Porsche-Werksrestaurierung: Hier entstehen alte Neuwagen!
Wiedergeburts-Klinik für Zuffenhausener
Rund 70 Prozent aller jemals gebauten Porsche fahren noch. Wer wissen will warum, sollte sich auf den Weg in ein unscheinbares Gewerbegebiet im schwäbischen Asperg machen. Dort versteckt sich die Porsche-Werksrestaurierung.
Ja, hier in der Porsche-Werksrestaurierung ist einiges anders. Keine Spur der üblichen Werkstatthektik, keine lauten Rufe, es rattern weder Schlagschrauber im Akkord, noch knacken Drehmomentschlüssel um die Wette. Es gibt auch keine raschen Schritte oder fliegenden Hände, die Inspektionen oder Reparaturen in sportlich bemessenen Arbeitszeitvorgaben ausführen müssen. Hier in Asperg vor den Toren Stuttgarts herrscht eine nahezu kontemplative Gelassenheit. Rund 30 Mitarbeiter:innen sind damit beschäftigt, Zuffenhausener Preziosen, egal ob Old- oder Youngtimer, neues Leben einzuhauchen
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Der Porsche 911 GTS (2024) im Fahrbericht (Video):
Porsche-Werksrestaurierung: Eine Werkstatt als automobile Wiedergeburtsklinik
Eine Werkstatt als automobile Wiedergeburtsklinik. Hochqualifizierte "Geburtshelfer:innen" schauen statt auf die Uhr lieber zweimal hin. So wie Udo Lang, Spezialist für den Porsche Carrera GT-Motor, jenem Aggregat, das für einen Le Mans-Prototyp entwickelt wurde, dann aber in dem von 2003 bis 2006 in Leipzig gefertigten straßenzugelassenen Supersportler zum Einsatz kam. Der 612 PS (450 kW) starke 5,7-l-V10 des nur knapp 1300 Mal gebauten Renners wurde komplett überholt. "Man muss bei der Montage sehr vorsichtig sein, damit die Dichtungen richtig sitzen", erklärt der Spezialist, während er behutsam die Ansaugbrücke aufsetzt.
Das glaubt man gerne, würden Fehler doch sehr teuer. Immerhin stand der Carrera GT seinerzeit mit rund 452.000 Euro in der Preisliste. "Was eine Überholung oder Restaurierung kostet, hängt vom Aufwand ab, der nach eingehender Prüfung zu Beginn der Arbeiten geschätzt wird", berichtet Porsche Classic-Leiterin Ulrike Lutz. Der Schnäppchen-Alarm bleibt auf jeden Fall aus. Ersatz für ein am Bordstein vermacktes Leichtmetallrad des Carrera GT? Mit 8047 Euro ist man da noch günstig unterwegs, schlägt doch ein neues Kurbelgehäuse mit 54.288,94 Euro zu Buche. Dagegen erscheinen die Teile für ältere Porsche 911er geradezu günstig, etwa ein originales Magnesium-Kurbelgehäuse für die 2,0- und 2,2-l-Motoren mit rund 10.200 Euro.
Zeit- und damit kostenintensive Akribie
Ähnlich hochpreisig wird es bei einem Getriebe. In einer Nachbarhalle ist Tobias Kariegus mit dem Neuaufbau von Porsche 993er-Kraftübertragungen beschäftigt. Vor ihm liegt ein Puzzle aus Zahnrädern, Lagern, Schaltgabeln und unzähligen Kleinteilen, das ihn keineswegs aus der Ruhe bringt. Schließlich verfügt der 33-Jährige über eine Menge Erfahrung, denn Getriebethemen sind bei Kariegus Familiensache: Schon der Vater hat als Getriebespezialist in der Porsche-Classic-Werksrestaurierung gearbeitet und sein Know-how an den Junior weitergegeben, bevor er in den Vorruhestand wechselte. Wer das Sammelsurium an Teilen sieht, ahnt, wie viele Arbeitsstunden erforderlich sind, um daraus ein bestens funktionierendes Getriebe zu formen, und dadurch schnell eine fünfstellige Summe auf der Rechnung stehen kann. Unverzichtbar ist auch hier ein ausgeprägter Hang zur zeit- und damit kostenintensiven Akribie. "Die Schalteinstellung beim G50/21-Getriebe des 993 ist sehr anspruchsvoll, speziell zwischen dem fünften und sechsten Gang", verrät Getriebe-Guru Kariegus und ergänzt: "Trotzdem macht die Arbeit sehr viel Spaß."
