Der 1963 in Paris vorgestellte Jaguar S-Type zielte auf Europas Upper Class. Preislich rangierte die britische Limousine auf hohem Niveau, wusste aber auch durch Qualität und Technik zu überzeugen. Classic Cars-Fahrbericht.
Wer sich in den 60er-Jahren einen luxuriösen Viertürer leisten wollte und dabei nobles Understatement zu schätzen wusste, für den gab es ab 1963 etwas Neues von Jaguar: Als 3.4 Litre S und 3.8 Litre S debütierten zwei bis 1968 erhältliche Limousinen, woraufhin sich schnell in Anlehnung an den E-Type die gängige Bezeichnung Jaguar S-Type verbreitete. Sir William Lyons, der Jaguar-Gründer, sah die Möglichkeit, zwischen dem seit 1959 angebotenen, sportlich positionierten Mark II und dem seit 1961 produzierten großen Mark X ein weiteres Modell zu platzieren. Auf Basis des Jaguar-Baukastens sollte eine luxuriösere Variante des Mark II mit den kompakteren Abmessungen des Mark X entstehen. In Coventry begannen die Vorarbeiten für den S-Type unter dem Kürzel "Utah Mk III". Der Mark II war zuvor unter der internen Bezeichnung "Utah Mk II" entwickelt worden, woraus die enge Verbindung beider Fahrzeuge deutlich wird.
Auffällig sind die Parallelen im Karosserieaufbau. Türen, Dach, Windschutzscheibe und die leicht überarbeiteten Kotflügel sind bei beiden Limousinen weitgehend identisch. Von vorne lassen sich Unterschiede lediglich anhand der geänderten Blinkerform und der schmaleren und dadurch in der Produktion günstiger herzustellenden Stoßstangen ausmachen. Der modifizierte Heckbereich markiert am deutlichsten den Unterschied zwischen Mark II und S-Type. Die damals wie heute umstrittene Optik des Fahrzeughecks resultierte aus der technisch aufwendigen Hinterachskonstruktion: Statt der Hinterachse des Mark II, dem letzten Jaguar mit Starrachse, kam im S-Type eine deutlich modernere Variante zum Einsatz. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Classic Cars fährt den Jaguar S-Type
Der Jaguar S-Type teilte sich mit dem Mark X und dem legendären E-Type die Hinterachse. Die Konstruktion aus Quer- und Längslenkern mit vier Schraubenfedern und Teleskopstoßdämpfern machte ein verändertes Design der Heckpartie nötig. Durch die Einzelradaufhängung und das im Lastenheft verankerte große Kofferraumvolumen veränderte sich das an den Mark X angelehnte Design des Hecks. Dadurch entsprach der S-Type im vorderen Drittel dem Mark II, während er im hinteren Drittel technisch wie optisch zu einem verkleinerten Mark X geriet. Schon seinerzeit polarisierten die unterschiedlichen Fahrzeugproportionen und das optische Ungleichgewicht der Linienführung.
Den Fahreigenschaften taten diese Design-Eigenwilligkeiten keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Die erste Generation des S-Type kombinierte sportlichen Charakter in zügig gefahrenen Kurven und komfortables Fahrverhalten auf Langstrecken. Nur das Extragewicht der Hinterachse von gut 150 Kilogramm erschwerte sportlich übersteuerndes Fahrverhalten. Insgesamt punktet das Fahrwerk des S-Type mit hoher Traktion, ausgezeichnetem Komfort, großer Spurtreue und gutem Fahrbahnkontakt aufgrund der einzeln gefederten Räder. Für die Verzögerung sorgen vier Scheibenbremsen von Dunlop und Bremsservo-Komponenten von Lockheed. Die 3,8-Liter-Version wurde serienmäßig mit einem Sperrdifferential ausgestattet.
Zwei Sechszylinder mit 3,4 und 3,8 Litern im Jaguar S-Type
In Verbindung mit den drehmomentstarken, aber drehzahlscheuen Langhubern mit 3,4 respektive 3,8 Litern Hubraum aus der (bis 1992 gebauten!) XK-Familie überzeugt das Gesamtpaket aus Fahrwerk und Motor auch 50 Jahre später noch. Die Reihensechszylinder glänzen durch gleichmäßige Leistungsentfaltung, Laufruhe und überragende Elastizität. Für größere Triebwerke wie den 4,2-Liter-Reihensechser war im Motorraum jedoch kein Platz vorhanden. Für den von uns gefahrenen 213 PS (157 kW) starken 3,4 Liter entschieden sich insgesamt 9928 Käufer:innen, vom zehn PS stärkeren 3,8 Liter liefen insgesamt 15.065 Stück von den Bändern in Coventry. Serienmäßig lieferte Jaguar den noblen Briten mit einem Viergang-Schaltgetriebe aus. Erst zwei Jahre nach der Premiere wurde das sauber zu schaltende Getriebe synchronisiert.
