Arctic Truck AT44 (Hilux-Umbau): Reportage
Ein Tag mit Arctic Truck "Emma"
Geländefahrzeuge mit riesigen Ballonreifen sind im isländischen Straßenbild Normalität. Wir wollten wissen, wie ein solches Monster fährt und was es wirklich kann. Expedition am Steuer des Arctic Truck AT44 auf Toyota-Basis.
Riesig groß steht der metallicgraue Toyota Pick-up mitten auf der Straße vor dem Hoteleingang. Hier in der Altstadt von Reykjavík zwischen den niedlichen Holzhäusern wirkt der Arctic Truck AT44 beinahe beängstigend – zumindest für Menschen, die nicht aus Island stammen. Die vorbeilaufenden Passant:innen scheren sich kaum um das Ungetüm. Auf der Nordatlantik-Insel gehören die "Super-Jeeps" (Isländisch: Breyttir Jeppar) mit ihren gewaltigen Ballon-Stollen-Reifen längst zum üblichen Verkehrsbild. Doch wir wollen den Langmut der hinter dem Koloss wartenden Fahrzeuge nicht unnötig auf die Probe stellen und springen schnell ins Auto, um die blockierte Fahrbahn wieder freizugeben. Einsteigen ist, als ob man auf einen Tisch klettert. Zumindest versuchen wir's. Doch weil bereits das seitliche Trittbrett deutlich höher liegt als meine Kniescheiben, ist es eher ein Klettern als Springen. Tür zu, Gurt einrasten, starten, Gang rein – los geht's. Erst mal raus aus der Innenstadt. Obwohl das Cockpit bis auf ein paar Zusatztasten aussieht wie in jedem anderen Toyota Hilux, macht allein die luftige Höhe, in der wir thronen, Eindruck. Die enorme Breite der extrem weit ausgestellten Radhäuser lässt sich vom Lenkrad aus allenfalls im Rückspiegel erahnen. Die Fahrt durch die Stadt fordert darum Konzentration und Augenmaß, um nicht unabsichtlich den ein oder anderen Kleinwagen am Wegesrand zu zermalmen. Nein, für die City ist der von Arctic Trucks umfangreich modifizierte Pick-up nicht geeignet. Überhaupt nicht. Seine Bestimmung ist vielmehr, dort zu fahren, wo sonst allenfalls noch Kettenfahrzeuge vorankommen. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der Land Rover Defender im Offroad-Fahrbericht (Video):
Arctic Truck AT44 – Ein Tagesausflug mit "Emma"
Unser Testexemplar mit dem Kosenamen "Emma" etwa entstand ursprünglich, um im Rahmen einer Expeditionstour auf Grönland Schnee- und Eisproben zu sammeln. Damit das Auto selbst dort zuverlässig funktioniert und nicht einfach im ewigen Eis versinkt, stellt Arctic Truck den Toyota auf gewaltige Spezial-Reifen, die vom finnischen Reifenhersteller Nokian Tyres exklusiv für Arctic Trucks produziert werden. Die Hakkapelitta-44-Pneus im Format LT475/70 R 17 kombinieren Traglast und Robustheit eines Truck-Reifens mit dem Grip eines Soft-Compound-Winterreifens, wie sie in Skandinavien üblich sind. Mit 18 Millimeter Profiltiefe, 1,2 Millimeter breiten Lamellen und bei Bedarf zusätzlich mit 172 Spikes (15 mm!) bewehrt, garantieren sie maximale Haftung selbst unter arktischen oder gar polaren Bedingungen. Zudem hebt allein der gewaltige Durchmesser von rund 1,1 Meter die Bodenfreiheit deutlich an. Der eigentliche Clou der Gummiwalzen besteht aber darin, dass sie mit extrem niedrigen Fülldrücken gefahren werden können. Auf der Straße leidet zwar der Geradeauslauf spürbar unter den irrwitzigen Hebelkräften und Dimensionen, doch selbst bei