"In der Werksrestaurierung bei Porsche Classic verwenden wir hauptsächlich Komponenten mit Garantie aus unserem umfassenden Sortiment von über 80.000 Originalteilen. Das bedeutet für den Kunden maximale Sicherheit“, erläutert Porsche Classic-Chefin Lutz. Auf die Teile haben nicht nur zertifizierte Werksrestaurierungs-Betriebe in Deutschland und den USA Zugriff, sondern auch die Händler. Inzwischen wurden 2600 Teile, die nicht mehr lieferbar waren, neu aufgelegt. Bremstrommeln und dazugehörige Kleinteile für den Porsche 356 zum Beispiel. Insgesamt reicht der Ersatzteilbestand vom 356er bis zum 987er (Porsche Boxster, 2. Generation) aus dem Jahr 2012. Generell kümmert sich Porsche Classic um alle Modelle, die seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gebaut werden.
Wer nun befürchtet, dass sich die Wiederbelebungsmaßnahmen ausschließlich auf die Themen Antrieb, Fahrwerk und Karosserie beschränken, kann aufatmen. Dank PCCM (Porsche Classic Communication Management) gibt es inzwischen nicht nur Ersatz für sich im Alter gelb verfärbende Infotainment-Bildschirme in Modellen wie dem inzwischen auch schon mehr als 25 Jahre alten 996, sondern auch digitales Infotainment zum Nachrüsten, etwa für das ab 1974 gebaute G-Modell des 911.
1000 Arbeitsstunden für die Karosserie
Bei der Porsche-Werksrestaurierung alter Modelle vor 1976 – dem Jahr, in dem die Zuffenhausener die Karosserie-Vollverzinkung einführten – ist Rost ohne Zweifel ein Thema. Davon kann Karosseriebaumeister Carlos Heß ein Lied singen, während er die Rohkarosse eines 911 2.2 S aus dem Jahre 1969 begutachtet, jenem 11er, bei dem die Ölkühlerleitungen noch durch die Schweller führten. Hier hat die braune Pest ganze Arbeit geleistet und unzählige Flächen perforiert. "Na ja, Hutablage und Armaturenbrett-Träger sind einwandfrei. Ansonsten ist es sehr viel Arbeit", was die Fachleute hier nicht schreckt, sondern als Herausforderung betrachten. "Für eine Karosserierestaurierung können locker 1000 Arbeitsstunden nötig werden", erklärt der Fachmann, während er eine grüne Heckscheibenlehre behutsam in den Fensterrahmen einlegt und mit strengem Blick überprüft, ob das neue Dach an einem 911er von 1970 perfekt eingeschweißt wurde.
In der Karosserieabteilung ist Gelassenheit ebenfalls Trumpf, was dazu führt, dass die Blechhaut eines alten Porsche genauestens analysiert werden kann, bevor die Arbeiten beginnen. "Der hier", sagt Carlos Heß und deutet auf einen 964 Turbo, "wurde als unfallfrei verkauft. Ist er aber nicht", spricht das Adlerauge und deutet auf kleine Blechfalten im Radhaus. Fehler wie diese "bügelt" das Team durch sorgfältiges Einschweißen neuer Reparaturbleche aus. Sind die Karosseriearbeiten erst mal erledigt, geht das restaurierte Porsche-Blechgehäuse auf die Reise zur kathodischen Tauchlackierung (KTL). Ein Verfahren, bei dem die Karosserie in einem Bad aus wässrigem Tauchlack elektrochemisch beschichtet wird und danach bestens korrosionsgeschützt wieder herauskommt.
