Willkommen in McLarens neuem "Reiseauto" – dem McLaren GT: Ultraleichtes Kohlefaser-Monocoque, V8-Biturbo mit 620 PS, von null auf 200 km/h in 8,8 Sekunden, 326 km/h Spitze. Der Test klärt, ob der Brite ein echter GT ist!
Positiv | Aberwitzige Fahrleistungen, ansprechender Komfort, gutes Platzangebot für Mensch und Gepäck |
Negativ | Extremer Preis, kaum Assistenzsysteme |
Bevor der Test des McLaren GT zum Thema wird, bitte einmal Hand aufs Herz: Wie stellen Sie sich einen langstreckentauglichen Gran Turismo vor? Vielleicht als luxuriöses, 2+2-sitziges Coupé mit potentem Frontmotor und erlesener Ausstattung im geräumigen Interieur? Oder gar als flacheres, maßvoll versportlichtes Derivat einer fetten Luxuslimousine? Nun, zu behaupten, dass die englische Renn- und Sportwagenschmiede McLaren mit ihrem neuen GT einen "etwas" anderen Ansatz verfolgt, wäre nicht weniger als eine epische Untertreibung. Denn die auf demselben Kohlefaser-Leichtbau-Monocoque wie etwa der Brachial-Sportler 720S aufbauende, sich nur flach über dem Asphaltduckende Schönheit hat mit den eingangs skizzierten klassischen Vertretern der Gran-Turismo-Zunft rein gar nichts zu tun. Eigentlich. Bei genauerem Hinsehen stellen sich jedoch schon Feinheiten ins Rampenlicht, die den McLaren GT grundlegend von seinen wilderen Brüdern unterscheiden und tendenziell in Richtung Alltags- respektive Reisetauglichkeit rücken. Das jedenfalls wird unmittelbar nach dem Einfädeln in das heilige Innere offensichtlich. Hochwertiges Ambiente, gutes Raumgefühl Das Platzangebot ist, mal abgesehen vom reichlich engen Fußraum, wirklich gut. Weder zwickt es seitlich, noch können sich normal große Erwachsene über zu wenig Luft über dem Scheitel beschweren. Bemerkenswert ist ferner die gebotene Ergonomie. Die meisten Bedienelemente liegen griffgünstig zur Hand, und sogar einige pfiffige Ablagelösungen hält der Zweisitzer bereit, beispielsweise in den Türen. Dazu gibt es sehr bequeme, in unserem Test absolut langstreckentaugliche Sitze. Die versteckte Platzierung der Tasten für deren elektrische Einstellung fällt allerdings in die Kategorie "englischer Humor".
Der McLaren GT im Video:
Der McLaren GT im Test
Typisch für aktuelle Modelle von McLaren und so auch für den McLaren GT ist gute Übersichtlichkeit in Fahrtrichtung dank großerScheibe und weit in die Nähe der Vorderachse gerückte Sitzposition. Nach hinten sieht man hingegen aufgrund der winzigen Heckscheibe eher wenig. Dies gilt umso mehr, wenn der 420 Liter große Stauraum hinter den Sitzen mit Gepäck ausgefüllt ist und die Scheibe davon verdeckt wird. Typisch Gran Turismo ist ferner die luxuriöse Materialauswahl mit reichlich sauber verarbeitetem Leder und großzügiger Verwendung polierter sowie gebürsteter Metall-Oberflächen. Besonders hübsch: die aus dem Vollen gefrästen Schaltwippen. Dass wir es keineswegs mit einem puristischen Hypercar zu tun haben, beweist auch die Komfortausstattung an Bord. Sitzheizung, Klimaautomatik, eine Lounge-artige Ambientebeleuchtung und ein Multimedia-Navigationssystem mit Digitalradio und Bluetooth-Schnittstelle etwa sind Bestandteil der Serienumfänge. All dies rückt jedoch mit dem Druck auf jenen roten Knopf, der den tief im Fahrzeug verborgenen 4,0-Liter-V8 zum Leben erweckt, dramatisch in den Hintergrund. In der Kaltstartphase grollt und vibriert das Triebwerk reichlich unwirsch. Und auch im warmen Zustand bebt es stets leicht vor sich hin – so als könne der Biturbo es kaum abwarten, endlich von der Kette gelassen zu werden. Das Durchtreten des Gaspedals entfesselt dann eine dramatische Urgewalt. Unter ehrfurchtgebietendem Schreien peitscht der Achtzylinder den 1575 Kilogramm wiegenden McLaren GT in aberwitzigen 3,1 Sekunden auf Tempo 100, nur um nach weiteren 5,7 Sekunden die 200-km/h-Marke hinter sich zu lassen. Und auch darüber hinaus beschleunigt der McLaren im Test unerbittlich weiter – bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 326 km/h.
