Ford-Chef Christian Weingärtner: Interview
"Ford wird künftig amerikanischer"
Der Ford-Deutschland-Chef Christian Weingärtner verpasst seiner Marke eine neue Ausrichtung und eine veränderte Modellpalette. Zudem spricht er im Interview über die Preise für Elektroautos, die Lage der Händler und die Zukunft des Werks in Saarlouis.
Herr Weingärtner, beim Absatz ist Ford in den USA besser durch die Krisen gekommen als in Europa. Spricht das für eine verstärkte Konzentration auf den Heimatmarkt?
Ford hat in allen Regionen beim Volumen verloren, in Europa leider überproportional viel. Denn in der Krise wurde eher auf dem europäischen Markt gespart, der für uns in den letzten 20 Jahren nicht immer profitabel war, als auf dem für Ford traditionell starken US-Markt. Zudem trifft der Krieg in der Ukraine Europa deutlich härter als die USA, was sich im stärkeren Teilemangel und in den größeren Lieferproblemen zeigt. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der Ford Mustang Mach-E im Video:
Interview mit Ford Deutschland-Chef Hans-Jörg Klein
Bekennt sich Ford trotzdem weiter langfristig zum europäischen Markt?
Selbstverständlich. Wir haben mit Ford+ eine globale Strategie angekündigt, aufgeteilt in die Bereiche Ford Model e, Ford Blue und Ford Pro. Hier waren wir in Europa die Vorreiter und haben damit schon vor drei Jahren begonnen. Die Kosten wurden gesenkt und knapp 25 Prozent des Personals abgebaut – in enger Abstimmung mit unseren Sozialpartnern ohne einen einzigen Tag Streik. Zudem haben wir unser starkes Nutzfahrzeuggeschäft ausgebaut. Das heißt heute Ford Pro. Zusätzlich wollen wir in Europa komplett auf die Elektrifizierung setzen – das entspricht dem globalen Standbein Ford Model e. Also das, was Ford heute weltweit unternimmt, haben wir in Teilen in Europa schon umgesetzt.
Der Ford-Marktanteil in Deutschland ist seit 2019 von 7,8 auf heute fünf Prozent gefallen. Was sind die Gründe?
Man muss sich genauer anschauen, wo die Marktanteile herkommen. Wir waren traditionell sehr stark im Geschäft mit den Vermietern. Das hat unseren Marktanteil erhöht, war aber aus meiner Sicht für die Marke nicht besonders hilfreich. Denn man bekommt in relativ kurzer Zeit viele junge Neuwagen zurück, die Restwerte sinken. Wir waren in den vergangenen Jahren zu stark auf den Marktanteil fixiert und haben dadurch unsere eigene Profitabilität und den Wert der Marke etwas aus dem Blick verloren. Das kurzfristige Geschäft wurde über die langfristige Markenpositionierung gestellt. Daher ist der Marktanteil für mich nicht mehr allein die ausschlaggebende Größe.
Die Ford-Verkäufe haben sich in Deutschland seit 2019 von 280.000 auf 126.000 mehr als halbiert. Bekommen Ihre Händler nicht bald Panik?
Das ist natürlich massiv. Wir würden auch gern wieder mehr Autos bauen. Doch Corona, Chipkrise und die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs haben unsere Produktion stark beeinflusst. Für Kunden bedeutet das prinzipiell längere Wartezeiten und höhere Preise. Für unsere Händler heißt das: Sie haben zwar jetzt weniger Autos zum Verkaufen, sind aber nach wie vor mehrheitlich profitabel unterwegs, zum Teil sogar profitabler als vor der Krise. So haben auch die Preise für Gebrauchtwagen angezogen. Und die Kunden behalten ihre Autos länger und kommen dadurch öfter zum Service.
Doch das Werkstattgeschäft wird mit der Elektrifizierung schrumpfen. Heißt das dann auch weniger Händler?
Jedes Jahr haben wir Betriebe, die nicht mehr weitergeführt werden – teils aus Altersgründen, da die Besitzer keine Nachfolger mehr finden, teils auch, weil die Performance nicht mehr stimmt. Diese Händler können dann immer noch zu einem reinen Servicebetrieb werden. Zudem bin ich nicht so pessimistisch, was das Werkstattgeschäft angeht. Natürlich entfallen beim Elektrofahrzeug Dinge wie der Ölwechsel. Aber so ein Hochvoltauto kann man nicht so einfach bei der Schrauberwerkstattt um die Ecke reparieren lassen wie einen Verbrenner. Da braucht man die spezialisierte Markenwerkstatt. Das bedeutet mehr Geschäft für unsere Händler. Zudem haben wir mit Ford Liive ein System geschaffen, in dem wir alle Fahrzeugdaten verknüpfen und unsere Kunden bei einem kommenden Wartungsbedarf rechtzeitig informieren können. Und die Erfahrungen mit Ford Liive in Großbritannien zeigen, dass diese dann auch in unsere Fachwerkstätten kommen. In Deutschland sind wir damit in diesem Jahr gestartet.
Auch der Vertrieb soll künftig digitaler werden. Wie steht es mit der Einführung des Agenturmodells bei Ford?
Genauso massiv wie sich die Autohersteller bei der Digitalisierung umstellen müssen, werden das auch die Händler tun. Das betrifft die ganze Branche. Wir wollen unsere Händler bei diesem Prozess jedoch nicht allein lassen und haben ein Team aufgestellt, das sich mit der Transformation des Handels befasst. Hier tauschen wir uns mit jedem einzelnen Betrieb aus. Und dann können wir mit den Beiträgen der Händler unser neues Agenturmodell noch weiter verfeinern.
