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Autos mit versenkbaren Türgriffen: Fortschritt oder Risiko?

Zwischen Luxusanspruch und Sicherheitsbedenken

Max Grigo Redakteur
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Türgriff des Mercedes EQS SUV
Mercedes EQS SUV Foto: Mercedes
Inhalt
  1. So funktionieren versenkbare Türgriffe
  2. Darum verwenden Hersteller versenkbare Türgriffe
  3. Probleme bei Unfällen
  4. Mechanische Notöffnung als Lebensretter
  5. Nachteile in der Praxis schwer zu beziffern
  6. Fazit

Besonders mit der Elektrifizierung der Modellpaletten greifen immer mehr Autohersteller auf Türgriffe zurück, die während der Fahrt bündig in der Karosserie verschwinden. Wie so oft stehen auch bei diesem Trend technischer Fortschritt, Praktikabilität und Sicherheit in einem Spannungsfeld. Die AUTO ZEITUNG geht dem Phänomen der versenkbaren Türgriffe auf den Grund – das sollte man wissen!

2022 kamen bei einem tragischen Verkehrsunfall in Brandenburg zwei 18-Jährige auf dem Rücksitz eines brennenden Tesla Model S ums Leben. Im öffentlichkeitswirksamen Gerichtsprozess wurde 2024 neben der Schuldfrage auch einer weiteren beunruhigenden Frage nachgegangen: Hätte eine der Insassinnen ohne einen technischen Fehler des Teslas gerettet werden können? Anscheinend hatte sich der versenkbare Türgriff des Elektroautos nicht ordnungsgemäß mit dem Auslösen der Airbags ausgeklappt, um Ersthelfer:innen zu ermöglichen, die Tür von außen zu öffnen. Auch der mechanische Notöffner von innen ist oft alles andere als selbsterklärend und im Notfall nicht unbedingt auffindbar. Trotzdem sind versenkbare Türgriffe an immer mehr Fahrzeugen zu finden: Tesla, Mercedes und BYD sind nur einige der Marken, die sie in Großserie verkaufen. Doch wie funktionieren die Türgriffe, warum gibt es sie und wie gefährlich sind sie wirklich?
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So funktionieren versenkbare Türgriffe

Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Türgriffen, die während der Fahrt einen bündigen Abschluss zur Karosserie bilden und daher von außen kaum zu unterscheiden sind: mechanisch und elektrisch bediente. Bei der mechanischen Variante kippt man den Türgriff häufig wie eine Wippe heraus, indem man mit dem Finger das kurze Stück an der Drehachse hineindrückt. Ein Beispiel für den mechanisch versenkbaren Türgriff findet man beim Genesis GV60

Animation eines rotatorischen Türgriffes
Mechanischer Türgriff des Zulieferers Huf. Foto: Huf Group

Eine weiter verbreitete Variante ist der elektrisch ausfahrende Türgriff wie bei Autos von Tesla, Nio oder den vollelektrischen Modellen von Mercedes. Hier fährt der Griff durch die Berührung eines Sensors aus – vorausgesetzt, es befindet sich der passende Smartkey oder das entsprechend eingerichtete Smartphone zur Entriegelung in Reichweite. Beispielsweise bei Tesla gibt es zudem die Möglichkeit, die Türgriffe bereits bei Annäherung und örtlicher Verifizierung ausfahren zu lassen, sodass keine Sensorberührung nötig ist. Über den ausgefahrenen Griff lässt sich die Tür wie gewohnt durch Ziehen öffnen. Im Falle von Nio springt die Autotür bei einem Fingerdruck auf den Sensor sogar selbstständig fünf Zentimeter weit auf.

Auch interessant ist eine Variante, die beim BMW iX Verwendung findet: Hier gibt es anstatt eines versenkbaren Türgriffes lediglich eine Mulde in der Tür. Durch die leichte Berührung eines Sensors soll sich die Tür laut Türgriff-Zulieferer Huf "begleitet von einem dezenten haptischen Feedback mühelos aufziehen" lassen.

