E kommt immer ein wenig breitbeinig daher, prügelt dann auf den Geraden vorwärts wie ein T-Rex – das ist alles wenig feinsinnig, macht aber Freude wie der erste Biss in einen fett- und soßentriefenden Triple-Burger. Und der zweite. Und der dritte … Sie sind vom vermuteten Emotions-Veganismus der neuen E-Auto-Welle abgestoßen, stören sich an der gefühlten politischen Korrektheit dieser Elektro-Leisetreter? Dann ist der Ford Mustang Mach-E im GT-Trimm für Sie. Seine 487 PS fühlen sich nach üppigen 600 an, für die 77.300 Euro gibt es einen 99-kWh-Akku samt entsprechender Reichweite, und der grantige Mustang-Look kommt in Echt noch besser als auf Fotos.

Der BMW i7 (2023) im Fahrbericht (Video):

 
 

Perfektion oder Emotion

Beinahe der Gegenentwurf zum Ford Mustang Mach-E GT ist der Audi, den es als "e-tron“ bereits eine Weile gibt und der nun nach einem sanften Update an Lenkung und Steuerungselektronik als Audi Q8 e-tron nicht nur seinen Platz im Audi-Modellprogramm, sondern auch in der Elektroauto-Welt neu beanspruchen soll. Rund und geschmeidig fährt er, mit nachdrücklichem Antriebs-Punch, aber auch komfortabel und leise. Dass er unter der quattro-Fahne auch sportive Ansprüche anmeldet, nimmt man ihm glaubwürdig ab: Sein zupackendes Vorwärts-Wirbeln auf winkligen Straßen wirkt satt, engagiert und sicher. Es ist aber sein nobel-durchorchestrierter Charakter und die piekfeine Interieur-Verarbeitung, die den Audi Q8 e-tron zum Helden des distinguierten Gentleman machen. Man fährt ihn nicht in Cowboy-Stiefeln, sondern in frisch polierten Budapestern. Die Fans des e-tron im Test-Team der AUTO ZEITUNG posaunen ihre Wertschätzung für den gut gereiften Elektriker nicht laut heraus, aber sie wählen ihn: Vor den Ford Mustang Mach-E GT, vor den Lucid Air und sogar vor das Mercedes EQS SUV spült es den Audi Q8 e-tron in der Gesamtwertung. 

Der Abarth 500e meldet mittlerweile von einer Ladestation im Tal SoC 100 Prozent in die WhatsApp-Gruppe der Reisegesellschaft, deutet eine Wiedervereinigung im weiteren Verlauf des Tages an – danach schaltet der Fahrer aber den geteilten Standort ab, geht auf kleinen Sträßchen verloren und fährt sich von Herzen schwindlig. Wir lassen ihn. Fotos sind geschossen, alle Fahreindrücke gesammelt – der quietschfidele Abarth 500e hat sich trotz Reichweiten-Limit längst auf Platz fünf im Ranking des "Elektroauto des Jahres 2023" eingenistet, so sexy und animierend ist der kleine Wildfang. Weiter nach vorn? – Jetzt nur nicht übermütig werden, Freundchen. Ein 2+2-Sitzer für 37.990 Euro? Das muss man trotz des herrlich kompletten Fahrspaß-Pakets und der scharfen Optik wirklich wollen.

Elektroauto des Jahres 2023
Foto: Wolfgang Groeger-Meier

Und dann wäre da ja der Smart #1, den wir ohne großes Federlesen als Brabus-Variante in den Wettbewerb geholt haben. Wer noch die alte Marke Smart im Kopf hat, muss schleunigst umdenken: Der "Hashtag-One" ist ein über 1800 Kilogramm schweres, Golf-großes Fünfsitzer-Fünftürer-SUV, stammt aus einem Mercedes-Joint Venture mit den Chines:innen von Geely (Volvo, Polestar, Lotus ...) und leistet in der Brabus-Variante – Achtung, festhalten – deftige 428 PS. Ja, das war einmal BMW M5-Niveau, und nein, man braucht das nicht. Aber Spaß macht es schon. Mehr als der etwas hölzern animierte Fuchs-Avatar auf dem großen Touch-Display in verspieltem Bedienoberflächen-Look, mehr als die 64 Farben der Ambientebeleuchtung. Als Auto ist der #1 ziemlich klasse, er fährt druckvoll, flott und freudig, markiert so die Ersatz-Achterbahn für ganze Kleinfamilien und ist damit auf eine ganz andere Art "smart", als wir es bisher im Kopf hatten. Dass der #1 teilweise etwas einfach verarbeitet ist, dürfte das Glück eines konkurrierenden Mini Countryman sein – trotzdem reicht es dem Smart zum ersten Pokal in unserem Feld: Mehr Power und Lebensfreude plus Alltagstauglichkeit bietet hier keiner unter 50.000 Euro, die Preis-Leistungs-Lorbeeren gehören damit dem Smart #1 Brabus.

