2002, Giulia & R12 Gordini: Sportlimos der Siebziger im Vergleich
70er-Sportlimos von Alfa, BMW und Renault im Triell
- Das Trio aus Alfa Romeo Giulia, BMW 2002 & Renault 12 Gordini im Vergleich
- Die Alfa Romeo Giulia Super ist ein Klasse-Auto zum Discount-Preis
- BMW 2002: Mehr Motor fürs Geld – und viel weniger Sound
- Offiziell steht der Renault 12 Gordini nicht in den Preislisten
- Technische Daten von Alfa Romeo Giulia Super, BMW 2002 & Renault 12 Gordini
- Fazit
Wer eine kompakte Sportlimousine sucht, kommt vor 50 Jahren nicht an Alfa Romeo Giulia Super und BMW 2002 vorbei. Renault hat mit dem Renault 12 Gordini einen reizvollen Rivalen im Programm. Ein emotionaler Vergleich!
Das Trio aus Alfa Romeo Giulia, BMW 2002 & Renault 12 Gordini im Vergleich
Sie wissen ja nicht, was auf sie zukommt. Sie ahnen nichts von der ersten und zweiten Ölkrise, von Tempo 100 und den Grenzen des Wachstums, vom Club of Rome und den Grünen. Autofahrende, die in den 70ern eine sportliche Mittelklasse-Limousine kaufen (hier geht es zu den verschiedenen Karosserietypen), können sich nicht vorstellen, welche Zündaussetzer die Siebziger begleiten, aber sie wissen, was die Sechziger für ihr Vorankommen getan haben.
Das war das Jahrzehnt, das für viele von ihnen am Steuer eines gebrauchten 30-PS-Käfer begonnen hat. Aber jetzt ist endlich ein schneller Wagen drin. Einer, dessen Drehzahlmesser erst bei 6500 Touren rot wird, der 180 läuft und vielleicht sogar ein Holzlenkrad hat. Und trotzdem fährt die ganze Familie mit, weil es zum Schnellsein keinen Sportwagen mehr braucht, sondern nur noch eine kompakte Limousine, wie sie sich nur Filialleitende leisten können und manchmal sogar Facharbeitende, wenn genug Überstunden gemacht und ein paar Ernte 23 weniger geraucht werden. Die Rede ist von Legenden wie Alfa Romeo Giulia Super, BMW 2002 oder Renault 12 Gordini, die wir hier im Vergleich versammelt haben.
Man muss die Sportlimousinen durch die Pilotenbrille von damals sehen, um sie wirklich verstehen zu können. Heute ballt selbst ein Skoda Fabia mehr Drehmoment als eine Alfa Romeo Giulia Super. Doch für die Autofahrenden, die im Schein der Tütenlampen heran- und aufgewachsen sind, ist so ein Alfa viel mehr, als sie sich in ihrer Jugend je vorstellen konnten.
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Die Alfa Romeo Giulia Super ist ein Klasse-Auto zum Discount-Preis
Es ist kein Wunder, dass sie 1970 mehr Alfa bestellen, als das Werk in Arese montieren kann. Auch in München sind die Lieferzeiten – unter anderem vom BMW 2002 – so lang wie die Midi-Röcke der Schwabinger Mädchen. Selbst Renault mischt mit und macht den 12 zum belfernden Gordini, aber den sehen die Deutschen nur im Sportteil ihrer Automagazine, weil ihn Renault nicht zu uns rüberlässt. Das ist bedauerlich, aber auch verständlich, denn der Tarnkappen-Racer kostet umgerechnet fast 2000 Mark mehr als die Alfa Romeo Giulia, mit dem in den Sechziger-Jahren der Run auf die schnellen Stufenheck-Limousinen beginnt.
Es ist die Giulia, mit der Alfa vom Kleinserien-Delikatessenladen zum Großserienhersteller heranwächst. Auch der 1900er und die Giulietta der Fünfziger sind schon kompetente Familien-Beschleuniger, aber noch immer elitäre Autos für Gutverdienende. Erst danach wandelt sich Alfa Romeo zum Nice-Price-Angreifer, der eine Giulia Super für 9990 Mark nach Deutschland schickt. Und dafür lässt sie einen Hauch der alten Grandezza aufblitzen. Die Testpersonen jener Jahre loben sie nicht nur für ihre Fahrleistungen, sondern auch für das exakte Schließen ihrer Türen und die Steifigkeit ihrer Karosserie. Es kommt dem Erfolgsmodell auch zugute, dass es bis zum großen Durchbruch bei uns in aller Ruhe reifen darf.