 

Darum verwenden Hersteller versenkbare Türgriffe

Bezüglich der Gründe, aus denen Autohersteller versenkbare Türgriffe in Serie bringen, braucht man nicht lange um den heißen Brei herumzureden: Zwei der größten Faktoren sind Design und Prestige. Mercedes-Pressesprecher Tim In der Smitten fasst den optischen Faktor elegant zusammen: "Elektrisch versenkbare Türgriffe unterstreichen die Designphilosophie der sinnlichen Klarheit unseres Hauses." Beim chinesischen Elektroauto-Hersteller Nio spricht man neben der Optik auch von einer "Premium-Nutzungserfahrung" und zusätzlichem Komfort. Naheliegend in einem Geschäft, in dem schicke neue Features vermarktbaren Fortschritt bedeuten und damit Gewinnmaximierung.

Natürlich geht es aber nicht nur um den Look, sondern versenkbare Türgriffe haben auch einen nennenswerten technischen Vorteil: verbesserte Aerodynamik. Vor dem Hintergrund der Reichweitensteigerung rutscht dieses Ziel vor allem bei Elektroautos immer weiter nach oben im Lastenheft.

Nio ET5 beim Laden
Nio ET5 mit ausgefahrenen Türgriffen. Foto: AUTO ZEITUNG

Mit flacher Haube und weniger Bedarf an Lufteinlässen bringen Elektroautos ohnehin günstige Voraussetzungen für einen niedrigen cW-Wert mit – trotzdem liegt es nahe, dass im Sinne der Reichweite auch mehr Wert auf einen geringen Luftwiderstand gelegt wird. So dürfte es kein Zufall sein, dass das Ranking der Fahrzeuge mit niedrigsten cW-Werten von E-Autos dominiert wird: Auf Platz eins der aktuell erhältlichen Serienfahrzeuge befindet sich der Mercedes EQS, gefolgt von Hyundai Ioniq 6, Nio ET7 und Tesla Model S mit jeweils nahezu identischen cW-Werten. Die konkrete Verbesserung des cW-Werts durch versenkbare Türgriffe lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Karosserien jedoch kaum allgemein beziffern.

 

Probleme bei Unfällen

Nicht zuletzt der oben genannte Gerichtsprozess nach dem tödlichen Tesla-Unfall in Brandenburg warf die Frage nach der Crashsicherheit auf. Das Problem bei elektrisch ausfahrenden Türgriffen: Sie benötigen im Moment des Unfalls eine funktionierende Stromversorgung, damit sie sich ausfahren und die Türen somit von Ersthelfer:innen geöffnet werden können. In der Regel ist eine automatische Ausklappfunktion der Griffe an die Airbag-Steuerung gekoppelt. Registriert die Sensorik also einen Unfall, der auch Airbags und Gurtstraffer aktiviert, werden die Türen entriegelt und die Türgriffe ausgefahren. In diesem Zusammenhang sollte man nicht vergessen, dass das automatische Entriegeln der Türen auch bei modernen Autos mit konventionellen Türgriffen nötig ist, da sich bei vielen Modellen die Türen beim Losfahren automatisch verriegeln.

Auf AUTO ZEITUNG-Anfrage bestätigte die europäische Crashtest-Organisation Euro NCAP, dass alle neuen Modelle dahingehend getestet werden. Der Technical Manager James Ellway kommentiert: "Wir erwarten, dass die Türgriffe nach unseren Tests ausgefahren und zum Öffnen bereit sind, um die Handlungen der Ersthelfer am Unfallort zu simulieren. Es muss möglich sein, die Türen ohne den Einsatz von Werkzeug zu öffnen." Auffälligkeiten habe es dabei bislang nicht gegeben.

