Porsche gegen VW (Übernahmeversuch): Report
Der gescheiterte Übernahmeplan
- Gescheiterte Übernahme: So wollte sich Porsche VW einverleiben
- Porsche spielt mit der VW-Aktie und erhöht seinen Anteil immer weiter
- Wiedeking legt sich mit dem VW-Betriebsrat und Niedersachsen an
- Die Finanzkrise bringt Wiedekings Kartenhaus zum Einsturz
- Bei strömendem Regen verabschiedete sich Wiedeking 2009
Es war der gewagteste Übernahmeplan der Autogeschichte: Der Mittelständler Porsche wollte sich den Weltkonzern VW einverleiben. Dafür spielte Wendelin Wiedeking, der Chef der Sportwagenmarke, mit hohem Einsatz.
Das geheime Treffen an einem Märztag im Jahr 2005 in Salzburg war selbst für die Mitglieder der Porsche-Eigentümerfamilien Porsche und Piëch außergewöhnlich. Der Chef des Sportwagenherstellers, Wendelin Wiedeking, präsentierte ihnen im engsten Kreis einen ungeheuerlichen Plan, der Geschichte schreiben sollte. Der Manager mit dem markanten Schnäuzer schlug den Porsche-Oberhäuptern vor, den VW-Konzern zu übernehmen. David sollte also Goliath schlucken: Während Porsche mit 11.571 Mitarbeitenden einen Umsatz von 7,4 Mrd. Euro erzielte, erwirtschaftete der VW-Konzern mit 329.305 Beschäftigten 108,9 Mrd. Euro. Volkswagen verkaufte mit den damals insgesamt sieben Automarken weltweit 6,2 Mio. Neuwagen pro Jahr, der Mittelständler Porsche 97.515.
Ein wahnsinniges Unterfangen! Und Wiedeking legte noch einen nach: Um den Kraftakt der Übernahme zu stemmen, setzte er auf Spekulationen mit der VW-Aktie an der Börse, mit Optionen und Derivaten. Der Clou: Dadurch sollte sich die Übernahme fast von allein finanzieren. Allen im Raum war jedoch klar, dass dies ein Kampf werden würde. Niemand rechnete damit, dass sich das selbstbewusste VW-Management einfach so aufkaufen ließe. Auch die in Wolfsburg äußerst starke Gewerkschaft galt es entweder zu gewinnen oder auszubooten. Und schließlich gab es da noch das Land Niedersachsen, das aufgrund des VW-Gesetzes ein Vetorecht bei allen wichtigen Entscheidungen besaß. Es war ein Pokerspiel auf allerhöchstem Niveau – und Porsche sowie der VW-Konzern waren der Einsatz. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
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Gescheiterte Übernahme: So wollte sich Porsche VW einverleiben
Zunächst skeptisch, ließen sich die Familienoberhäupter Wolfgang Porsche und Ferdinand Piëch von dem gewagten Plan überzeugen. Dass sie dem Coup zustimmten, hatte auch mit der Person Wiedeking zu tun: Der gebürtige Westfale übernahm 1992 die Leitung bei Porsche. Damals stand der Sportwagenbauer am Abgrund und fuhr dreistellige Millionenverluste ein. Wiedeking krempelte Porsche um und führte das Unternehmen mit neuen Produkten wie Boxster, Cayman und Cayenne sowie einer effizienteren Fertigung wieder in die schwarzen Zahlen. Und das war erst der Anfang: Während Porsche im Geschäftsjahr 1994/1995 nur sechs Mio. Euro Gewinn erwirtschaftete, stieg das Plus bis 2004/2005 auf unglaubliche 1,2 Mrd. Euro.
Wiedeking bekam die Zustimmung der Porsche-Eigner. Und schritt sofort zur Tat: Bis zum Sommer 2005 stellten er und sein Finanzvorstand Holger Härter ein vielköpfiges Team aus den Bereichen Bank-, Steuer-, und Rechtswesen sowie Expert:innen für die Übernahme zusammen. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, trafen sie sich nicht in der Porsche-Zentrale in Zuffenhausen, sondern in wechselnden Hotels in der Nähe von Stuttgart und Frankfurt. Am 25. September 2005 war es dann soweit: Wiedeking verkündete den Porsche-Einstieg bei VW. Die Sportwagenmarke erwarb zunächst 20 Prozent der Aktien für rund 3,5 Mrd. Euro. Die ersten Reaktionen aus Wolfsburg fielen sogar positiv aus: VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh begrüßte Porsche als "vernünftigen Großaktionär". Denn der Sportwagenbauer war VW als Anteilseigner lieber als ein US-Hedgefond oder ein chinesischer Investor. Bis März 2007 erhöhte Wiedeking die Beteiligung auf 31 Prozent.