Der GT kann brachial und komfortabel
Doch anders als bei so manch anderem wilden Gefährt aus der Racing-Schmiede lässt sich die zur Verfügung stehende Kraft des McLaren GT recht maßvoll dosieren, da der Motor spontan auf kleinere Bewegungen des rechten Fußes anspricht. Die Ingenieure haben den Drehmomentverlauf des 4,0-Liter-Biturbos insgesamt etwas flacher ausgelegt, sodass das Triebwerk bereits bei niedrigeren Drehzahlen zwar ungestüm, aber feinfühlig kontrollierbar wütet, ehe die Beschleunigung spätestens ab 5500 Touren, also wenn der Motor sein maximales Drehmoment von 650 Newtonmetern erreicht, endgültig explodiert. Auf kurvigem Terrain stellt sich indes umgehend jenes einzigartige Fahrgefühl ein, das bislang noch bei jedem Meisterstück aus Surrey tief in der DNA verwurzelt liegt. Dreh- und Angelpunkt dabei ist die kompromisslos präzise, extrem rückmeldungsfreudige Lenkung, die entgegen des aktuellen Trends weiter auf eine hydraulische Servounterstützung setzt statt einer elektrischen. Darüber eingeleiteten Richtungswechseln folgt der McLaren GT im Test ansatzlos und erreicht in der Folge fast schon absurde Kurvengeschwindigkeiten. Dank seines weitgehend neutralen Fahrverhaltens im Grenzbereich und der – zumindest bei wohltemperierten Pneus – guten Traktion fasst der Pilot schnell Vertrauen ins Auto. Dazu trägt ferner die konstant unnachgiebig verzögernde, mit glasklarem Pedalgefühl gesegnete Bremse bei. Allerdings will diese mit gewöhnungsbedürftig hohem Kraftaufwand bedient werden – auch an der Ampel, denn bei zu lässigem Pedaldruck kann es passieren, dass der GT unbeabsichtigt losrollt – Bagatellschäden, deren Behebung Kosten in astronomischen Höhen mit sich bringen dürften, wären dann programmiert. Ist der McLaren GT im Grunde also doch "nur" ein reiner Supersportwagen? Jein, denn der Brite hat neben der sagenhaften Fahrdynamik auch das Talent des entspannten Reisens in die Wiege gelegt bekommen. Auf langen Autobahnetappen fällt auf: Der GT liegt extrem satt, ohne mit übertriebenen Aufbaubewegungen zu nerven. Die Räder tasten den Untergrund für einen fahrdynamisch derart hochveranlagten Überflieger äußerst sensibel ab. Kleinere Schlaglöcher, Kanten und Querfugen gleicht das mit adaptiven Dämpfern bestückte Fahrwerk im Test erstaunlich souverän aus. Bei tiefen Unebenheiten ist der Federweg jedoch naturgemäß recht schnell aufgebraucht. Die geringen Windgeräusche, auch über 150 km/h hinaus, untermauern dagegen den vollmundig gepriesenen Komfortanspruch des Herstellers.
Der McLaren GT im Connectivity-Check
Ein Multimediasystem mit Navigation, Bluetooth-Schnittstelle und Digitalradio DAB ist serienmäßig an Bord des getesteten McLaren GT. Aber: Die heutzutage selbst in Kleinwagen obligatorische Smartphone-Integration via Apple CarPlay beziehungsweise Android Auto oder sonstige Online-Funktionen fehlen – mit Ausnahme von Echtzeit-Verkehrsinformationen – völlig.
Messwerte & technische Daten McLaren GT
AUTO ZEITUNG 26/2019 | McLaren GT |
Technik | |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | V8/4 |
Hubraum | 3994 cm³ |
Leistung | 456 kW/620 PS |
Max. Gesamtdrehmoment | 630 Nm |
Getriebe/Antrieb | 7-Gang-Doppelkupplung/Hinterrad |
Messwerte | |
Leergewicht (Test) | 1575 kg |
Beschleunigung | |
0 - 100 km/h | 3,1 s |
Höchstgeschwindigkeit (Werk) | 326 km/h |
Bremsweg aus 100 km/h kalt/warm (Test) | 35,3/32,2 m |
Verbrauch (Test) | 12,7 l SP/100 km |
CO2-Ausstoß (EU) | 270 g/km |
Preise | |
Grundpreis | 198.000 Euro |
McLaren baut derzeit mit die faszinierendsten Autos der Welt. Das beweist auch der neue McLaren GT im Test. Hypercar-ähnlichen Fahrleistungen stellt er gleichzeitig ein durchaus ausgeprägtes Maß an Komfort gegenüber. Wirklich alltagstauglich ist der Brite zwar nur mit einer hohen Kompromissbereitschaft seines Besitzers, doch bereichert er das aktuelle Line-up des kleinen Herstellers um eine weitere ungemein charismatische Note.