Bugatti Veyron (2005): Retro-Testfahrt
Veyron mit Checkliste wie im Flugzeug
Für die Retro-Testfahrt begeben wir uns ins gut gefüllte AUTO ZEITUNG-Archiv: Hier finden wir Fahrberichte faszinierender Autos. Dieses Mal: den Bugatti Veyron von 2005.
Sechs Jahre nach der Vorstellung auf der Tokyo Motor Show 1999 macht Thomas Bscher, seines Zeichens Bugatti-Präsident, ernst: Das Traditionsunternehmen, das jahrzehntelang im Prinzip nicht existierte, lässt 2005 die ersten Serienexemplare des Supersportwagens Bugatti Veyron 16.4 auf die Straße. Thermische Probleme des zunächst 18- und jetzt noch 16-zylindrigen Motors verzögerten den Serienstart immer wieder. 1001 PS (736 kW) dürfen nun von jeder Person bewegt werden, die sich das leisten kann. Nicht weniger als 1,16 Millionen Euro wollen diskret auf das Konto der kleinen feinen Firma mit dem weltberühmten Namen überwiesen werden. Auf historischem Grund, im elsässischen Molsheim, darf jeder der künftigen maximal 300 Veyron-Eignenden noch Lackwünsche äußern und die Farbe des fein genarbten Rindsleders bestimmen. Danach wird es ernst, und ein gut 20-köpfiges Team montiert die von Volkswagen und ausgesuchten Zulieferern vormontierten Baugruppen in peinlich sauberen Werkshallen zum automobilen Kunstwerk zusammen. Fast 30 Bestellungen, so Bscher, lägen bereits vor, aus den USA, aus arabischen Ländern natürlich, aber auch aus China und Europa. Manche der Interessent:innen hätten gleich zwei Exemplare bestellt – einen für die Garage und einen zum Fahren. Bis zu 50 Bugatti Veyron (2005) pro Jahr können in den restaurierten Hallen am Fuß der Vogesen gefertigt werden. Apropos Fahren: Das teuerste Serienauto der Welt ist auch das schnellste. Aberwitzige 407 km/h zeigt die Tachonadel an, wenn der W16-Motor ausgereizt wird. Aus acht Litern Hubraum, flankiert von vier hitzigen Abgasturboladern, presst dieser Monstermotor seine vierstellige Leistung und ein Drehmoment von 1250 Newtonmeter. Diese Mächte werden über die vordere Haldexkupplung und das hintere Sperrdifferenzial auf die vier angetriebenen Räder verteilt. Wer dieses rekord- und prestigeverdächtige Tempo vom Zentralinstrument ablesen möchte, muss allerdings einiges mehr tun als nur Gas geben. Eine spezielle Checkliste gilt es abzuarbeiten, ähnlich wie in jedem Linienflugzeug. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der Bugatti Bolide (2020) im Video:
Retro-Testfahrt mit dem Bugatti Veyron (2005)
Diese Arbeitsanleitung verlangt zunächst einmal, die zu befahrende Strecke zu überprüfen. Öffentliche Straßen scheiden aus. VW lädt vielmehr auf das werkseigene Testgelände in Ehra-Lessin ein und stellt auch gerne einen Chauffeur. Nächste Checkpunkte: Zeigt der Bordrechner drei bar Druck für alle Reifen an und sind die Spezialpneus von Michelin äußerlich unbeschädigt? Sind die vorderen Diffusorklappen wirklich geschlossen? Hat der Heckflügel seine Hochgeschwindigkeits-Stellung eingenommen? Wenn das alles mit --Ja-- beantwortet worden ist, muss noch der High-Speed-Schlüssel in ein spezielles Schloss zwischen Fahrersitz und Schweller gesteckt werden. Nun kanns losgehen, wobei darauf geachtet werden muss, dass das Tempo nie unter 60 km/h fällt, sonst verweigert der Bugatti Veyron (2005) die 400 km/h, und das ganze Prozedere muss wiederholt werden. Automatisch fährt der Bugatti die wuchtige Karosserie in eine tiefere Position ab, bis sie fast auf der Straße aufzuliegen scheint. Melden die unzähligen Sensoren dem Bordrechner während der Beschleunigungsorgie irgendwelche Unstimmigkeiten an Fahrwerk oder Aerodynamik oder bremst man den Veyron gar ab, geht das Fahrzeug sofort in den Handlingmodus: Damit rennt der Bugatti nur noch 360 km/h. Dieses Tempo ist aber auch ohne die ganze Highspeed-Zeremonie zu erreichen: Wer einfach losfährt, liest auch ohne Checkliste und Zweitschlüssel 370 km/h vom Tacho ab. Wolfgang Schreiber, Bugatti-Chefentwickler, erklärt, dass man ein Plus von 90 PS benötige, nur um 407 statt 400 km/h zu realisieren. Wem das alles viel zu schnell ist, der tritt aufs Bremspedal und erlebt, wozu Hightech-Bremsen in der Lage sind: Die Keramik-Kohlefaser-Scheiben sollen den Bugatti Veyron (2005) im Ernstfall aus Tempo 400 in zehn Sekunden zum Stehen bringen – jederzeit und stets mit dem Risiko einer Ohnmacht angesichts solcher Verzögerungswerte. Auch zwischen Stillstand und Top-Speed stellt der Veyron 16.4 alles, was sich sonst noch Automobil nennt, in den Schatten: Bis Tempo 100 vergehen nur 2,5 Sekunden. Nach 7,5 Sekunden liegen 200 km/h an. Und das alles macht das Siebengang-Direktschaltgetriebe klaglos mit, das allein 100.000 Euro kostet. Schon in den 20er-Jahren hatte der charismatische Firmengründer Ettore Bugatti in Molsheim vollmundig verkündet: Nichts ist zu schön, nichts zu teuer!
Von Dirk Vincken
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Technische Daten des Bugatti Veyron (2005)
AUTO ZEITUNG 2005 | Bugatti Veyron |
Technische Daten | |
Motor | 8,0-Liter-W16-Biturbobenziner |
Getriebe/Antrieb | 7-Gang; Doppelkupplung; Allrad |
Leistung | 1001 PS (736 kW) |
Max. Drehmoment | 1250 Nm |
Karosserie | |
Außenmaße (L/B/H) | 4462/1998/1204 mm |
Leergewicht | 1950 kg |
Fahrleistungen (Werksangaben) | |
Beschleunigung (0-100 km/h) | 2,5 s |
Höchstgeschwindigkeit | 407 km/h |
Verbrauch auf 100 km (Werk) | 24,1 l SP |
Kaufinformationen | |
Basispreis (Testwagen) | 1.160.000 Euro |
Marktstart | 2005 |