Die Jury:

 

Interner Konkurrent für den Hyundai

Dabei hatten wir diese Auszeichnung ziemlich lange einem anderen im Feld zugedacht: Der Hyundai Ioniq 6 ist großartig gemacht, fährt herrlich ausgeglichen, bedarfsweise sanft oder schmissig, zeigt, wie man 2023 ein tolles E-Auto baut und kostet in der Basis nur 43.900 Euro. Wer allerdings mit 325 PS, allradgetrieben und reichweitenstarker 77,4-kWh-Batterie in die Vollen gehen möchte, zahlt 17.200 Euro Aufpreis zur Basis. Allein damit wäre das Preis-Leistungs-Prädikat unerreichbar – es kommt aber noch schlimmer für den Ioniq 6: Sein größtes Problem heißt Ioniq 5, ist technisch eng verwandt, deutlich praktischer, geräumiger sowie exakt gleich teuer. Und laut Blitzumfrage im Team viel schärfer als der Ioniq 6 … Dessen bucklige Coupé-Karosserie gefällt zumindest uns viel weniger als die herrliche Schroffheit des Ioniq 5.

Ja, auch der Hyundai Ioniq 6 kann mit seinem Spoiler-Bürzel-Heck noch ausgesprochen dramatisch polarisieren, aber an der sehr beliebig wirkenden Front scheint dem Designteam schlagartig die Leidenschaft ausgegangen zu sein. Am Ende kommt der intensiv diskutierte Ioniq 6 nicht unter die ersten Drei. Dafür hätte er eine Elektro-Landmarke wie den Porsche Taycan GTS Sport Turismo besiegen, sich charmanter und bodenständig-funktionaler als der VW ID. Buzz geben und dem BMW i7 ein Schnippchen schlagen müssen. Chancenlos. Und ehrlich gesagt hätte das auch unser Favorit Ioniq 5 nicht geschafft. Der BMW, der VW, der Porsche – sie sind auf ihrem jeweiligen Gebiet die momentan Besten. 

Porsche Taycan GTS Sport Turismo
Foto: Frank Ratering

Obwohl der Porsche Taycan GTS Sport Turismo bereits zu den bekannten Größen des E-Auto-Markts gehört, haben wir ihn insgeheim bereits im Vorfeld der Ausfahrt als einen der ganz heißen Anwärter auf den "Elektroauto des Jahres 2023"-Titel geführt. Als sportlich scharf geschliffenes GTS-Modell mit bullig-funktionaler Sport Turismo-Karosserie schien er uns kaum zu schlagen, und diese Vorschusslorbeeren bestätigt er dann auf jedem gefahrenen Kilometer: Sein Cockpit ist frei von den Exzessen pseudo-unterhaltsamer Software-Emotions-Soße, bietet Funktion in Kombination mit sportlichem Stil und starker Verarbeitung. Die Abwesenheit von Zeitgeist-Chichi darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Porsche alle Hausaufgaben in Sachen zeitgemäßer Konnektivität oder Infotainment gemacht hat – nur eben in automotiver Profi-Auto-Qualität und nicht als gefühlig blinkende Leistungsschau des Designs. Die Passform des Taycan Sport Turismo ist Turnschuh-anschmiegsam.

Wenn es dann ans Fahren geht, lässt der Porsche Taycan GTS Sport Turismo alles mit Elektroantrieb hinter sich und sorgt selbst unter Verbrennern für Heulen und Zähneklappern: unfassbar anreißender Druck, millimetergenau dosierbar, fein auflösende Lenkung, Chassis mit Feedback, Kontrolle und Handling zwischen federleicht swingend oder nervenzerfetzend schnell. Autor Johannes Riegsinger wird da ganz unsentimental: "Gegen den Taycan ist ein 911 verblüffend altbacken, der Elektro-Porsche hat den Marken-Klassiker in meinen Augen längst abgehängt." Es wird verräterisch still in der Runde. Dann beginnt jemand Holz zu sammeln, schichtet die Scheite auf. "Was tust du da?" fragt Chefredakteur Uckrow irritiert und bekommt eine knappe Antwort: "Scheiterhaufen. Ketzer müssen brennen, mindestens der 911 GT3 ist echt toll ..." – Nach kurzem Tumult, eilig eingerichtetem Personenschutz für Riegsinger und demokratischer Abstimmung bekommt der Porsche Taycan GTS Sport Turismo das Prädikat "Elektro-Sportler des Jahres".