Als die Giulia 1962 erscheint, spielt die Marke hierzulande schon wegen des dünnen Händlernetzes keine Rolle. Und dazu sind die frühen Modelle mit ihren durchgehenden vorderen Sitzbänken und der Lenkradschaltung noch im Chefwagen-Stil der frühen Sechziger gefangen. Der Boom beginnt erst um 1965, als die Giulia zur Super wird und die Marke mit ihrer neuen Zentrale in Frankfurt zum Kultlabel für Italien-Liebhaber, Technik-Genießer und Design-Gourmets avanciert – ein Boom, der Renault und dem Renault 12 Gordini im Speziellen verwehrt bleibt.
Tatsächlich unterscheidet sich die Giulia vom deutschen Auto-Mittelstand der Sechziger wie Saltimbocca von Sauerbraten, wie der direkte Vergleich zeigt. Es beginnt schon bei der schrulligen Zweckform ihrer Karosserie. Speziell das knochige Heck folgt nicht den Schönheitsidealen der Heckflossen-Ära, dafür aber profitiert die Giulia von einem cW-Wert von 0,34. Wer die wahre Eleganz der Giulia entdecken will, muss erst mal reinkommen. Für größere Personen ist das etwas umständlich, und wenn die Person am Steuer ihren Sitz ganz nach hinten schiebt, wird die kleine Limousine zum viertürigen Coupé.
Aber das nehmen Giulia-Fans hin, weil dieses Auto so stilvoll eingerichtet ist wie keiner der Rivalen. Schon das Holzlenkrad mit massiven Edelstahlspeichen sieht mehr nach Maserati als nach Mittelklasse aus, auch die Mahagoni-Täfelung des Armaturenbretts liefern sie bei Alfa ohne Aufpreis. Der Schalthebel wächst nicht aus einer Gummitülle, sondern aus einem imposanten Ledersack. Und natürlich informiert die Alfa Romeo Giulia Super nicht nur über ihre Wassertemperatur, sondern auch über den Öldruck, schließlich geht es um fast sieben Liter Schmierstoff.
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Ein Rennmotor im Land der rasselnden Käfer
Es ist ein zierliches 1,6-l-Maschinchen, das da unter der Haube sitzt, aber auch ein verkappter Rennmotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen, hemisphärischen Brennräumen und einem rauchigen Bollersound, von dem die Auto-Aufsteigenden vor gut 50 Jahren nicht genug kriegen können. Im Land der rasselnden VW Käfer klingt die Alfa Romeo Giulia, als hätte der junge Adriano Celentano beim Medium Terzett angeheuert. Dabei erweist sich das Klangwunder aus Turin als problemloser Alltagsbegleiter: Nicht einmal hohe Drehzahlen braucht es, um mit der Giulia vergnüglich unterwegs zu sein, ihr maximales Drehmoment fällt schon ab, wenn ihre Kurbelwelle 2900-mal pro Minute rotiert.
Und während es bei Opel noch einen Rekord mit Dreigang-Getriebe gibt, schalten Alfa-Fahrende auf der Autobahn in den langen Fünften. Natürlich gibt es damals schon schnellere Autos als die Giulia mit ihren 103 PS (76 kW), aber nicht allzu viele, die ihr auch auf der Landstraße davonfahren können. Vor allem müssen sich ihre Fahrenden nicht ans Schnellsein gewöhnen, weil sie Kurven mit bemerkenswerter Neutralität und geringer Seitenneigung abhakt.
BMW 2002: Mehr Motor fürs Geld – und viel weniger Sound
Wer ein zuckendes Heck schätzt, um bei eiligen Überland-Partien sportlich unterwegs zu sein, muss das Übersteuern provozieren oder zum einzigen Rivalen greifen, den Giulia-Fahrende jener Zeit zu fürchten haben. Schon die Modellbezeichnung zeigt, was der BMW 2002 für einer ist (hier geht es zur Kaufberatung vom BMW 2002). Natürlich heißen die Autos der Ingenieursmarke nicht wie Frauen. Und auch sonst ist der kleine BMW nicht die erste Wahl der romantischen Menschen, sondern mehr ein effizienter Leistungsträger für schnelle, aber sachliche Leute. Der BMW 2002 ist 1969 genau zehn Mark billiger als die Alfa Giulia, schöpft seine 100 PS (74 kW) und das im Vergleich üppige Drehmoment aber aus der Tiefe eines Zweiliter-Motors.
