Pagani Huayra (2012): Retro-Testfahrt
Wir sind den "Gott des Sturms" gefahren
Für die Retro-Testfahrt begeben wir uns ins gut gefüllte AUTO ZEITUNG-Archiv: Hier finden wir Fahrberichte faszinierender Autos. Dieses Mal: der Pagani Huayra von 2012.
Huayra Tata heißt in der indigenen Sprache Aymara im Grenzgebiet von Peru, Bolivien und Chile der Gott des Windes. Der Argentinier Horacio Pagani hat seine Kreation nach jenem fürs Sturmgebraus zuständigen höheren Wesen benannt: Pagani Huayra. Da die korrekte Aussprache dieser Buchstabenkombi aus H, Y, R und drei Vokalen nicht nur teutonischen Zungen schwerfällt, wird er schlicht Wai-ra genannt, wobei das Ai lang gezogen, das kurze R eher nordamerikanisch bei eingerollter Zunge den Mund verlässt. Nochmal zum Üben: Wai-ra. Na bitte, geht doch! Deutlich unkomplizierter ist die Bestimmung des Huayra: sehr dynamisch und sehr schnell. In der Tat wirkt gegen den Sportler aus Norditalien ein Orkan wie eine laues Lüftchen. Die Fakten: 730 PS (537 kW), 1000 Newtonmeter, 1350 Kilogramm Leergewicht, 360 km/h Spitze, Preis: gut eine Million Euro. Damit ist der Pagani Huayra 2012 einer der schnellsten und teuersten Supersportwagen, die es für Geld zu kaufen gibt – und einer der exklusivsten: Seit seiner Vorstellung 2011 entstanden in der kleinen Manufaktur von Pagani in San Cesario sul Panaro bei Modena zwölf Exemplare. Um entsprechend potente Kundschaft muss sich der erfindungsreiche Designer Horacio Pagani keine Sorgen machen. Im Nahen und Fernen Osten, aber auch in Europa sind seine Autos zunehmend ein Begriff. Und anders als das Vorgängermodell Zonda erfüllt der Huayra auch die Zulassungsbestimmungen für die USA. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der Mercedes-AMG C 63 S E-Performance (2021) im Fahrbericht (Video):
Retro-Testfahrt mit dem Pagani Huayra (2012)
Die flache Silhouette, das nach vorn gesetzte Cockpit, die verheißungsvollen Schwünge – dem Pagani Huayra sieht man auf den ersten Blick sein Leistungsvermögen an. Die böse funkelnden LED-Scheinwerfer über dem weit geöffneten Aerodynamik-Schlund verraten, dass der Pagani nicht nur spielen will. Die Flächen aus schwarz glänzendem Karbon sind hier kein optischer Gag, sondern Kern der Markenphilosophie. Horacio Pagani setzt auf konsequenten Leichtbau. Chassis und Cockpit sind als Kohlefaser Monocoque mit Titan-Hybridelementen ausgeführt, Flugzeug-Aluminium kommt verschwenderisch zum Einsatz, das Fahrwerk wird aber über Hilfsrahmen aus hochfesten Stählen abgefangen. Der von der Mercedes-Tochter AMG gebaute V12-Motor ruht fast in der Mitte nahe am Boden, seine Kraft überträgt er über ein sequenzielles Siebengang-Getriebe des britischen Herstellers Xtrac, das lediglich 96 Kilogramm auf die Waage bringt. Die nur zehn Kilogramm schwere Titan-Auspuffanlage mit vier im Quadrat angeordneten Endrohren bildet einen würdigen Abschluss. Doch der Supersportler verbreitet keineswegs die Aura kalter Zweckmäßigkeit: Verspielte Details wie die Außenspiegel auf Karbonträgern, Lederriemchen als Verschlüsse oder die beiden seitlichen Laderäume für zwei maßgeschneiderte Lederkoffer beweisen, dass auch die Ästhetik beim Entwerfen unverzichtbar war. Das wird noch deutlicher, wenn man sich unter der weit aufschwingenden Flügeltür ins Innere des Pagani Huayra wagt. Statt der erwarteten brettharten Kunststoffschalen findet man sich in relativ bequemen Sportsitzen wieder, die mit einem Leder feinster Qualität bezogen sind. Der kunstvolle Schalthebel aus Aluminium oder der aus einem Block gefräste Instrumententräger dokumentieren auch hier die Liebe zum Detail. Anders als andere Kleinserien-Sportwagen, die ewig im improvisiert wirkenden Prototypstatus verharren, strahlt der Pagani absolute Perfektion aus. Jede Naht sitzt, alles passt hundertprozentig, Navigation, Soundanlage und die Klimaautomatik funktionieren so präzise und selbstverständlich wie in der Luxuslimousine eines deutschen Premiumherstellers.