 

Zweimal ID. Buzz oder einmal BMW i7

Mehr nicht? – Nö. Denn wir haben ja diesen Wettbewerb bewusst weit gefasst, lassen sehenden Auges Fahrzeugkategorien gegeneinander antreten, die Äpfel und Birnen sind. Am Ende hat der Porsche Taycan GTS Sport Turismo eben doch ein betont sportliches Spektrum, der VW ID. Buzz und der BMW i7 bieten mehr Bandbreite. Das findet zumindest eine mittlerweile knallhart debattierende Jury, die sich die Wahl alles andere als leicht macht. Riegsinger provoziert weiter: "Der BMW ist viel zu teuer, so ein State-of-the-Art-Flaggschiff wird bei mir nicht Elektroauto des Jahres 2023. Ich setze den VW ID. Buzz auf die Eins: Sympathisch, gut gemacht, vielseitig, eine Funktions-Punktlandung für jeden Moment, fährt pfiffig, flott und komfortabel, die 204 PS reichen immer und überall, und dank 423 Kilometer Reichweite sowie anspruchsvoller Schnellladefähigkeit würde ich mit dem Buzz selbst in den Familienurlaub fahren. Ach, und bidirektional laden kann der ID. auch – wenn das in Deutschland endlich mal freigeschaltet wird, hab ich mit dem Buzz quasi eine Powerbank für selbstgeernteten Photovoltaik-Strom an Regentagen ..."

Testchef Godde deutet zaghafte Unterstützung an: "Das Bedienkonzept des VW ID. Buzz ist im direkten Vergleich wohltuend klar, und auch wenn wir sonst immer über den irren Grundpreis des Buzz von fast 65.000 Euro schimpfen, ist der in diesem Vergleich gemessen an Nutzwert und Charme fürs Geld ja bemerkenswert günstig." – "Stimmt, der BMW ist über doppelt so teuer", feixt Riegsinger – und dann meldet sich mahnend der Urbanke: "Kollegen, hier geht es nicht um Kompromisse, sondern um das beste Elektroauto des Jahres. Und das ist mit großem Abstand der BMW i7." Das Team schweigt. Geht in sich. Fährt in Gedanken all die BMW-Momente der letzten Tage nach. Und dann unterschreiben die Lucid-, Buzz-, Taycan-Fans und selbst der gerade eben eingetrudelte Fahrer des Abarth 500e die Schlusswertung: Der BMW i7 wird das "Elektroauto des Jahres". 

Elektroauto des Jahres 2023
Foto: Wolfgang Groeger-Meier

Mit dem aktuellen 7er hat BMW einen großen Wurf hingelegt, dessen Design zwar wieder einmal alles zwischen Abscheu und Begeisterung provoziert, der aber unfassbar gut fährt. Sein sahniger, sensibler, definierter Komfort ist regelrecht spektakulär und wird in Kombination mit dem nahezu geräusch- und vibrationslosen Elektroantrieb weiter perfektioniert. Der i7 kann aber nicht nur abrollen, federn und dämpfen wie ein Rolls-Royce, sondern auch Kurven feilen wie ein BMW: Mit präziser Lenkung, hellwachem Handling und zupackender Traktion saugt er die trickreichsten Straßenverläufe auf, animiert dabei ohne zu treiben. Dass der i7 (2640 kg) beinahe so viel wiegt wie das Mercedes EQS SUV (2660 kg), ist ihm nicht abzuspüren: Gegenüber dem hoch aufbauenden SUV scheint er in Fahrt gefühlt eine halbe Tonne abzuschütteln. Im von uns gefahrenen xDrive60-Trimm (544 PS, 745 Nm) feuert der BMW i7 bei Bedarf in knapp unter fünf Sekunden aus dem Stand auf Landstraßentempo und segelt auf der Autobahn stramme 240 km/h – man kann also, wenn man will.

Die reinen Daten geben allerdings den souveränen, dreckigen Punch des BMW i7 nicht ansatzweise wieder, er führt in ein Samttuch eingehüllt einen ganz dicken Vorschlaghammer mit. Und dass die 106-kWh-Batterie solide 625 Kilometer WLTP-Reichweite ermöglich, das Laden schnell und zuverlässig funktioniert, gehört selbstverständlich zum Paket. Michael Godde umschwärmt den i7 als ein "starkes Reiseauto, in dem man gut sitzt" – nur Leslie Schraut widerspricht sofort: "Mir sind die Sitze viel zu groß!" Dieser Einzelmeinung möchte sich aber niemand so recht anschließen, das Team ist zu sehr mit Schwärmen beschäftigt: wie anderweltig der Siebener eingerichtet ist und wie edel und detailverliebt er wirkt … Aber das hat ja mit "Elektroauto des Jahres 2023" wieder gar nichts mehr zu tun.