Den Schongang "Overdrive" gab es ebenso wie das Borg-Warner-Automatikgetriebe, für das sich der überwiegende Teil der solventen Kundschaft entschied, als aufpreispflichtiges Extra. Der Jaguar S-Type konnte sowohl als Familienauto als auch als Businesspartner genutzt werden. Die beiden in den hinteren Kotflügeln untergebrachten, elektrisch umschaltbaren Tanks mit einer Gesamtkapazität von 64 Litern reichten bei einem Durchschnittsverbrauch von etwa 16 Litern für knapp 400 Kilometer. Die neu gestaltete Heckpartie machte sich aber nicht nur positiv durch im Vergleich zum Mark II das leicht gesteigerte Fassungsvermögen der Tanks bemerkbar, sondern auch durch die besseren Platzverhältnisse im Innenraum mit mehr Kopf- und Beinfreiheit im Fond. Die großzügige Rückbank bietet zwei Personen bequem Platz. Zudem wuchs das Kofferraumvolumen, wenn auch nicht der Fahrzeuggröße entsprechend, denn dafür ragte die Hinterachskonstruktion zu weit nach oben.
Der Jaguar S-Type hatte einen hohen Preis
Einmal auf den bequemen Vordersitzen Platz genommen, fällt auch heute noch die sorgfältige und hochwertige Verarbeitung der verwendeten Materialien positiv auf. Das Interieur ist serienmäßig in feinstem Leder, hochflorigem Teppichboden und poliertem Wallnussholz gehalten. Auch hier orientierte sich der Jaguar S-Type am darüber positionierten Mark X. Am deutlichsten wird dies bei der opulent anmutenden Verwendung von Holz und Leder im Bereich des Armaturenbretts und der Mittelkonsole. Keine der vergleichbaren Luxuslimousinen aus den 60er-Jahren konnte mit einer ähnlich hohen Materialgüte und Verarbeitungsqualität aufwarten. Dies alles hatte seinen Preis. Mindestens 22.750 Mark waren für den von uns gefahrenen 3.4 Litre fällig. Um sich den noblen Briten in Deutschland leisten zu können, mussten 1963 über 41 Durchschnitts-Monatslöhne investiert werden. Und damit war das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.
Mittels Sonderausstattungen wie Speichenrädern, Servolenkung, getönten Scheiben, Sicherheitsgurte vorne, Radio oder größeren Reifen ließ sich der Preis weiter nach oben schrauben. Dies hielt einen exklusiven Käuferkreis jedoch nicht davon ab, sich eher den Jaguar in die Auffahrt zu stellen als einen Mercedes mit schwäbisch unterkühlter Wohlstandsperfektion. Die Mehrzahl der Kund:innen entschied sich sogar für das 3750 Mark teurere 3,8-Liter-Modell. In der fünfjährigen Bauzeit produzierte Jaguar trotzdem nur insgesamt 24.993 S-Type. Der erste S-Type von Jaguar hatte einen schweren Stand. Er war eine Mischung aus der günstigsten und teuersten Jaguar-Limousine und damit eher ein Lückenfüller im Baukasten der Engländer:innen. Dennoch galt ein S-Type damals als rollendes Statussymbol der feinen englischen Art – kein Wunder in einer Zeit, in der für viele Deutsche der eigene Fernseher oder ein gebrauchter Volkswagen schon Luxus gewesen ist.
Technische Daten des Jaguar S-Type 3.4
JAGUAR S-TYPE 3.4: Technische Daten und Fakten |
Antrieb R6-Zylinder, vorn längs eingebaut; 2-Ventiler; zwei obenliegende Nockenw., Duplex-Kettenantrieb; Gemischbildung: zwei Vergaser S.U. HD6, separater Startervergaser; Bohrung x Hub: 83 x 106 mm; Hubraum: 3442 cm3 ; Verd.: 8,0:1; Leistung: 157 kW/213 PS bei 5500/min; maximales Drehmoment: 294 Nm bei 3000/min; Viergang-Getr.; Mittelschaltung; Hinterradantrieb |
Aufbau und Fahrwerk Selbsttragende Ganzstahlkarosserie mit vier Türen; Radaufhängung vorn: doppelte Dreiecksquerlenker, Stabilisator; hinten: Quer- und Längslenker; v./h. Teleskopdämpfer; Kegelumlauflenkung; Bremsen: v./h. Scheiben; Reifen: v./h. 185 R 15; Speichen-Räder: v./h. 5 x 15 |
Eckdaten L/B/H: 4750/1683/1416 mm; Radstand: 2730 mm; Spurweite v./h.: 1403/1375 mm; Leer-/Gesamtgewicht: 1650/2100 kg; Tankinhalt: 64 l; Bauzeit: 1963 bis 1968; Stückzahl: 24.993; Preis (1963): 22.750 Mark |
Fahrleistungen1 Beschleunigung: 0 auf 100 km/h in 14,0 s; Höchstgeschwindigkeit: 186 km/h; Verbrauch: 16,0 l/100 km |
1Werksangaben
Den Jaguar hat man bei einem Vergleich von Luxuslimousinen der 60er-Jahre zunächst nur bedingt auf dem Zettel. Aus heutiger Sicht zu unrecht, aber seinerzeit wurde er schlicht und einfach aufgrund des hohen Verkaufspreises von mindestens 22.750 Mark nur selten als linksgelenkter Wagen nach Deutschland exportiert. Während der westdeutschen Wirtschaftswunderzeit lag er damit zum Teil deutlich über den Angeboten der Konkurrenz und war damit nur einem kleinen Kreis zugänglich. Heute besitzt der S-Type, der stilistisch als Vorbild für die 1999 präsentierte Neuauflage diente, eine treue Fan-Gemeinde in Deutschland. Den Ruf, lediglich ein besserer Mark II zu sein, wird er indes wohl nicht mehr los.