Volvo TP21 "Sugga": Classic Cars
Das unbekannte Ungetüm von Volvo
Der Volvo TP21 "Sugga" hat seine Wurzeln beim Militär. Der spektakuläre Allradler begeistert noch heute, ist aber leider selten geworden. AUTO ZEITUNG Classic Cars hat ein Exemplar unter die Lupe nehmen dürfen!
AUTO ZEITUNG Classic Cars hat mit dem Volvo TP21 "Sugga" einen echten Allrad-Exoten ausfindig gemacht. Auch wenn Volvo schon seit mehr als 100 Jahren existiert, so entfaltete sich der Glanz der Marke erst so richtig nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu dieser Zeit begründeten die Volvo den Ruf schwedischer Sicherheit, des Fortschritts und der klassenlosen Eleganz. Man denke nur an den legendären Buckel, den bildschönen Amazon oder gar an den rassigen P1800, in dem Roger Moore als Simon Templar unterwegs war. Kaum zu glauben, dass auch dieser dunkelrote Volvo-Personenwagen aus jener Zeit stammt. Er beeindruckt mit bollerndem V8-Motor, Allrad- und Rahmentechnik aus dem Lkw-Bau, ausgestellten Radhäusern, Big-Foot-Rädern und einem quadratischen Monster-Kühlergrill auf Augenhöhe. In der Riege der eben aufgezählten, eher grazilen Nordlichter wirkt er so, als würde ein prall mit Testosteron gefüllter Rugby-Spieler mit ohrenbetörendem Heavy-Metal-Soundtrack bei einer Ballett-Aufführung im Göteborger Opernhaus auftreten. Einen solch ungehobelt archaischen Auftritt würde man eher den russischen Marken Zil oder Ural zutrauen, aber doch nicht den modernen Schweden. Unter der eigentlichen Modellbezeichnung Volvo TP21 (TP steht für "Terräng Personvagn") kennt ihn wohl kaum noch jemand. Vielmehr dürfte man schon mal den Namen gehört haben, den sich das Raubein schon während seiner aktiven Zeit verdient hat: "Sugga". Das ist Schwedisch und bedeutet auf Deutsch sinngemäß so viel wie Wildsau. Ob nun die gewaltige Schnauze, das pummelige Hinterteil oder seine ausgeprägten Fähigkeiten im Unterholz zu dieser Bezeichnung führten, ist nicht überliefert. Der Name könnte jedenfalls nicht treffender sein. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Mit dem Volvo XC40 bei ThyssenKrupp:
Classic Cars: Das ist der Volvo TP21 "Sugga"
Dass den Volvo TP21 "Sugga" heute kaum noch jemand kennt, ist nicht verwunderlich. Denn zwischen 1953 und 1958 wurden nur gut 724 Stück hergestellt, alle mehr oder weniger in schwedischer Handarbeit. Dazu setzte man die geräumige Stahl-Karosserie eines Volvo-Taxis (PV831) einfach auf das mächtige Rahmen- Chassis eines Allrad-Lkw – samt Starrachsen, Untersetzungsgetriebe und mechanischer Achsdifferential-Sperren. Ähnlich ging man schon beim legitimen Vorgänger vor – dem TPV m/43 aus den 1940er-Jahren. Eine Fließbandproduktion für das schwere Zwitterwesen aus den 1950er gab es nicht. Dabei war nicht ausgeschlossen, dass der TP21 tatsächlich auch als ziviler Personentransporter verkauft werden würde. Schließlich gab es auch damals schon genug private Menschen, die sich so ein allradgetriebenes Allzweckgerät mit überragenden Geländefähigkeiten, 500 Kilogramm Nutzlast und reichlich Zugkraft gewünscht hätten. Doch dazu kam es nicht. Es wurde nur ein einziges ziviles Muster gebaut. Alle anderen Sugga gingen ausschließlich ans schwedische Militär – natürlich im Tarnanzug lackiert. Und dort leisteten die robusten und wendigen Funkaufklärer (auf Schwedisch Radiopersonterrängbil, kurz: "Radiobil", Typ 915) lange treue Dienste. Schließlich war trotz der Neutralität Schwedens im Kalten Krieg das Abhören beider Seiten zwischen den Fronten extrem wichtig. So ein Sugga schlich sich also im Zeichen der nationalen Sicherheit in die unzugänglichsten Winkel an der Grenze, grub sich sprichwörtlich in die Deckung ein und lauerte auf Nahrung für die gewaltigen Funkgeräte im Heck. Durchs Unterholz konnte er sich dank der massiven Eisenstoßstange und der großen grobstolligen Räder einfach eine eigene Schneise schlagen. Kleine Sträucher oder gar Bäume waren dabei kein Hindernis für die 2,30 Meter hohe eiserne Wildsau.