Auf Fiesta und Focus entfallen nur noch 29 Prozent aller Ford-Verkäufe. Fällt es deswegen leichter, beide einzustellen?
Es gibt immer Trends in der Autoindustrie, die kommen und gehen. So war in den 1970er-Jahren das Fließheck modern. Dann kamen in den 1990er-Jahren die Vans. Wir müssen dafür sorgen, dass wir stets Produkte haben, die unsere Kunden kaufen wollen. Deshalb bauen wir heute auch keinen Ford Taunus mehr. Es werden also immer Baureihen kommen und gehen. Das heißt jedoch nicht unbedingt, dass alle Namen von Produkten verschwinden müssen. Mit dem Puma haben wir ein schönes Beispiel, dass ein kleines Sportcoupé als SUV erfolgreich wiederbelebt wurde. In den Segmenten, die stark wachsen, sind wir mit eben diesem Puma und dem Kuga stark vertreten. Und mit dem Mustang Mach-E haben wir auch im Bereich der Elektroautos ein hervorragendes Produkt, das zudem unsere künftige Ausrichtung im Pkw-Bereich beschreibt.
Was bedeutet das konkret? Wie sieht die künftige Ford-Modellpalette aus?
Wenn man ehrlich ist, sind wir im Pkw-Bereich in Europa eigentlich ein eher kleinerer Anbieter. Mit sechs Prozent Marktanteil sind wir der David gegen die großen Goliaths VW und Stellantis mit über 20 Prozent. Und wenn wir jetzt versuchen, die Produkte etwa von VW zu kopieren, werden
wir scheitern. Daher müssen wir unser Pkw-Geschäft anders und neu denken und uns auf Produkte konzentrieren, die nur Ford kann: So hat etwa der Ranger in Europa einen Marktanteil von 40 Prozent in seinem Segment. Wir können aber nicht nur Nischenprodukte anbieten. Auch der Puma ist typisch Ford: in seinen Dimensionen ein europäisches Fahrzeug, aber breitbeiniger und pointierter im Auftritt; selbstbewusster und amerikanischer als seine Wettbewerber. Und davon haben wir global noch mehr: Bronco oder Mustang sind einzigartige Ford-Produkte.
Ford soll also die amerikanische Marke für jedermann in Europa werden?
Wir sind der größte verbliebene amerikanische Hersteller in Europa. Und bei Amerika denkt man positiv an Freiheit, Abenteuer, Outdoor. Damit verknüpfen die Kunden bereits Mustang oder Bronco. Genau in diese Richtung wird es für uns im Pkw-Bereich gehen. Die Marke Ford muss in Europa spannender werden.
Und was erwartet die Käuferschaft von Transit und Co. in Zukunft?
Im Geschäft mit leichten Nutzfahrzeugen stellt sich die Lage für uns ganz anders dar: Da sind wir die starke Volumenmarke. In Deutschland liegen wir hinter Mercedes und VW auf Rang drei, aber in Europa sind wir seit sieben Jahren die Nummer eins. Hier haben wir unseren Marktanteil in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Auch in den USA sind wir seit 40 Jahren mit Abstand die Nummer eins. Hier wollen wir auch in Deutschland in den nächsten Jahren weiter wachsen. Dafür haben wir mit dem E-Transit ein gutes Produkt vorgestellt. Und auch Courier und Custom werden als elektrifizierte Varianten kommen.
Fallen durch den Wechsel zur Elektromobilität in den nächsten Jahren die günstigen Einstiegsmodelle weg?
Da die Batteriekosten hoch sind, werden die Autos über alle Segmente teurer. Das betrifft jedoch den Kaufpreis. Die monatlichen Leasingraten werden sich dagegen kaum verändern. Das ist bereits heute etwa bei Fiesta und Puma zu sehen: Zwar ist der Puma im Preis teurer, bietet aber auch einen höheren Restwert. So liegen die monatlichen Privatleasingraten auf dem gleichen Niveau. Hier wird es unsere Aufgabe sein, in Zukunft darauf zu achten, dass die monatlichen Raten bei Elektroautos nicht durch die Decke gehen.
Neben Köln werden E-Autos künftig in Valencia und nicht in Saarlouis gebaut. Was hat den Ausschlag gegeben?
Die Entscheidung ist das Ergebnis umfassender Konsultationen mit den Teams in Valencia und Saarlouis. Valencia wurde ausgewählt, weil es das am besten positionierte Werk für die Produktion von Fahrzeugen auf Basis unserer Elektro-Fahrzeugarchitektur der nächsten Generation ist. Deren Einführung wird uns dabei helfen, ein profitables Geschäft in Europa aufzubauen und qualifizierte Arbeitsplätze zu sichern. Sie wird außerdem das Angebot vernetzter und elektrischer Fahrzeuge erweitern, um die Nachfrage unserer Kunden bedienen zu können. Das alles bedeutet aber nicht das "Aus" für das Werk in Saarlouis. Wir planen, dort den Focus noch bis 2025 zu bauen. Zeitgleich wird Ford Optionen für künftige Konzepte für diesen Standort erarbeiten.
Welche Möglichkeiten wären das, etwa eine Recycling-Fabrik für Batterien?
Denkverbote gibt es nicht. Wir werden so schnell wie möglich mit allen Beteiligten und in alle Richtungen prüfen, was gehen könnte. Derzeit ist es aber noch zu früh für konkrete Aussagen.
Das Gespräch führten Stefan Miete und Markus Bach