Ausgefahrener Türgriff eines Tesla Model S
Ausgefahrener Türgriff eines Tesla Model S. Foto: ADAC
 

Mechanische Notöffnung als Lebensretter

Fehlfunktionen können – wie bei jeder Technik – in der Praxis nicht ausgeschlossen werden. Tanja Hellmann, Spezialeinheitsführerin Bergung bei der Feuerwehr Dortmund, erklärt: "In seltenen Fällen kann es passieren, dass die Stromversorgung des Fahrzeugs (Bordnetzspannung) vor Einleitung der passiven Sicherheitsfunktionen durch eine Beschädigung verloren geht. Dies hätte die Folge, dass Fahrzeuginsassen in ihren Fahrzeugen eingeschlossen sind, beziehungsweise Ersthelfer Fahrzeugtüren nicht öffnen könnten." Neben der Problematik der nicht einsatzbereiten Türgriffe könne ein solcher Ausfall des Bordnetzes auch zu einer nicht funktionierenden Türentriegelung führen.

Laut Hellmann bauen Hersteller für Notfälle, in denen die Entriegelung funktioniert hat, aber das Ausfahren des Türgriffs nicht, mechanische Öffnungsmöglichkeiten für die Türen ein – beispielsweise ein Hineindrücken oder Aufklappen des Griffs. Das Problem: Man muss den Kniff zum mechanischen Öffnen im Notfall kennen. Das gilt auch für den Innenraum. Im Falle des Tesla Model S aus dem Brandenburger Unfallszenario muss man für die manuelle Türentriegelung von der Rückbank aus die Fußmatte anheben und ein Kabel unter dem Sitz zur Fahrzeugmitte ziehen – nicht unbedingt intuitiv also. Sich vor Kauf oder Mitfahrt über das jeweilige Modell zu informieren, kann im Ernstfall also Leben retten.

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Nachteile in der Praxis schwer zu beziffern

Wenn Mechanik durch Elektromechanik ersetzt wird, bringt das in der Praxis meist zwei Nachteile mit sich: ein höheres Gewicht und eine weitere potenzielle Fehlerquelle. Da dürften versenkbare Türgriffe keine Ausnahme bilden. Bezüglich des zusätzlichen Gewichts gaben die von uns angefragten Autohersteller und -zulieferer zwar keine konkrete Auskunft, es ist aber nicht davon auszugehen, dass die Türgriffe bei den betreffenden Fahrzeugen mit meist mindestens zwei Tonnen Leergewicht eine nennenswerte Differenz ausmachen.

Auch zur Anfälligkeit gibt es bisher keine validen Zahlen. Auf Anfrage teilte uns der ADAC mit, dass es in der Statistik nicht geführt wird, wie oft der Pannendienst aufgrund defekter versenkbarer Türgriffe ausrückt – möglicherweise ein Anzeichen dafür, dass es hier bisher zu keiner auffälligen Häufung kam. Auch die HU-Prüfstellen können keine konkrete Mängelstatistik liefern, da die Türgriffe kein Gegenstand der Hauptuntersuchung sind. Laut GTÜ gibt es diesbezüglich keine Vorgaben außer "dass sich die Tür öffnen und schließen lässt." Bislang ist also nichts von Zuverlässigkeitsproblemen bekannt. Wie es sich mit zunehmendem Alter der zahlreichen versenkbaren Türgriffe entwickelt, bleibt abzuwarten.

 
Max Grigo Max Grigo
Unser Fazit

Während Optik und Luxus bei versenkbaren Türgriffen definitiv eine Rolle spielen, ist auch der immer wichtiger werdende Aspekt der Aerodynamik nicht von der Hand zu weisen. Die Schattenseite der immer komplexer werdenden Technik: Eine ungünstige Verkettung von Ereignissen kann in seltenen Fällen dazu führen, dass versenkbare Türgriffe für Ersthelfer:innen den Zugang zum Auto erschweren. Letztlich wird der Markt die Entscheidung in dieser Kosten-Nutzen-Abwägung fällen. 

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