Corvette C8 Stingray/Porsche 911: Vergleich
Ist die Corvette dem Porsche gewachsen?
Traditionsbrechend geht die Corvette C8 Stingray mit Heck-Mittelmotor an den Start. Kann sie sich im Vergleich gegen den Porsche 911 Carrera S behaupten?
Sie kennen diese "Das haben wir schon immer so gemacht"-Sager? Jene, denen es zu anstrengend ist, neu zu denken? Bei Chevrolet dürfte kaum noch ein Mensch dieser Sorte arbeiten. Anders kann man es sich nicht erklären, warum nach 67 Jahren ein Heck-Mittelmotor in der Corvette C8 Stingray kurbelt, gleich hinter den Sitzen, tief und längs eingebaut. Im Vergleich misst sie sich mit dem Porsche 911 Carrera S. Einen Mittelmotor besaß die Corvette schon vorher, allerdings einen zwischen Vorderachse und Spritzwand, unter einer ellenlangen Haube, dem Markenzeichen der Corvette-Baureihen C1 bis C7. Und damit waren die hubraumstarken amerikanischen Traditionalisten zuletzt verdammt schnell unterwegs – auch auf dem Rundkurs. Jetzt kommt also die C8 mit kurzer, spitz zulaufender Front, schlanker Taille, voluminösen Luftschlünden diesseits und ausladendem Heck jenseits der Hinterachse. Vorn ein bisschen Ferrari, hinten ein wenig Camaro. Das typische Corvette-Layout, bei dem der Fahrer gefühlt kurz vor der Hinterachse saß, ist passé. Immerhin haben sie ihr den V8 gelassen, zwei Ventile pro Zylinder, 6162 Kubikzentimeter Hubraum, Typ Sauger. Obwohl das LT2 genannte Aggregat in Sachen Bohrung und Hub der alten LT1-Maschine entspricht, wurde es neu entwickelt, baut nun tiefer und überträgt seine Kraft über acht Gänge und zwei Kupplungen an die Hinterräder. Die Handschaltung ist aus dem Programm geflogen, denn die spielte beim Vorgänger eh nur noch eine untergeordnete Rolle. Ein echtes Corvette-Novum sind dafür die Doppelquerlenker und einzelne Stahlfedern statt zentraler Kunststoff-Querblattfeder an der Hinterachse. Das sensorgesteuerte Magnetic-Ride-Fahrwerk mit adaptiven Dämpfern soll nun noch sensibler auf Unebenheiten reagieren.
Das Corvette C8 Stingray Cabrio im Video:
Corvette C8 Stingray und Porsche 911 Carrera S im Vergleich
Im Vergleich zur Corvette C8 Stingray bleibt in Zuffenhausen alles beim Alten. Denn bei Porsche denken sie gar nicht daran, am Elfer etwas Grundlegendes zu ändern – obwohl dem Heckmotor-Konzept schon zigmal der Untergang prophezeit wurde. Mit jeder neuen Generation jedoch ist der 911 nochmals gereift – fahrdynamisch, aber auch in Sachen Komfort und Fahrbarkeit. So muss der Typ 992 damit leben, dass ihn manche als Langweiler abstempeln, weil er alles richtig macht, nicht aneckt. Als Hecktriebler Porsche 911 Carrera S mit 450 PS starkem Biturbo-Boxer zeigt er dafür eine aberwitzig hohe Performance. Grund dafür sind auch die teuren Extras des Testwagens, der mit adaptiv gedämpftem Sportfahrwerk (916 Euro), aktiver Wankstabilisierung (3132 Euro), Karbon-Keramik Bremse (8712 Euro) und Hinterachslenkung (2192 Euro) antritt. In diesem Ornat fährt der Elfer wie auf Schienen, lässt sich fast alles gefallen, reagiert gut beherrschbar auf spontane Spur- und Lastwechsel, selbst dann, wenn man ihn auf dem Rundkurs bis übers Limit ausquetscht. Sein Grenzbereich liegt extrem hoch, und auch, wenn man das PASM (ESP) komplett deaktiviert, kann man Heckschlenzer mit kleinen, gut dosierbaren Lenkradbewegungen korrigieren, ja sogar mit dem Gasfuß ein wenig mitlenken, so gut beherrschbar sind die Pirelli-Pneus mit der Porsche-spezifischen NA1-Kennung.
Kräftige Bremsen im Porsche 911 Carrera S
Entscheidende Faktoren für die im Vergleich ausgezeichnete Fahrbarkeit des Porsche 911 Carrera S sind aber auch Bremse und Lenkung. Allein die Verzögerungswerte im Vergleichstest sind stark: 31,3 und 30,9 Meter Bremsweg aus 100 km/h (kalt/warm). Dazu kommt die hervorragende ABS-Abstimmung mit ganz feinen Regelimpulsen und punktgenauer Bremskraftverteilung. Dass der Pedalweg aus der Nullstellung heraus recht kurz ist, bis die Beläge an den Scheiben anliegen, ist hier kein Manko. Und dann ist da die Lenkung, variabel übersetzt (14,1:1), mit der man den Elfer exakt platzieren kann und die so gefühlvoll um die Mittellage anspricht. Sie hält das Handmoment auch in der Kurve, ohne dass man dafür Arme wie Schwarzenegger bräuchte. Die benötigt man auch in der Corvette C8 Stingray nicht – im Gegenteil. Die ebenfalls variabel übersetzte Lenkung der C8 mit Z51-Paket (15,7:1) spricht aus der Mittellage heraus berechenbar an, kann das Handmoment in der Kurve allerdings nicht beibehalten, ist an dieser Stelle etwas zu leichtgängig. Auch sind die Lenkwinkel bei spontanen Spurwechseln deutlich größer als beim Porsche, sodass man bei sportlicher Sitzposition mit den Ellenbogen an die ausladenenden Wangen der Sportsitze stößt.
Schmaler Grenzbereich in der Corvette C8 Stingray
Was die Corvette C8 Stingray im Vergleich ausmacht, ist ihr jetzt noch spontaneres Einlenkverhalten, besonders in engen Ecken. Wo man die Vorgängerin (Gewichtsverteilung 50:50) um die Kehre wuchten musste, dreht sich die C8 (40:60) leicht ein, baut aber auch dank 2,5 und 3,0 Grad Negativ-Radsturz (vorn/hinten) eine enorme Seitenführung auf. Am Kurvenausgang ist allerdings noch Luft nach oben. Zwar ist die Traktion generell phänomenal gut, dank Quersperre (elektrohydraulisch gesteuerte Lamellenkupplung), 305er-Gummis und Saugmotor-Charakteristik mit linearer Leistungsentfaltung. Allerdings wirkt die Vorderachse mit diesem Schub etwas überfordert, drückt unter Last früh nach außen, sodass man weitere Radien wählen muss als im Elfer. Nicht ganz so nervenschonend wie im Porsche 911 Carrera S fällt das Bremsgefühl aus, obwohl die Vette gut verzögern kann und sich mit 33,7 und 33,5 Metern (kalt/warm) aus Tempo 100 nicht verstecken muss. Allerdings nimmt der nun elektronische Bremskraftverstärker etwas an Rückmeldung aus dem Pedal. Regelimpulse spürt man nur schwach, das eindeutige Feedback, wie weit man noch gehen kann – so, wie es im Vergleich der Porsche bringt– dürfte aber besser sein. So kurvt man dann um den Rundkurs oder über die Landstraße, mit guter Übersicht nach vorn, weil die Haube kurz und die Sitzposition eher einen Tick zu hoch ist, wird unterstützt von der im Track-Modus fünffach einstellbaren Traktionskontrolle und fühlt sich pudelwohl – bis man das ESP komplett ausschaltet, und das passiert nicht ohne Grund erst nach sieben Sekunden Dauerknopfdruck.
Fahrleistungen: Corvette C8 Stingray & Porsche 911 auf Augenhöhe
Zwar fährt die im Vergleich inklusive testrelevanter Extras knapp 34.000 Euro günstigere Corvette C8 Stingray mit dem Porsche 911 Carrera S absolut auf Augenhöhe, allerdings muss man dafür am Lenkrad richtig arbeiten, besonders am Kurvenausgang. Denn so stark die Traktion auch ist, irgendwann reißt die Haftung der Michelin Pilot Sport 4S recht plötzlich ab. Wer das 4,63 Meter lange Coupé wieder stabilisieren will, braucht ruhige Hände und einen sensiblen Gasfuß. Wer einen sauberen Drift ziehen möchte, ebenfalls, denn Sperre und Reifen arbeiten mit aller Kraft gegen ein auskeilendes Heck an. Also muss man mit den 495 PS des V8 dagegen halten, und zwar nicht zu zimperlich. Bei all der Fahrdynamik hätten wir fast vergessen, dass die neue C8 auch ganz anders kann, ein echter Cruiser ist, sodass man fast vergisst, einen potenten Achtzylinder spazieren zu fahren. Der Zweiventiler läuft angenehm kultiviert, bei lässiger Fahrweise nur auf vier Zylindern und im Tour-Modus akustisch besonders zurückhaltend. Das ist vor allem auf längeren Fahrten angenehm, wenn man über Autobahn oder Landstraße gleitet, das Magnetic-Ride-Fahrwerk den Aufbau von den meisten Unebenheiten gekonnt abschirmt und sensibel anfedert. Obwohl der Porsche diese Disziplin auch wegen des kürzeren Radstands weniger gut beherrscht, insbesondere die Aufbaubewegungen des Hecks deutlich stärker sind, fühlt man sich unterm Strich besser in den 911 integriert und mit der Straße verbunden. Es ist nur ein Gefühl. Aber genau das ist bei Sportwagen entscheidend.
Messwerte & technische Daten Corvette C8 Stingray & Porsche 911 Carrera S
AUTO ZEITUNG 21/2020 | Corvette C8 Stingray | Porsche 911 Carrera S |
Technik | ||
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 8/2; | 6/4; Biturbo |
Hubraum | 6162 cm³ | 2981 cm³ |
Leistung | 364 kW/495 PS bei 6450 /min | 331 kW/450 PS bei 6500 /min |
Max. Drehmoment | 637 Nm bei 5150 /min | 530 Nm bei 2300 - 5000 /min |
Getriebe/Antrieb | 8-Gang, Doppelkupplung, Hinterradantrieb | 8-Gang, Doppelkupplung, Hinterradantrieb |
Messwerte | ||
Leergewicht | 1632 kg | 1515 kg |
Beschleunigung 0-100 km/h (Test) | 3,6 s | 3,4 s |
Höchstgeschwindigkeit (Werk) | 299 km/h | 308 km/h |
Bremsweg aus 100 km/h kalt/warm (Test) | 33,7/33,5 m | 31,3/30,9 m |
Verbrauch auf 100 km (Test/WLTP) | 12,1/12,5 l S /100km | 10,6/9,6 l S /100km |
CO2-Ausstoß (WLTP) | 298 g/km | 220 g/km |
Preise | ||
Grundpreis | 99.900 € | 118.751 € |
Mit der neuen Corvette C8 Stingray ist Chevrolet ein großer Wurf gelungen, auch wenn die Tradition darunter leiden musste und die Amerikanerin nicht mehr so aus der Masse hervorsticht, wie sie das bisher tat. In Sachen Dynamik und Komfort hat die Vette gleichermaßen zugelegt – dank Heck-Mittelmotor-Konzept und komplett neuem Fahrwerk. Hohe Kurvengeschwindigkeiten, schnelle Spurwechsel und Buckelpisten sind für die C8 kein Problem, allerdings fehlt es Lenkung und Bremse an Feinschliff und der Grenzbereich dürfte etwas weniger schmal sein – was zugegeben erst dann zum Manko wird, wenn man den effizient arbeitenden Traktionsregler sowie das ESP deaktiviert. Mit diesem Gesamtpaket ist die Corvette im Vergleich dicht dran am Heckmotor-Traditionalisten Porsche 911 Carrera S . Dessen hervorragende Bremsabstimmug, die fantastische Lenkung und die ausgezeichnete Fahrbarkeit erkauft man sich allerdings mit mehreren zehntausend Euro extra.