Volvo TP21 "Sugga" mit 120 PS und Allradantrieb
Vor allem der kurze erste Gang des Getriebes und natürlich die Untersetzung waren ideal für das unwegsame Gelände. Und per Dreh am Hebel konnten beide Achsen mechanisch gesperrt werden. Damit konnte die Wildsau erst so richtig durch den Schlamm pflügen. Schnell war so ein Volvo TP21 "Sugga" allerdings nicht. Zunächst wurden alle Modelle von einem seitengesteuerten Reihensechszylinder-Motor mit 3,7 Litern Hubraum und 90 PS (66 kW) namens Volvo ED angetrieben. Doch mit den knapp drei Tonnen Leergewicht hatte selbst dieses antiquierte Trumm von Motor so seine Mühe, sodass viele der Radiobils nach einem Rückruf in die Volvo-Schmiede den deutlich stärkeren Lkw-V8 (B36) mit 120 PS (88 kW) und 260 Newtonmeter Drehmoment eingepflanzt bekamen. Der hat nicht nur mehr Dampf im Kessel, sondern liefert auch gleich das passende schnaufende Knurren und Fauchen. Zur klassischen Standardausrüstung eines Funkerteams gehörte neben den langen Antennen auf dem Dach nicht selten auch ein Fahrrad, das an einem massiven Klapp-Heckträger befestigt war. Denn abgefangene Nachrichten wurden zur Sicherheit lieber per Rad ins Hauptquartier transportiert. Diesen harten Alltag überlebte die zähe Sugga-Rasse über viele Jahrzehnte. Doch die Modernisierung des Militärs und die damit verbundene Ausmusterung der alten Technik reduzierte den Bestand nachhaltig. Einige Wildsau-Exemplare hatten jedoch Glück und fanden liebevolle Privatpersonen. Die meisten aber schafften es nicht, wurden geschlachtet oder werden noch immer in vergessenen Ecken unter freiem Himmel von der braunen Pest dahingerafft.
Bestand: Maximal noch 250 Exemplare vom Volvo TP21 "Sugga"
Die genaue Zahl der überlebenden Volvo TP21 "Sugga" ist schwer zu beziffern. Hin und wieder findet sich ein fahrbereites Exemplar auf internationalen Fahrzeugbörsen zu Preisen jenseits der 30.000 Euro. Doch wer ein so perfekt restauriertes Schmuckstück wie dieses mit der Chassisnummer 17 auf dem Rahmen haben will, wird es wohl kaum für Geld und gute Worte bekommen. Und um einen vergammelten Scheunenfund in einen vergleichbaren Zustand zu versetzen, braucht es schon jede Menge Jagdinstinkt, Mut, zähes Ausdauervermögen und eine gehörige Portion Wahnsinn. Das bringt uns direkt zum Eigentümer der dunkelroten Wildsau: Alexander Küpper. In der Volvo-Szene ist er nicht unbekannt. Rundstreckenrennen in getunten Amazonen waren in der Sturm-und-Drang-Zeit seine Spezialität. Das Volvo-Forum "Volvoniacs" baute er mit auf. Vor einigen Jahren setzte sich "Küppi" dann die Sache mit dem Sugga in den Kopf. Aber das Finden einer anständigen Basis dauerte immerhin drei Jahre. "Mit der Zeit kannte ich alle Angebote persönlich – auch die aus Schweden", erinnert er sich. Nahezu alle in den Inseraten angebotenen Volvo Sugga entpuppten sich nach rund 50 Jahren im Schlamm als nicht mehr zu rettende Stahlwracks. "Vielleicht gibt es insgesamt noch 200 oder 250 Stück auf der Welt. Aber nicht einmal die Hälfte davon dürfte fahrbereit sein." Küppers Auto ist das 17. je produzierte. Es wurde 1953 gebaut. "Küppi" kaufte es nur auf Grundlage eines handgeschriebenen schwedischen Briefs und vier schlechter Fotos auf Papierabzügen. Er ließ es von einer Spedition nach Deutschland liefern und konnte erst hier begutachten, was er da eigentlich gekauft hatte.
Liebevolle Restauration des Volvo TP21 "Sugga"
Mehr als fünf Jahre dauerte die Restaurierung. Erfahrungsberichte gab es keine. Teile sowieso nicht. Blechmaße, Detailfotos und Orientierungshilfen – Mangelware! Und so arbeitete sich "Küppi" selbst in die Materie ein. Er traf andere Sugga-Besitzer:innen, baute ein Netzwerk auf. Man muss mit der Zeit wohl eine gewisse Besessenheit entwickeln, sonst bringt man ein solches Vorhaben wohl kaum zu Ende. Das Verzweiflungs-Potenzial ist jedenfalls riesig. Nicht umsonst finden sich viele Restaurierungsabbrüche unter den Inseraten. Doch "Küppi" zog es durch. Er trennte die Karosserie vom Rahmen. Strahlte das Metall. Fertigte Bleche von originaler Stärke an. Renovierte Blattfederpakete und Achsen. Ließ Spezialfarbe in der Lackiererei anfertigen. Selbst einen Original-Fahrradträger spürte er auf und versetzte ihn mit viel Liebe zum Detail in Neuzustand: "Man kann nicht mal eben zum Volvo-Händler gehen und originale Teile bestellen." So wird eine solch aufwändige Restaurierung schnell zu einem ganzen Lebensabschnitt. Unvergessliche Anekdoten entstehen dabei genug – ob Powerschrauben mit den Kumpels über 36 Stunden oder die Gänsehaut beim ersten Anlassen des überholten Motors. Doch dass beim Umdrehen der Karosserie tatsächlich noch alte schwedische Militärmunition aus den versteckten Hohlräumen purzelte, findet selbst der Restaurator im Nachhinein unglaublich. Am Ende wurde das Auto pünktlich zur Hochzeit mit der Dame seines Herzens fertig. Und die Jungfernfahrt des wiederbelebten Sugga erfolgte in Anzug und Brautkleid – natürlich mit Blumenschmuck auf der Motorhaube. Nun steht ein weiteres Projekt vor der Haustür: Ein Buckel PV444 aus dem gleichen Jahrgang. Doch das ist eine andere Geschichte .