Dieselskandal: Anklage & Haftbefehl Winterkorn
Winterkorn zahlt Schadensersatz
Im Zuge des Dieselskandals zahlt Ex-VW-Chef Martin Winterkorn Volkswagen offenbar einen Schadensersatz in Höhe von zehn Millionen Euro. Zuvor ist bekannt geworden, dass die im Marktmanipulations-Prozess gegen den Topmanager erhobene Anklage eingestellt wurde. In den USA ist Winterkorn im März 2018 angeklagt worden, zwischenzeitlich hatten die US-Justizbehörden sogar Haftbefehl erlassen. Dieser Artikel wurde am 07.06.2021 aktualisiert.
Juni 2021: Martin Winterkorn zahlt VW Schadensersatz
Volkswagen ist sich mit Anwält:innen und Versicherern mehrerer Ex-Topmanager um den früheren Konzernchef Martin Winterkorn grundsätzlich einig über Schadensersatz wegen des Diesel-Skandals. Ein entsprechender Beschluss stehe jetzt im Kern, hieß es am Sonntag. 6. Juni 2021, aus Wolfsburg. Die genauen Summen und Modalitäten seien aber Gegenstand ergänzender Gespräche, die man noch nicht komplett beendet habe. In einer Sitzung am Samstag hatten die Aufseher:innen über den bisherigen Stand der Entschädigungspläne beraten. Dabei seien die "wesentlichen Konditionen der Vergleiche" zwischen den ehemaligen Führungskräften und VW beschlossen worden, sagte ein Sprecher auf Anfrage. "Die Vereinbarungen sollen in den kommenden Tagen abgeschlossen werden." Europas größter Autohersteller verlangt von Winterkorn, Ex-Audi-Chef Rupert Stadler sowie den früheren Konzernmanagern Ulrich Hackenberg, Wolfgang Hatz und Stefan Knirsch eine finanzielle Beteiligung an den "Dieselgate"-Folgekosten. Die Affäre um millionenfach gefälschte Stickoxid-Abgaswerte war im September 2015 in den USA aufgeflogen. Dem Vernehmen nach könnte es im Fall Winterkorn auf eine Summe von etwa zehn Millionen Euro hinauslaufen, wobei jedoch ein weit größerer Teil von Haftpflichtversicherungen gedeckt werden dürfte. Insgesamt war von bis zu 300 Millionen Euro die Rede. Es hieß, die einzelnen Beträge könnten sich kurzfristig noch ändern – in der neuen Woche könnte nun ein endgültiges Ergebnis mit konkreten Zahlen folgen. Eine spezialisierte Kanzlei hatte im Auftrag des VW-Aufsichtsrats intern zu den Verantwortlichkeiten ermittelt. Die Jurist:innen sicherten im Rahmen ihrer Nachforschungen rund 65 Petabyte – umgerechnet 65.000 Tera- oder 65 Millionen Gigabyte – an Daten und Millionen Dokumente. Auf Basis der Resultate beschloss der Konzern vor einigen Wochen, dass die betreffenden Ex-Manager in Regress genommen werden sollen. Bei Winterkorn und Stadler begründete Volkswagen das mit Verletzungen der aktienrechtlichen Sorgfaltspflicht. Nach dem Bekanntwerden der Manipulationen hatten sich weltweit auch Zivil- und Strafgerichte sowie Verbraucherschützer:innen mit dem Ursprung der Affäre befasst. Diese stürzte die Autoindustrie in eine Vertrauenskrise und verschlang in der VW-Gruppe bisher weit über 30 Milliarden Euro an Rechtskosten.
Das kostet der Rechtsweg im Dieselskandal (Video):
Chronologie im Fall Martin Winterkorn
Januar 2021: Nach der Einstellung des Strafverfahrens gegen die aktuelle VW-Spitze wegen Marktmanipulation in Deutschland ist auch der entsprechende Prozess gegen den Ex-VW-Chef Martin Winterkorn Mitte Januar 2021 eingestellt worden. An dem ab Ende Februar 2021 geplanten Betrugsprozess gegen Winterkorn halte man aber fest, teilte das Landgericht Braunschweig mit. Das Gericht begründete seine Entscheidung zur Anklage damit, dass die mögliche Strafe, die auf Winterkorn schon in dem Betrugsverfahren zukommen könnte, deutlich höher sein dürfte als beim Vorwurf einer zu späten Information der Finanzwelt über die Folgen des Dieselskandals. Eine Einstellung komme "in Betracht, wenn die zu erwartende Strafe im Hinblick auf die Straferwartung wegen einer anderen Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt". Die Wirtschaftsstrafkammer nehme dies an – im sogenannten NOx-Verfahren könne die Teilstrafe erheblich schwerer ins Gewicht fallen. Im Fall von den ebenfalls wegen Marktmanipulation angeklagten Herbert Diess und Hans Dieter Pötsch zahlte Volkswagen jeweils 4,5 Millionen Euro an die niedersächsische Justiz. Das Landgericht hatte sich mit den Beteiligten im Rahmen des nicht öffentlichen Zwischenverfahrens auf die Einstellung der Anklage unter Auflagen verständigt.