 
Johannes Riegsinger Johannes Riegsinger
Unser Fazit

Elektroauto des Jahres – das ist für die AUTO ZEITUNG ein Novum. Wir folgen mit dieser Jury keinem künstlichen Zeitgeist-Trend, sondern der Tatsache, dass die momentan spannendsten Autos einen E-Antrieb haben. Hierhin gehen die Entwicklungsgelder der Industrie, hier zeigen die Hersteller, wie sie sich die Zukunft des Automobils vorstellen. Während Elektroautos noch vor wenigen Jahren eher Nischenprodukte waren, ausgerichtet auf rein urbane Zweckmobilität, erobert sich der E-Antrieb mittlerweile alle Fahrzeug-Segmente. In unserem Alltag bei der AUTO ZEITUNG haben wir es zunehmend mit Elektroautos zu tun, und auch wenn wir die politischen sowie gesellschaftlichen Randbedingungen zusammen mit unseren Leser:innen teilweise äußerst kritisch beobachten, so können wir uns der Faszination dieser Modelle nicht entziehen. Wir fahren gern elektrisch.

Dass man vor allem auf Reisen und beim Laden gegenüber Verbrenner-Abläufen dramatisch umdenken muss, empfinden nicht wenige Redaktions-Mitglieder eher als spannende und manchmal sogar positive Herausforderung. Interessanterweise sind es gerade die Viel-Elektro-Fahrer:innen im Team, deren Sympathie fürs elektrische Fahren besonders ausgeprägt ist und die die Ladeinfrastrukturprobleme oder die Reichweiten-Diskussionen sehr entspannt sehen. Und noch eine Beobachtung: Speziell Menschen im Team, die prinzipiell auf sportliche, emotionale und charaktervolle Autos "abfahren", finden Elektroautos besonders spannend – dass diese im Vergleich zu den Verbrennern langweilig oder reizlos wären, können wir nach tausenden Kilometern in modernen E-Autos nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil.

Mit unserer Nominierung von zehn aktuellen Elektroautos haben wir nicht versucht, einen Querschnitt durch den Markt darzustellen, sondern Autos gewählt, die Fahrfreude vermitteln oder Ansprüche auf Leistungsführerschaft erheben. Allein bevor es zur Nominierung kam, wurde intensiv diskutiert: Hätte beispielsweise nicht lieber ein normaler Fiat 500e den Platz des aufregenden (und teuren) Abarth 500e einnehmen müssen? Hätten wir nicht mehr Autos wie den chinesischen Preis-Leistungs-Knaller MG 4 nominieren sollen? Hätten Exoten wie ein Rimac oder Leistungs-Überflieger wie das Tesla Model S Plaid in das Feld der Nominierten gehört? Am Ende sind wir dann aber doch beim hier vorgestellten Feld gelandet.

Auch nach der Wertungs-Reise stehen wir zu unseren Nominierten: Wir finden den Lucid Air trotz seiner Bedienungs-Mängel und Verarbeitungsschwächen ungemein spannend, unternehmen im Mercedes EQS SUV gern komfortable, tiefenentspannte Reisen, führen den Hyundai Ioniq 6 auf unserer inneren Liste der wirklich bemerkenswerten Autos und bestaunen den hohen Reifegrad des Audi Q8 e-tron – die Klassensieger und vor allem der Gesamtsieger BMW i7 haben sich jedoch beinahe spielerisch durchgesetzt. Über 400 PS in ein alltagstaugliches Kompakt-SUV zu packen – das schafft Smart mit Bravour im #1 Brabus. Maximalen Nutzwert, ausgesprochen hohe Funktionalität und uneingeschränkte Familien-Tauglichkeit mit großem Charme und schöner Fahrfreude zu verbinden – darin ist der VW ID. Buzz ganz groß. Die Feinnervigkeit und Emotionalität eines reinrassigen Sportwagens mit begeisternder Alltagstauglichkeit kombinieren, das realisiert derzeit nur der Porsche Taycan auf allerhöchstem Niveau. Er ist ein großer Wurf und wird sich unserer Meinung nach als Klassiker etablieren – nicht trotz, sondern gerade wegen seines Elektroantriebs.

Der momentane Höhepunkt des E-Autobaus heißt aber BMW i7. Er ist ein beeindruckendes 360-Grad-Erlebnis, komfortabel, sportlich, luxuriös, charaktervoll. Sein technisch hoch entwickelter E-Antrieb ergänzt ihn. Erweitert ihn. Und macht ihn zu einem noch besseren, noch reizvolleren Automobil.

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