Wie ein eigentlich simpler Test des Tesla Model S 100D die Einstellung zu Raum und Zeit verändern kann. Oder: wenn der Weg nach langer Zeit mal wieder wichtiger ist als das Ziel.
Konstanz ist das Ziel des Reichweitentests, das wir ins Navi des Tesla Model S 100D eingeben, der vor der Redaktion im Kölner Norden an der Ladesäule parkt. Mit einer Entfernung von 545 Kilometer liegt die schöne Stadt am Bodensee zwar etwas außerhalb der vom Bordcomputer angezeigten maximalen Reichweite von 512 Kilometer. Aber wäre doch gelacht, wenn wir es mit vorausschauender Fahrweise und gefühlvollem „Gasfuß“ nicht trotzdem ohne nachzuladen schaffen, oder? Immerhin wird die Reichweite des 422 PS starken S 100D von 632 Kilometern im Norm-Zyklus von keinem anderen E-Auto auf dem Markt auch nur ansatzweise erreicht. Beste Voraussetzungen also für dieses ambitionierte Projekt. Ambitioniert auch deshalb, weil wir nicht etwa mit geradezu realitätsfremden Geschwindigkeiten über die Autobahn zuckeln wollen, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen, sondern uns die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h als Limit setzen. Zunächst lotst uns das Navi aber durch den verbrauchsintensiven innerstädtischen Verkehr. Es geht einmal quer durch Köln zur Autobahn. Auf der A3 entwickelt sich die Tendenz wegen der gleichmäßigeren Fahrt endlich in die von uns gewünschte Richtung. Die Zahl der Restreichweitenanzeige reduziert sich nicht mehr schneller als die Zunahme des Tageskilometerstands, sondern phasenweise sogar deutlich langsamer. Aber wird das reichen, die nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen Restreichweite und Entfernung bis zum Ziel zu überwinden? Das große Rechnen beginnt …
Tesla-Modelle und -Geschichte im Video:
Test: So viel Reichweite packt der Tesla Model S 100D
Um unser Ziel erreichen zu können, geht das Navigationssystem unverändert davon aus, dass wir auf der Route einen Zwischenstopp an einer der derzeit 58 über ganz Deutschland verteilten Supercharger-Stationen einlegen und ein paar Minuten aufladen müssen. So sehr ich die Genauigkeit der Berechnungen bewundere und die Auswahl zwischen verschiedenen „Boxenstopp“-Strategien zu schätzen weiß – es muss auch ohne gehen. Ich checke noch einmal, ob wir die Effizienz steigern können, indem wir Verbraucher ausschalten. Können wir nicht. Denn an komfortsteigernden Extras gönnen wir uns seit dem Start in Köln neben der Routenführung des Navigationssystems einzig ein wenig Unterhaltung durch das Radio. Die energiefressende Klimaanlage ist ausgeschaltet, was an diesem überraschend milden Spätherbsttag Ende Oktober Gott sei Dank kein allzu großes Problem darstellt. Und auch auf die Dienste der diversen Fahrerassistenzsysteme verzichten wir. Denn egal wie ausgereift er ist, kann beispielsweise ein adaptiver Tempomat niemals so vorausschauend und damit effizient fahren wie der Mensch. Wir kommen gut voran, passieren Limburg, Wiesbaden und Mannheim – müssen uns bei aller Rechnerei aber langsam eingestehen, dass Konstanz nicht mit einer Batterieladung zu erreichen sein wird. Denn selbst, wenn wir sozusagen mit dem letzten Elektron ankommen würden: Was dann? Die nächstgelegene Supercharger-Station auf deutschem Boden liegt 108 Kilometer vor Konstanz in Vöhringen. Und wie man es auch dreht und wendet, auch die nur rund 60 Kilometer bis zum Supercharger im schweizerischen Schaffhausen würden wir definitiv nicht mehr schaffen. Sei es drum, ändern wir halt kurzerhand den Plan.
Laden am Supercharger in Leonberg
Als bislang einzige Großstadt in Deutschland nutzt Stuttgart im Kampf gegen die Luftverschmutzung das Instrument des Feinstaubalarms – und ist damit das perfekte Alternativziel. Denn beim Tesla-Fahren hat sich eine gewisse Arroganz entwickelt. Mit weitgehend umweltfreundlich produzierten 422 PS lässigsouverän unterwegs zu sein, verleiht einem ein fast schon überlegenes Gefühl. Und damit bin ich keinesfalls allein, wie mir die fast schon verschwörerischen Blicke anderer Tesla-Fahrer suggerieren, denen wir erstaunlich häufig begegnen. Mit entsprechend leicht überheblichem Lächeln auf den Lippen passieren wir schon bald die mit Feinstaubalarm-Schildern gekennzeichnete Stuttgarter Stadtgrenze. Doch der Spaß vergeht uns recht schnell, denn die baden-württembergische Landeshauptstadt kommt uns wie eine einzige große Baustelle vor, die jeden Verkehrsfluss konsequent unterbindet. Wir verlassen die Stadt auf schnellstem Weg, lassen auf der Straße den Raichberg hoch ein wenig die bisherige Zurückhaltung schleifen. Ein kleiner Zwischensprint hier und da wird ja wohl erlaubt sein. Wir erreichen die angepeilte Ladestation in Leonberg nach insgesamt 419 gefahrenen Kilometern mit noch 43 Kilometern in der 100-kWh-Batterie. Wie wohl alle Supercharger-Stationen liegt auch diese allerdings in einem wenig attraktiven Gewerbegebiet. Wie sollen wir die letztlich 70-minütige Wartezeit überbrücken? Nach der geradezu obligatorischen Fast-Food-Kette mit dem goldenem M steht uns nicht der Sinn. Stattdessen genießen wir unseren Kaffee im Anschluss an den Ladevorgang auf dem ansehnlichen historischen Marktplatz von Leonberg. Auf diese zusätzliche Stunde kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ein Gedanke, der mir sonst eher selten kommt. Aber Elektroauto-Fahren verändert einfach das Verhältnis zu Zeit und Geschwindigkeit.