September & April 2019: Der frühere Konzern-Chef Martin Winterkorn sowie vier weitere Führungskräfte waren im Zuge des Dieselskandals bei Volkswagen bereits im April 2019 von der Staatsanwaltschaft Braunschweig angeklagt worden. Die Vorwürfe: ein besonders schwerer Fall von Betrug und ein Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Weil er nach dem 25. April 2014 nach Kenntnis von rechtswidrigen Manipulationen an Dieselmotoren diese nicht umgehend bekannt gegeben habe, wird Winterkorn außerdem Untreue vorgehalten. Zwischen April 2014 und Mai 2015 soll der Konzern demnach den weiteren Einbau der sogenannten Abschaltvorrichtungen nicht untersagt haben. Zudem soll der VW-Konzern mit Wissen auch von Winterkorn im November 2014 ein Softwareupdate mit Kosten von 23 Millionen Euro erlassen haben, um den wahren Grund für die erhöhten Stickoxidwerte zu verschleiern.
September 2018: Der Prozess im Musterverfahren der VW- und Porsche-Aktionär:innen hat am 10. September 2018 vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Braunschweig begonnen. Zuvor war bekannt geworden, dass der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn bereits Monate vor dem Bekanntwerden des Dieselskandal über den Abgas-Betrug informiert gewesen sein soll. Zudem habe er bereits 2007 von Problemen bei der Abgasreinigung für den US-Markt erfahren. Das behaupten Beschuldigte in ihren Aussagen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung einsehen konnten. Unter anderem belastet der ehemalige Chef der VW-Motorenentwicklung Winterkorn schwer. Der Manager berichtet von einem Treffen mehrerer Ingenieur:innen mit dem Ex-VW-Vorstandsvorsitzenden im Mai 2015. Dabei sei Winterkorn über die Umschaltlogik in der Abgas-Software der Dieselfahrzeuge und damit über die Abgasmanipulation informiert worden. VW dementiert, dass es einen solchen Termin gegeben habe. Dies behaupte nur der ehemalige Leiter der Motorenentwicklung. Tatsächlich findet sich in den Aussagen anderer, die laut dem Abteilungsleiter bei dem Treffen dabei gewesen sein sollen, kein Hinweis darauf. Gleichwohl schildert der Manager das Gespräch detailreich. Inhaltlich sei beim Dieselskandal von 600.000 betroffenen Fahrzeugen in den USA und Kanada die Rede gewesen. Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn, gegen den ohnehin schon wegen des Anfangsverdachts des Betruges ermittelt wird, habe sich alles angehört, sei aber ruhig geblieben. Wenn er das zum ersten Mal gehört hätte, "wäre er ausgerastet", so der Manager weiter. Die 160 Seiten umfassende Aussage ist Teil der Ermittlungsakten im VW-Skandal, die die Braunschweiger Staatsanwaltschaft den Anwälten der rund 40 Beschuldigten im Diesel-Betrugsverfahren Mitte Juli 2018 zur Einsicht übermittelt hat.
März 2018: In den USA wurde gegen den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn im März 2018 im Zuge des Dieselskandals Anklage erhoben, außerdem haben die Behörden einen Haftbefehl gegen Winterkorn erlassen. Das US-Justizministerium wirft Winterkorn Mittäterschaft vor: Explizit geht es um Betrug, Verschwörung zum Verstoß gegen Umweltgesetze sowie Täuschung der Behörden. Die US-Ermittler:innen nehmen an, dass Winterkorn im Mai 2014 und Juli 2015 Kenntnis über die Abgasmanipulationen hatte und mit anderen Führungskräften gemeinsam entschieden haben soll, das illegale Verfahren weiter fortzuführen. Deswegen wird in insgesamt vier Punkten Anklage gegen den 70-Jährigen in den USA erhoben: "Die Tatsache, dass kriminelle Straftaten auf höchster Ebene der VW-Konzernführung abgesegnet gewesen sein dürften, sei erschreckend", erklärte der zuständige Staatsanwalt Matthew J. Schneider vom östlichen Bezirk Michigans. Bei einer Verurteilung droht Martin Winterkorn die Höchststrafe: eine Haftstrafe von bis zu 25 Jahren und eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 275.000 Dollar. Der Volkswagen-Konzern hatte sich zur Anklage gegen Winterkorn in den USA geäußert und seine Bereitschaft zur Kooperation mit den US-Behörden betont. Allerdings halte VW es nicht für angemessen, zu individuellen Verfahren im Dieselskandal Stellung zu nehmen.
Zusammenfassung des VW-Skandals im Video: