Mercedes-AMG GT 63 im Tracktest: So schnell ist er!
Ein Hauch von 911-Feeling im AMG
Mercedes-AMG hat seinen GT von Grund auf neu arrangiert. Wir haben den neuen Superstar als Mercedes-AMG GT 63 4Matic+ mit phänomenal aufspielendem V8-Biturbo zum ersten Tracktest auf dem Grand-Prix-Kurs des Nürburgrings eingeladen
Die Rolling Stones und die V8-Biturbo-Motoren in AMG-Modellen haben vieles gemeinsam. Sie spielen eine Abschiedstournee nach der anderen und klingen dabei immer noch so frisch und anziehend wie zu ihren Anfängen. Auch wenn die Grundtöne in der Vergangenheit gesetzt wurden, klingen sie live noch immer wie im Hier und Jetzt komponiert und werden wohl noch weit in die Zukunft schallen. Aber selbst Jagger & Co. lassen mittlerweile ihre Kompositionen auch digital abmischen und legen synthetisch arrangierte Tonspuren unter Keith Richards kratzig analogen Riffs. Und solange die Fans bei jedem Konzert ihre Zugabe fordern, tanzen die Stones immer wieder von Abschied zu Abschied.
Und da wären wir wieder beim V8-Biturbo des neuen Mercedes-AMG GT 63 4Matic+. Die Neuauflage des C 63 mit hochelektrifiziertem Vierzylinder mit dünner Stimme und laschem, wenig aufforderndem Rhythmus ließ nichts Gutes für den neuen GT hoffen. Das Ende des V8 auch im GT schwebte über dem neuen Sportler aus Affalterbach. Ja, den Vierzylinder gibt es auch im GT, aber ins Rampenlicht gehört weiterhin der 63er mit seinem grandios aufspielenden Vierliter-V8-Biturbo. AMG hat die Zugaberufe der Fans – zumindest beim GT – also nicht ignoriert.
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Tracktest: Mercedes-AMG GT 63 4Matic+ über den Nürburgring-Grand Prix-Kurs
Wir haben ihn daher auf unsere Bühne gebeten. Und er hat in unserem Tracktest auf dem Grand Prix-Kurs des Nürburgrings eine ganz besonders mitreißende Vorstellung geliefert. Von Abschiedstournee war da nichts zu spüren. Auch wenn wir mit der zentraleren, höheren Sitzposition aufgrund der neuen zwei Notsitze im Fond etwas hadern, finden wir dennoch gleich einen ganz intimen Bezug zum neuen Arrangement. Ja, der alte GT war radikaler. Die Sitzposition im bisherigen GT fiel tief aus, rückte die Person am Steuer weit nach hinten, direkt vor die Hinterachse. Vor der Person am Steuer erstreckte sich eine schier unendlich lange Haube – ein Frontmittelmotor-Sportler par excellence. Der neue ist anders, er erzeugt einen Hauch 911-Feeling. Er integriert einen nun zentraler ins Fahrzeug. Der Übersichtlichkeit tut das gut und damit auch dem Platzieren des Fahrzeugs auf der Strecke.
Aber beim Herausfahren zur Aufwärmrunde kommen dennoch Zweifel auf, wie viel Sportwagen noch im neuen, alltagstauglicheren Konzept steckt. Schließlich hat AMG das Frontmittelmotor-Konzept, bei dem der Achtzylinder hinter der Vorderachse positioniert war und das Getriebe in Transaxle-Bauweise an der Hinterachse seine Arbeit verrichtete, aufgegeben und einer eher konventionellen Machart mit einer Motor-Getriebe-Einheit auf der Vorderachse den Vorzug gegeben. Auch der Heckantrieb ist passé, der neue GT 63 arbeitet nun ausschließlich mit Allradantrieb.
Mit Schwung sticht der Mercedes-AMG GT 63 4Matic+ in die Start-Ziel-Kurve – und der neue GT zeigt eindrucksvoll, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Das hemmungslose, kompromisslose Einlenken der bisherigen GT-Modelle oder der SLS-Ikone, das die Hinterachse gerne mal überforderte, ist dem neuen Supersportler fremd. Er lässt sich hochpräzise und angenehm linear in und durch die Radien führen. Dank des Allradantriebs lässt sich das Coupé erheblich konsequenter ab dem Scheitelpunkt unter Zug nehmen. Der vom Vorgänger aufgezwungene Tanz ins Übersteuern ist beim neuen AMG eher ein Angebot an den bevorzugten Fahrstil. Der neue GT ist vernarrt in die Ideallinie.