Liebe fürs Detail trifft auf famosen V12
Durch einen Dreh am zentral positionierten Aluminium-Schlüssel in Form der Huayra-Karosserie erwacht der Zwölfzylinder zum Leben. Das Ganze geschieht ohne brüllendes Wichtigtuer-Gehabe: Der Anlasser surrt, die Benzinpumpe summt – und schon blubbert der V12 leise vor sich hin. Über eine Drucktaste am Lenkrad lässt sich das sequenzielle Getriebe einstellen: Sport, Komfort, Automatik. Für die ersten Kilometer innerorts und zum Kennenlernen empfiehlt sich der Automatik-Modus. Damit lässt sich der Sportler regelrecht brav in Bewegung setzen. Übers Werksgelände und durchs Industriegebiet geht es im Schongang. Zwar lässt ein leichter Druck aufs Pedal die nächste Kreuzung verblüffend schnell näher kommen, trotzdem hat man irgendwie das Gefühl, in diesem Auto jeden Morgen zum Brötchenholen fahren zu können. Sogar die Schweller einer verkehrsberuhigten Zone nimmt der Pagani Huayra dank Liftfunktion an der Vorderachse. Dann ist endlich die Landstraße erreicht. Nach dem Wechsel in den Sport-Modus lässt sich das Getriebe über die Paddel am Lenkrad oder den Hebel auf der Mittelkonsole schalten. Auch Motor und Fahrwerk sind jetzt auf Krawall gebürstet. Ohne Zögern spricht der Zwölfzylinder auf Beschleunigungsbefehle an. Schon bei gut 2000 Touren steht das Drehmoment von sagenhaften 1000 Newtonmetern zur Verfügung. Das energische Vorwärtspreschen wird vom Pfeifen der beiden Turbolader begleitet, ab etwa 4000 Umdrehungen tritt der Motor akustisch deutlicher in den Vordergrund – er brüllt und schreit, klingt aber nie unangenehm. Geht man vom Gas, sorgen die Wastegate-Ventile für die Begleitmusik. Das Einlenken erfolgt präzise, die Brembo-Bremsen packen beherzt zu, der erreichbaren Kurvengeschwindigkeit wird auf der wenig befahrenen Landstraße bei Modena eigentlich nur von der Polizei Grenzen gesetzt. Denn der Huayra kann viel mehr. Die vier Flaps an Front und Heck des Pagani, die ab Tempo 80 elektronisch gesteuert für eine durchweg ausgewogene aerodynamische Balance sorgen sollen, kommen hier kaum zur Geltung. Bei ihrer Steuerung werden nicht nur Geschwindigkeit, sondern auch Gierrate, Querbeschleunigung, Gaspedalstellung und Lenkradeinstellung berücksichtigt. Bremst man, stellen sich zum Beispiel die hinteren Flaps steiler in den Wind, das Fahrwerk erhöht die Bodenfreiheit an der Front, um die Radlasten besser zu verteilen. Zusätzlich zu den Flaps sorgen Unterdruckbereiche am Fahrzeugboden für Anpressdruck auf der angetriebenen Hinterachse.
Auch interessant:
Technische Daten des Pagani Huayra (2012)
AUTO ZEITUNG 2012 | Pagani Huayra |
Technische Daten | |
Motor | 6,0-Liter-V12, 3-Ventiler, Biturbo |
Getriebe/Antrieb | 7-Gang-Schaltgetriebe, automatisiert; Hinterrad |
Leistung | 537 kW/730 PS |
Max. Drehmoment | 1000 Nm |
Karosserie | |
Außenmaße (L/B/H) | 4605/2036/1169 mm |
Leergewicht | 1350 kg |
Kofferraumvolumen | k.A. |
Fahrleistungen (Werksangaben) | |
Beschleunigung (0-100 km/h) | 3,3 s |
Höchstgeschwindigkeit | 360 km/h |
Verbrauch auf 100 km (Werk) | k.A. |
Kaufinformationen | |
Basispreis (Testwagen) | 1.022.210 € |
Marktstart | 2012 |
Seit 2003 hat Horacio Pagani mit seinen Mitarbeitenden den Huayra entwickelt. Das Ergebnis ist nahezu perfekt, so der erste Eindruck. Dazu hat AMG mit dem fulminanten V12-Triebwerk beigetragen. Klar ist: Für dieses Auto wird der Gott des Windes seinen Namen bereitwillig zur Verfügung stellen. Und sehr gnädig über Fehler bei der Aussprache hinweghören.