Das reicht damals als wichtigstes Argument, denn viel mehr müssen die Bayern nicht dazupacken. Wo sich die Giulia auf der Autobahn mit scharfem Vier-Augen-Blick nähert, lässt es der 2002 mit zwei Rundscheinwerfern gut sein. An der Hinterachse müssen Trommelbremsen reichen, ein Fünfgang-Getriebe steht immerhin auf der Mehrpreis-Liste. Mit vier Türen aber gibt es den BMW nicht für Geld und gute Worte. Und gegen die körpergerecht geformte Alfa-Rückbank wirkt der Fond des BMW so karg wie eine Behörden-Wartebank.
Nicht nur die Karosserie des Erfolgsautos folgt der schnörkelfreien Zweckform, vor allem der Arbeitsplatz der Person am Steuer fällt so ernst und sachlich aus, als hätte BMW die Gestaltungs-Purist:innen des Elektrogeräteherstellers Braun abgeworben. Die Person am Steuer sitzt tief im 02, nichts lenkt sie ab wie in der Giulia, wo sich die Schalter der Scheibenwischer, der Instrumentenbeleuchtung und des Lüfters auf der Mittelkonsole verstecken. Vor allem aber wirkt der Innenraum mit den zierlichen Fensterpfosten und der niedrigen Fensterlinie im Vergleich zur hochbordigen Giulia so hell, als habe jemand die Jalousien hochgezogen. Auch die kurzen Schaltwege und die feinfühligere Lenkung nehmen fahrende Personen bis heute für den BMW ein.
Und wie in den alten Tests würde der BMW 2002 sicher auch einen Wimpernschlag schneller beschleunigen als die Alfa Romeo Giulia, wenn das Fotofahrzeug nicht ein jungfräulicher Garagenfund mit 12.000 km auf dem Zählwerk wäre. Im Prinzip hat er natürlich nichts gegen hohe Drehzahlen, nur klingen sie nicht nach La Traviata, sondern eher nach Cindy und Bert in der ZDF-Hitparade.
Offiziell steht der Renault 12 Gordini nicht in den Preislisten
Dass es für den wahren Rock 'n' Roll einen Renault braucht, gehört zu den Erfahrungen, die deutsche Schnellfahrende nur ausnahmsweise machen. Offiziell steht der Renault 12 Gordini nicht in den Preislisten, aber ein paar Enthusiast:innen schaffen es trotzdem, die heile Welt der Alfa- und BMW-Fahrenden mit tiefem Ansaugschlürfen und rotzigem Auspuffklang ins Wanken zu bringen.
Keiner der wilden Reiter kann fassen, was da in ihrem Rückspiegel größer wird, zumal der TÜV darauf besteht, dass der Gordini die Stoßstangen des Basismodells trägt. Und dem liegt nichts auf der Welt so fern wie sportlicher Lorbeer, zumindest im Lastenheft ist ab 1964 keine Silbe davon zu lesen. Bei seinem Erscheinen im Herbst 1969 ist der Renault 12 ein Spießer in einer Sippe voller Revoluzzer. Mit Renault 4 und 16 hat der französische Staatskonzern den Individualisten der Welt zwei Trendsetter hingestellt, doch beim 12 hat Renault-Chef Pierre Dreyfus vor allem die Schotterpisten Nordafrikas im Blick, später kommt auch der Ostblock dazu, wo sich der in Rumänien montierte Renault als Dacia vermehrt.
Allein in Frankreich wird Renault über vier Millionen Exemplare des Dutzendtyps los. Doch nur 5188 von ihnen sind mit G-Kraft unterwegs. Eigentlich ist der wüstentaugliche Renault 12 zu schwer für eine Sportkarriere, seine massive Starrachse würde auch unter einem Volvo nicht weiter auffallen. Auch der Frontantrieb stört beim Schnellsein – und seine Kopflastigkeit, weil er den Motor vor der Vorderachse trägt. Aber er ist nun mal der offizielle Nachfolger des R8, mit dem Renault 1965 den ersten Markenpokal der Rennsport-Geschichte erfunden hat. Und außerdem passt ihm der Motor des Renault 16 TS, dem Haustuner Amédée Gordini mit zwei Weber-Doppelvergasern, größeren Ventilen und einer schärferen Nockenwelle 113 PS (83 kW) abringt. Später kommt noch das Tuningkit 807 G dazu, damit sind dann sogar bis zu 160 PS (118 kW) drin.