einem "normalen" Druck von 1,9 (Asphalt) bis 0,8 bar (Schotter) lenkt Emma noch überraschend präzise ein. Allerdings erfolgen die Reaktionen zeitverzögert, und der Arctic Truck AT44 neigt sich dabei kräftig zur Seite, was nicht nur an den hohen, weichen Reifenflanken liegt, sondern auch daran, dass Arctic Trucks die Stabis entfernt hat. So kann das Fahrwerk besser verschränken und sich der Kontur des Untergrunds anpassen. Das Fahrgefühl auf der Straße ist – nun ja – gewöhnungsbedürftig und entschleunigt genauso wie das epische Landschaftsbild. Während wir die touristischen Highlights Thingvellir, den Geysir Strokkur oder den berühmten Gullfoss-Wasserfall achtlos vorbeiziehen lassen und dem sonoren Singen der Reifen lauschen, suchen wir aber nicht nach knackigen Kurven-Kombinationen, sondern streben der legendären Kjölur-Route entgegen. Diese soll uns zumindest in die Nähe des majestätischen Langjökulls führen. Die Befahrung des zweitgrößten Gletschers der Insel ist das spektakuläre Ziel unserer Tagestour …
Nokian Tyres Hakkapelitta
Wichtigstes Element des Arctic Truck-Umbaus ist der von Nokian Tyres exklusiv für das isländische Unternehmen gefertigte Hakkapelitta 44. Der Offroad-Reifen verfügt über eine von den legendären finnischen Soft-Compound-Winterreifen abgeleitete Mischung sowie ein für den extremen Einsatzzweck modifiziertes Profil-Design.
Ein Meter tiefes Wasser? Kein Problem!
Spätestens seit der Asphalt in Schotter übergegangen ist, brillieren die 44-Zoll-Gummis mit komfortablen Federungseigenschaften. Das schont nicht nur den Rücken, sondern mindert auch die Defekt-Gefahr durch lose gerüttelte Bauteile am Arctic Truck AT44 – ein wichtiger Punkt, wenn es tage- oder gar monatelang über Stock, Stein und Eisbrocken geht. Auf unserer Fahrt kreuzen wir unter anderem einen Arm des Flusses Ölfusá. Aber natürlich nicht über die Brücke: Wir nehmen mit Freuden einen kleinen Umweg in Kauf und stürzen uns direkt in die milchig-hellgrünen Fluten. Zu Fuß oder mit einem handelsüblichen Geländewagen würde uns die Strömung des Gletscherabflusses einfach mitreißen. An Bord des Arctic Trucks waten wir hingegen achtsam, aber unbesorgt durch das eiskalte, rund einen Meter tiefe Wasser. Theoretisch ginge es noch tiefer, doch dann würde selbst der Arctic Truck irgendwann einfach aufschwimmen und abtreiben. Kein schöner Gedanke. Daher steuere ich lieber in direkter Linie auf das rettende Ufer gegenüber zu. Doch unser Guide Arnar ermahnt mich, nur dort aus der Furt herauszufahren, wo bereits Spuren sind. Erstens markieren diese die sicherste Passage, und zweitens darf man auf Island nur dort "offroad" fahren, wo man keine neuen, dauerhaften Spuren hinterlässt. Klingt öde, ist aber essenziell für den Erosionsschutz des Landes. Und: Die Hochlandpisten halten auch so Herausforderungen bereit, die sogar gestandene Geländewagen-Expert:innen verzweifeln lassen. Im Winter indes gilt: Man darf überall fahren, solange genug Schnee liegt und die Spuren bei Schneeschmelze wieder verschwinden. Aber welches Auto kann schon im teils meterhohen Tiefschnee fahren, noch dazu querfeldein? Genau, die Super-Jeeps. Darum finden die Isländer:innen so viel Gefallen an den sperrigen Vehikeln.