Porsche spielt mit der VW-Aktie und erhöht seinen Anteil immer weiter
Dieser Anteil reichte aus, um den Kurs der VW-Aktie durch Ankündigungen, Aussagen und Andeutungen aus Zuffenhausen steigen oder fallen zu lassen – und dadurch die Porsche-Spekulationen mit Optionen und Derivaten zu stützen. Wiedekings Plan ging auf: Die schrittweise Übernahme finanzierte sich tatsächlich fast von selbst. Porsche gestaltete den Preis der VW-Aktie beinahe nach Gutdünken. Kurios: Durch den Einstieg in Wolfsburg kam es zu einem betriebswirtschaftlichen "Wunder". Porsche verdiente im Geschäftsjahr 2007/2008 mehr Geld, als das Unternehmen Umsatz erwirtschaftete – dank der VW-Dividenden und Optionsgeschäfte. Einem Gewinn von 8,6 Mrd. Euro stand ein Umsatz von 7,5 Mrd. Euro gegenüber.
Im November 2007 ließ Wiedeking schließlich die Katze aus dem Sack: Porsche sei in der Lage, über 50 Prozent von VW zu übernehmen. Man müsse "nur den Knopf drücken", um das dafür notwendige Kapital aufzubringen. Diese Ankündigung trieb den Preis der durch die Porsche-Zukäufe immer weiter verknappten VW-Aktien schnell in die Höhe. Das Papier erreichte einen Rekord nach dem anderen. Am 28. Oktober vormittags durchbrach die Aktie die Marke von 1000 Euro – damit hatte sich ihr Wert seit Januar 2007 verzehnfacht. VW war an diesem Tag mit einem Marktwert von 294 Mrd. Euro das wertvollste Unternehmen der Welt. Erste Aktionärsschützer:innen und Fondsgesellschaften warfen Porsche nun Kursmanipulationen vor, die noch Jahre später die Gerichte beschäftigen sollten. Vom Vorwurf der Marktmanipulation wurden Wiedeking und Finanzvorstand Härter 2016 jedoch freigesprochen.
Wiedeking legt sich mit dem VW-Betriebsrat und Niedersachsen an
Zu Beginn des Jahres 2008 glaubte sich Wiedeking fast am Ziel. Der Westfale gab der VW-Führung schon mal erste Ratschläge: So dürfe es fortan in Wolfsburg keine "heiligen Kühe" mehr geben. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh nahm den Fehdehandschuh als erster auf und bescheinigte Wiedeking die "Arroganz eines Alleinherrschers". Mitarbeitende und Management in Wolfsburg fühlten sich zunehmend fremdbestimmt. Porsche hatte seinen Anteil mittlerweile auf 42,6 Prozent weiter aufgestockt. Als nächstes plante Wiedeking, das VW-Gesetz zu Fall zu bringen, das seit Jahrzehnten den Einfluss Niedersachsens beim Autokonzern sicherte. Die Sonderregelung räumte dem Land trotz eines vergleichsweise geringen Stammaktien-Anteils von 20 Prozent eine Sperrminorität bei allen wichtigen Entscheidungen ein. Als der Europäische Gerichtshof das VW-Gesetz für rechtswidrig erklärte, ging in Wolfsburg endgültig das Gespenst eines alleinherrschenden Wiedeking um.
Doch dessen Machtbasis begann langsam zu bröckeln: Die Porsche-Eigentümerfamilien zogen nicht mehr an einem Strang. So unterstützte zwar Wolfgang Porsche weiter die Strategie von Wiedeking. Doch sein Cousin Ferdinand Piëch verfolgte mittlerweile andere Ziele. Seit 1993 bestimmte der ehrgeizige Manager die Geschicke bei VW und leitete seit 2002 als Vorsitzender den Aufsichtsrat. Noch war er die bestimmende Persönlichkeit in Wolfsburg. Doch mit dem wachsenden Einfluss von Porsche im VW-Konzern stieg das Gewicht von Wiedeking und Wolfgang Porsche. Am 12. September 2008 kam es zu einer ersten Machtprobe: Während vor dem VW-Hochhaus in Wolfsburg 40.000 Mitarbeitende gegen die Porsche-Übernahme demonstrierten, blieb Ferdinand Piëch einer Abstimmung fern. Diese Enthaltung ermöglichte Betriebsratschef Bernd Osterloh, seine Anliegen im Aufsichtsrat durchzusetzen – ein Affront gegenüber Wiedeking und Wolfgang Porsche.