Drehfreudiger Motor, ultradirekte Lenkung
An der Drehfreude des Motors liegt es nicht, dass der Renault 12 Gordini floppt, auch die ultradirekt ausgelegte Lenkung, das gut gestufte Fünfgang-Getriebe und die vier Scheibenbremsen – vorn sogar innenbelüftet – dokumentieren den Ehrgeiz seiner Macher. Doch das Untersteuern und die Traktionsprobleme bleiben die ständigen Begleiter des Gordini, obwohl er als Lastenausgleich einen großen 89-l-Tank mitbekommt. Doch mehr als ein paar mittelprächtige Rallye-Platzierungen sind einfach nicht drin. Heute ist es gerade die Melange aus Skurrilität und Angriffslust, die den Renault 12 Gordini so reizvoll macht – mit gerade einmal 5188 produzierten Einheiten ist er auch der Exot in diesem Vergleich.
Sportlenkrad und Drehzahlmesser kontrastieren mit speckig glänzenden Hartplastik-Applikationen, dazu stehen weiche Sportsessel im Raum, die sich anfassen wie ein Nylonstrumpf. Und doch gehört der Renault 12 Gordini vor 50 Jahren zu den Typen, denen weder eine Alfa Giulia noch ein BMW 2002 davonfahren. Zumindest dann, wenn die Straße gerade, trocken und nicht zu wellig ist. Die Zeit läuft in den Siebzigern ab für solche Charaktertypen. Nicht mehr lange, und die Menschen in den schnellen Alfa, BMW und Renault wollen es ein bisschen größer und glatter. Sie ahnen noch nicht, was ihnen einmal fehlen wird.
Technische Daten von Alfa Romeo Giulia Super, BMW 2002 & Renault 12 Gordini
Classic Cars 10/2021 | Alfa Romeo Giulia Super | BMW 2002 | Renault 12 Gordini |
Zylinder/Ventile pro Zylinder | R4/2-Ventiler | R4/2-Ventiler | R4/2-Ventiler |
Hubraum | 1570 cm³ | 1990 cm³ | 1565 cm³ |
Leistung | 103 PS (75 kW) | 100 PS (74 kW) | 113 PS (83 kW) |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 133 Nm bei 2900/min | 157 Nm bei 3500/min | 147 Nm bei 4500/min |
Getriebe/Antrieb | 5-Gang/Hinterrad | 4-Gang/Hinterrad | 5-Gang/Vorderrad |
L/B/H | 4160/1560/1430 mm | 4230/1590/1410 mm | 4340/1616/1435 mm |
Leergewicht | 1070 kg | 990 kg | 980 kg |
Bauzeit | 1962-1978 | 1968-1975 | 1970-1974 |
Stückzahl | 572.646 | 373.570 | 5188 |
Beschleunigung null auf 100 km/h | 11,8 s | 11 s | 9,5 s |
Höchstgeschwindigkeit | 182 km/h | 173 km/h | 185 km/h |
Verbrauch auf 100 km | 12 l | 12 l | 15 l |
Grundpreis (Jahr) | 9990 Mark (1969) | 9980 Mark (1970) | 11.860 Mark (1970) |
Den Alfa fuhr mein Onkel Günther, und der war im Umgang mit Autos und Frauen der wildeste Hund, den meine Verwandtschaft zu bieten hatte. Den BMW 2002 hatte Frau I., meine Grundschullehrerin, er war das coolste Auto auf dem Lehrerparkplatz. Ich habe also ziemlich gute Gründe dafür, mich nicht zwischen Alfa Romeo und BMW entscheiden zu können. An der Leistung und am Handling liegt’s nicht, beide machen auch im heutigen Alltag noch jede Menge Spaß. Aber der Sound, das Ambiente des Innenraums und, ja: der langstreckentaugliche fünfte Gang sprechen für den Alfa. Den BMW muss man für seinen technisch-kühlen Stil lieben. Und der Renault 12 Gordini ist eine volltönende Entdeckung für Leute, die schon alles zu kennen glauben: Es sind die Kontraste, die ihn irre anziehend machen.