Umfangreicher Umbau – mehr als große Reifen
Seit Ende der 80er-Jahre hat sich das isländische Unternehmen Arctic Trucks in der Super-Jeep-Szene etabliert und genießt den Ruf, grundsolide sowie durchdachte Komplett-Umbauten abzuliefern. Nicht zuletzt deshalb gibt es seit 1990 eine Partnerschaft mit Toyota. Auch Expeditionen sowie Rettungsdienste und Militär vertrauen auf die Expertise der Marke, denn in der Werkstatt im Osten Reykjavíks werden nicht nur gewaltige Reifen montiert, sondern je nach Erfordernis auch Antrieb, Fahrwerk und Karosserie sowie sämtliche Technik-Komponenten individuell an die extremsten Einsatzzwecke angepasst. Mehr zu Modellen und Kontakten der internationalen Zweigstellen unter: arctictrucks.com
"Emma" steigt auf Tiefschnee immer weiter, einfach so
Mittlerweile haben wir die F35 nach Westen verlassen und rumpeln über das von Schlaglöchern und dicken Steinen übersäte Waschbrett der einspurigen F336 weiter bergauf. Erneut beweisen Fahrwerk und Bereifung Nehmerqualitäten und machen klar, warum sie bei Arctic Trucks Wert darauf legen, eigene massive Achsträger, Hilfsrahmen sowie diverse Schutzplatten unter dem Auto zu montieren. Mit den dicken Reifen allein ist es eben noch lange nicht getan. Alle Komponenten müssen aufeinander abgestimmt sein und den Belastungen standhalten. Um die 44-Zoll-Nokian überhaupt unter das Auto zu bekommen, braucht es einen Bodylift um 40 Millimeter, geänderte Fahrwerksteile sowie umfangreiche Blecharbeiten an Kotflügeln, Türen und sogar an der vorderen Schottwand. Die feisten Kotflügelaufsätze sind noch das kleinste Thema. Arctic Trucks setzt ferner Automatik und Verteiler-Getriebe aus dem Land Cruiser Station (J200) in den Hilux ein – und kombiniert beides mit dem Hilux-Reduktionsgetriebe. Damit verfügt der Arctic Truck AT44 über eine dreistufige Geländeübersetzung (1: 2,6 : 6,5!), permanenten Allradantrieb und drei Sperrdifferenziale. Während ich ein (vielleicht letztes) Selfie für die Familie knipse, kniet Arnar am Fuß des Gletschers neben Emma im Schnee und lässt Luft ab, bis das Manometer nicht einmal mehr 0,3 bar anzeigt. Was nun folgt, ist ein absolut surreales Erlebnis: Die Hakkapelitta-Pneus verbeißen sich wie Ketten im Schnee, und der schwere Pick-up steigt unaufhaltsam bergauf. Einfach so – über metertiefen, losen Schnee. Es ist schlichtweg unfassbar! Solange ich nicht zu viel Gas gebe und die Räder durchdrehen, geht es immer weiter voran. Oben angekommen, verderben uns leider dichte Wolken den heroischen Moment und das Ziel-Foto am Gipfel. Schade, denn ich fühle mich, als hätte ich gerade mindestens die Arktis durchquert. Danke, Emma, für dieses Ein-Tages-Abenteuer!
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Die technischen Daten des Arctic Truck AT44
AUTO ZEITUNG 22/2022 | Arctic Truck AT44 |
Technische Daten | |
Motor | 4-Zyl., 4-Vent., Turbodiesel |
Getriebe/Antrieb | 6-Stufen-Automatik, Gelände-Reduktion (3-stufig), Allrad, perm. |
Leistung | 110 kW/150 PS bei 3400 /min |
Max. Drehmoment | 400 Nm bei 1600 – 2000 /min |
Karosserie | |
Außenmaße (L/B/H) | 5255/2160/2000 mm |
Leergewicht | 2250 kg |
Bodenfreiheit | 300 mm |
Fahrleistungen (Werksangaben) | |
Höchstgeschwindigkeit | 110 km/h |
Tankinhalt | 280 – 800 l D |
Kaufinformationen | |
Preis | ca. 110.000 Euro (2019) |