Die Finanzkrise bringt Wiedekings Kartenhaus zum Einsturz
Doch diese Nachricht ging in den Medien fast unter. Denn drei Tage später meldete die US-Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz an – die Wirtschafts- und Finanzkrise begann. In der Folge mussten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister die verängstigten Deutschen mit der Aussage beruhigen, dass ihre Spareinlagen trotz des weltweiten Chaos sicher sind. Und während Geldhäuser rund um den Globus um ihre Existenz bangten, stand für Porsche die Verlängerung eines Kredits in Höhe von zehn Mrd. Euro an. Die Gläubigerbanken zogen Porsche jetzt die Daumenschrauben an. Gleichzeitig brachen die Aktienmärkte ein. Aus seinem Tagesgeschäft konnte der mittelständische Sportwagenhersteller seine Kredite, die er für den Kauf der VW-Anteile benötigt hatte, jedoch nicht bedienen. Da nützte es Wiedeking auch nichts, dass Porsche mittlerweile mit knapp 50,8 Prozent mehr als die Hälfte der VW-Aktien kontrollierte. Denn um an die vollen Kassen des Wolfsburger Konzerns zu kommen, brauchte Porsche 75 Prozent der Anteile. Diese schienen nun unerreichbar.
Als der Antrag von Porsche auf ein Darlehen in Höhe von 2,5 Mrd. Euro bei der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau abgelehnt wurde, war allen klar: Der Sportwagenbauer stand vor dem finanziellen Abgrund. Und zu verantworten hatte das ausgerechnet jener Mann, der die Zuffenhausener:innen 15 Jahre zuvor vor dem Untergang bewahrt hatte: Wendelin Wiedeking. Nun schloss sich der Kreis: Im Mai 2009 kam es erneut zu einem geheimen Treffen der Porsche-Eigentümerfamilien in Salzburg. Diesmal war es ein Krisengipfel. Für Wiedeking hatte sich das Blatt gewendet, der Trumpf lag jetzt bei Ferdinand Piëch. Dieser ließ VW-Chef Martin Winterkorn einen neuen ungeheuerlichen Plan vorschlagen: VW sollte Porsche übernehmen! Die Porsche-Eigentümer waren sprachlos. Doch sie wussten, dass nur der VW-Konzern ihnen das dringend benötigte Geld geben konnte, um nicht von dem Schuldenberg von mittlerweile 11,4 Mrd. Euro erdrückt zu werden. Ihr Trost: Die Porsche-Eigentümer blieben der größte VW-Aktionär – sie halten über die Porsche SE bis heute 53,1 Prozent aller Stammaktien der Marke.
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Bei strömendem Regen verabschiedete sich Wiedeking 2009
Für Wiedeking war in dem neuen Konstrukt jedoch kein Platz mehr. Er wusste, dass er keine Karten mehr auf der Hand hatte. Das machte ihm der Gewinner Ferdinand Piëch im Rahmen einer Autovorstellung auf Sardinien deutlich. Auf die Frage eines Journalisten, ob Wiedeking als Porsche-Chef noch sein Vertrauen genieße, antwortete er: "Zurzeit noch. Das 'noch' können Sie streichen." Als die Porsche-Eigentümer der schrittweisen Integration ihres Sportwagenherstellers in den VW-Konzern zustimmten, kündigte Wiedeking seinen Rücktritt an. Die Marke Porsche verlor ihre Selbstständigkeit. Mit dem daraus erlösten Geld gelang es den Porsche-Eignern, ihre Schulden zu begleichen. Doch für die Mitarbeitenden in Zuffenhausen bedeutete es eine Demütigung. Während sie vor kurzem noch über dem VW-Konzern thronten, waren sie nun eine Tochtermarke wie Seat oder Skoda.