Der GT ist deutlich verbindlicher als der verwandte SL
Das neue Fahrwerks- und Karosserielayout offeriert die Stabilität, die den GT so leicht durch jeden Bogen schnalzen lässt. Dort, wo der offene, technisch mit dem GT verwandte SL 63 4Matic+ zittrig über die Curbs ratterte und damit auf der Linie verrutschte, gleitet der erheblich steifer ausgelegte Mercedes-AMG GT 63 4Matic+ mit stoischer Präzision und feinfühlig austarierten Federelementen mühelos darüber hinweg. Eine schnelle Runde gelingt beim Tracktest spielerisch. Man kann mit dem GT sehr innig über die Allradlenkung kommunizieren und findet auf jede von der Strecke kommende Frage eine passende Antwort. Der performante Schwabe informiert ruhig und mit der nötigen Rückmeldung von der Vorderachse, wie viel Dampf er noch auf der Ideallinie umsetzen kann, bevor er leicht nach außen drängt. Der Allradantrieb erlaubt kleine, problemlos einbaubare Variationen in der Linienwahl. Lediglich der Bremsdruck am Pedal ist nach ein paar Runden am Limit nicht mehr so konsequent und klar einsetzbar, was den Bremszeitpunkt in Richtung Sicherheit verlagert und die Rundenzeiten negativ beeinflusst.
Apropos Dampf: Diesem Motor fehlt auch weiterhin der bürgerliche Anstand, den das neue Chassis, Allradantrieb und -lenkung sowie Fahrwerkssetup mit aktiver Wankstabilisierung bieten. Und das ist gut so. Endlich kann sich der V-Achtzylinder im neuen Umfeld ungeniert ausleben und bekommt seine 585 PS (430 kW) und 800 Nm Drehmoment ohne große Verluste auf die Straße. Der Antrieb hat noch immer im besten Sinne Charakter, ist alles andere als geschliffen und deshalb grandios. Er wuchtet seine Power zwar nicht mit besonders feiner Dosierbarkeit auf alle vier Räder, dafür aber umso emotionaler. Dieser sich mit aufbauender Macht in Szene setzende Punch begeistert bei jedem Herausbeschleunigen aus allen Radien der GP-Strecke.
Die Zeit des Mercedes-AMG GT 63 4Matic+ auf dem Nürburgring-GP
Bei der schnellen Runde bleibt die Stoppuhr bei 1:37,8 Min. stehen. Keine Fabelzeit, aber auf dem Niveau eines ähnlich schweren BMW M5 CS, der die Strecke in 1:38,3 umrundet hat. Auch wenn der GT sich am Limit ein wenig nach 911 Turbo anfühlt, fehlt ihm dann doch etwas dessen Konsequenz. Selbst als Turbo Cabrio brachte der Zuffenhausener bei uns nur 1733 kg auf die Waage und absolvierte eine Runde in 1:34,3 Min. Der neue Mercedes-AMG GT 63 4Matic+ wiegt üppige 1932 kg – trotz Aluminiumstruktur. Aber in Affalterbach weiß man, wie man aus einem guten Akkord eine grandiose Hymne komponiert. Die nennen sie immer "Black Series". Der Vorgänger hat es als Maximal-GT mit schwarzer Seele bereits 2020 bewiesen und ist mit einer Fabelzeit von 1:28,3 Min. bis heute der schnellste Supersportler, der bei uns bisher zum Tracktest angetreten ist.
Das Markenzeichen der Rolling Stones ist die herausgestreckte Zunge. Ein Symbol, dass die Unangepasstheit, Energie und Selbstbestimmung der Stones und ihrer Art Musik zu machen ausdrückt. Die Zunge würde sich daher auch gut neben dem wenig ausdrucksstarken Schriftzug GT 63 4Matic+ machen und für Klarheit über das Wesen des GT sorgen – natürlich ausschließlich mit V8-Biturbo als Quelle der Inspiration. Wenn es AMG auch weiterhin gelingt, ihn immer wieder neu zu interpretierten, wird es wohl wie bei den Stones, deren aktuelles Album "Hackney Diamonds" als eines der besten aller Zeiten geadelt wird, nicht der letzte Auftritt sein.
Technische Daten
AUTO ZEITUNG 16/2024 | Mercedes-AMG GT 63 4Matic+ |
Technische Daten | |
Motor | 8-Zylinder, 4-Ventiler, Biturbo; 3982 cm³ |
Antrieb | 9-Stufen; Automatik; Allrad |
Leistung | 430 kW/585 PS |
Max. Drehmoment | 800 Nm |
Karosserie | |
Außenmaße (L/B/H) | 4728/1984 (2112)*/1354 mm |
Leergewicht/Zuladung | 1932/358 kg |
Kofferraumvolumen | 321-675 l |
Fahrleistungen | |
Beschleunigung (0-100 km/h) | 3,2 s |
Höchstgeschwindigkeit | 315 km/h |
Verbrauch auf 100 km | 14,1 l S |
Kaufinformationen | |
Grundpreis | 188.704 € |
Marktstart | Herbst 2023 |
Alle Daten Werksangaben; *Breite mit Außenspiegel |
Dem neuen AMG GT fehlt die radikale, ungestüme Wesensart seines Vorgängers. Er ist umgänglicher, lässt sich leichter an seinen Grenzbereich heranführen. Die verlässliche Art, mit der er seine Reaktionen mitteilt, gefällt und sorgt für ein ausgesprochen spielerischen Umgang mit ihm. Der Antrieb lebt seinen rauen Charakter nach wie vor voll aus.