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Sattlerei: Alte Nähmaschine für die historisch akurate Optik
Trägt der Zuffenhausener dann seine finale Lackfarbe, steht die Komplettierung der Porsche-Werksrestaurierung an, für die zahlreiche fleißige Hände bereits wertvolle Vorarbeit geleistet haben. Zwei davon gehören Peter Schwämmle, der seit 42 Jahren bei Porsche arbeitet, derzeit in der Sattlerei tätig ist und sich bestens auf den Umgang mit alten Materialien versteht. "Statt Schaumstoff wie bei modernen Autos wurde früher Watteflies in den Sitzpolstern verwendet. Dieses heute auf Maß zu fertigen, ist schon eine Herausforderung", erzählt der Spezialist aus seinem Arbeitsalltag, während er zur Abwechslung mit einem Kantenzieher die Ränder eines Lederbands zur Reisekofferbefestigung für einen Porsche 356 abrundet. Auch eine alte Nähmaschine gehört zur Werkzeugsammlung der Sattlerei. "Die näht mit runder Nadel, was ein anderes Nahtbild ergibt, als wir es heute kennen. Dafür entspricht es exakt der Optik, wie sie die historischen Fahrzeuge hatten", weiß Sattler Schwämmle zu berichten.
Unterdessen bezieht seine junge Kollegin Maren Siedentopf die Türbrüstung eines 911 Speedster neu. Sie hebt das Bauteil mehrmals ins Licht und prüft mit routiniertem Insiderblick die Ledernaht. "Der geradlinige Nahtverlauf ist besonders wichtig", erklärt sie die Feinheiten. Ob Antrieb, Fahrwerk, Elektrik oder Interieur: Die Pedanterie, mit der die Spezialist:innen in Asperg zu Werke gehen, zeugt von hohem Qualitätsbewusstsein. Dies führt dazu, dass auch die Ausstellungsstücke des Werksmuseums in Stuttgart-Zuffenhausen, die ebenfalls von Porsche Classic betreut werden, wie aus dem Ei gepellt dastehen.
Neuwagen-Gefühle im 356 Speedster von 1955
Doch was nützen perfekt hergerichtete Pretiosen, wenn sie nicht ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden? Eben! Und so steht ein Porsche 356 Speedster von 1955 vor der Porsche-Werksrestaurierung, bereit für eine Ausfahrt und die Gelegenheit, offene Sportwagen-Geschichte zu bewegen. Der Klassiker, Transportmittel von Sehnsüchten einst wie heute, wirkt wie frisch vom Band gelaufen. Lack und Chrom glänzen um die Wette, das feuerrote Interieur wirkt makellos. Die Tür fällt satt ins Schloss, per Knopfdruck erwacht der 1,5-l-Vierzylinder-Boxer zum Leben. Die beiden Solex-Vergaser lassen das Kraftstoff-Luftgemisch in die Brennräume strömen und wirken bestens abgestimmt. Kein Verschlucken, kein Magerruckeln, stattdessen eine ziemlich perfekte Gasannahme. Der Schalthebel bedingt nach heutigem Geschmack recht lange Schaltwege, dafür rasten die Gänge perfekt ein. So mäandern wir durchs Land rings um Stuttgart. Klar, die luftgekühlten 55 PS (44 kW) sind nach heutigen Standards nicht die Welt, reichen aber für überraschend zügiges Fortkommen.
Zur Erinnerung: Wenn überhaupt, duellierte man sich damals eher mit solventen Eigner:innen eines BMW 501 oder Opel Kapitän und fuhr am Steuer des 356 Speedster ob seines Fliegengewichts von nur 760 kg meist voraus. Damals wie heute ist aber persönlicher Einsatz gefragt. Man darf bei entsprechend temperiertem Motoröl keine Angst vor Drehzahlen haben, muss bereit sein, beherzt am großen Lenkrad zu arbeiten, um Kurven aller Radien zu durchmessen oder den leicht tänzelnden Vorderwagen stets mit leichten Richtungskorrekturen auf Kurs zu halten. Selbstverständlich gehört bei Bedarf auch ein kräftiger Tritt auf das Bremspedal dazu, damit die ABS- und ESP-freie Frischluft-Preziose zum Stehen kommt. Die 160 km/h Höchstgeschwindigkeit reizen wir nicht aus. Dafür zieht es hinter der knapp dimensionierten Windschutzscheibe zu sehr. Das karge Stoffverdeck mit den einsteckbaren Seitenscheiben lassen wir trotzdem unten. Und so stellt sich das puristische Fahrgefühl ein, das in einer Zeit der Übersättigung mit elektrischen und elektronischen Helferlein so befreiend wirkt.