McLaren-CEO Michael Leiters: Interview
"Das erste Elektro-Supercar wird ein McLaren"
Die AUTO ZEITUNG sprach im Interview mit dem McLaren-CEO Michael Leiters über Qualität, neue Baureihen sowie das erste vollelektrische Supercar der vitalen britischen Marke.
Herr Leiters, worauf sind Sie beim 750S besonders stolz?
Dass wir gegenüber dem 720S – der ja schon ein echtes Geschoss war – noch mal eins draufgesetzt haben. Wir haben sowohl die Performance als auch den Fahrspaß, die Linearität und besonders den Sound deutlich verbessert. Man kann das Gokart-Feeling des Autos erleben, ohne voll an die Leistungsgrenze zu gehen. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der McLaren 750S (2023) im Fahrbericht (Video):
McLaren-CEO Michael Leiters im Interview
Sind Sie mit dem verspätet gestarteten Artura auch so zufrieden?
Der Artura war mit Sicherheit eine große Herausforderung, ist aber trotzdem ein extrem gutes Auto. Ich war absolut überrascht, wie leicht und agil der Artura geworden ist und wie stark er dadurch die Leistungsdifferenz von 150 PS gegenüber dem höher positionierten Ferrari 296 GTB, an dem ich ja noch mitgewirkt habe, ausgleichen kann. Die Produktsubstanz des Autos stimmt. Schwierig ist natürlich, dass wir den Produktlaunch verschieben mussten. Wir sind heute immer noch in der Situation, dass wir die Zusatzmaßnahmen, die wir ergriffen haben, auch weiterlaufen lassen, damit die Qualität sichergestellt ist.
Welche Maßnahmen sind das konkret?
Zusätzliche visuelle Kontrollen, teilweise Röntgen, wobei auch Subkomponenten genau angeschaut und analysiert werden, bevor es mit der Fertigung weitergeht. Es gibt weitere Tests auf Dichtheit und Verschiedenes mehr. Das kostet natürlich Zeit und frisst Produktionskapazität. Das ist auch der Grund, weshalb wir unsere Händler und Kunden im Sommer informiert haben, dass sie später beliefert werden. Und das ist, wenn Sie mich jetzt nach gut einem Jahr bei McLaren fragen, die größte Herausforderung. Wir haben kein Kostenproblem, sondern in erster Linie ein Umsatzproblem: Der Artura konnte nicht so stark ausgeliefert werden, wie wir es gern gehabt hätten. Obendrein sind wir gerade im Übergang vom 720 zum 750. Aber: Bis Ende des ersten Quartals 2024 werden wir die Produktion von Artura und 750S voll hochgefahren haben.
Wie war Ihr erster Eindruck nach Ihrem Wechsel von Ferrari zu McLaren?
Ich finde das Produkt ausgezeichnet. Und: Es ist eine fantastische und unglaublich starke Marke – viel stärker, als ich gedacht habe, insbesondere in den USA. Es gibt ein unglaubliches Commitment von Händlern und Kunden, einen starken Zusammenhalt, eine richtige Community und ein großes Verständnis für das Produkt und seine Besonderheiten. Der Markenkern und die Modelle selbst haben eine hohe Entsprechung. Da wird nicht irgendein Kompromiss in Kauf genommen, was Leichtbau oder Dynamik angeht. Die generelle Organisation, die ich vorgefunden habe, ist enorm ambitioniert. Es erinnert alles sehr stark an ein Start-up. McLaren Automotive existiert ja erst seit zwölf Jahren und ist damit jünger als Tesla. Deshalb haben wir viel positiven Spirit in unserer Company, und den will ich auch erhalten. Zusätzlich müssen wir zu einer reifen Organisation kommen, die die Ambitionen erfüllt, aber mit Systematik und Robustheit: Jedes gefertigte Auto muss in der Qualität top sein. Das wird natürlich eine gewisse Zeit brauchen.
War der 750S bereits fertig, als Sie zu McLaren kamen?
Er war etwa in der Mitte seiner Entwicklung. Aber ich muss auch vorleben, was ich fordere und kann nicht im letzten Moment kommen und alles umschmeißen. Der 720 war Benchmark in seinem Segment. Wir wollten auch designmäßig nur ändern, was technisch begründet war. Deshalb sind wir ganz behutsam vorgegangen. Ich bin mit der Produktsubstanz sehr zufrieden. Das Auto hat einen Riesenschritt nach vorn gemacht und ist viel reifer geworden. Es ist viel agiler und hat eine kürzere Übersetzung an der Hinterachse. Am Sound haben wir viel gearbeitet. Das ist etwas, worauf ich großen Wert gelegt habe. Da haben wir bis zum Schluss alles herausgeholt. Das Ergebnis ist einer der besten Sounds eines V8-Turbo-Sportwagens, die aktuell am Markt sind. Die Autos müssen eben nicht nur Performance abliefern, sondern auch Fahrfreude erzeugen, damit dieser ganz besondere Thrill, dieses einmalige Erlebnis zustande kommt.
Finden Sie die Differenzierung der einzelnen Modelle klar genug, oder würden Sie da lieber noch einen Schritt weitergehen?
Ich will immer weitergehen! (lacht) Das ist genau der Ansatz, den wir verfolgen müssen. Mit dem Artura kommt eine Riesenchance: Jetzt haben wir zum Beispiel die Möglichkeit, über die Zylinderzahl zu differenzieren. Vorher gab es nur Achtzylinder-Modelle. Dann haben wir jetzt ein Hybrid- und ein Nicht-Hybrid-Auto. Ich denke, dass die Positionierung und der Zweck von jedem Fahrzeug klarer werden müssen: Was ist der Grund, warum der Kunde das Auto kauft? Das muss unterstützt werden durch Technologie. Dabei kann die Anzahl der Zylinder eine Möglichkeit sein, Hybrid ebenfalls. Es gibt noch viele weitere Optionen, die wir ausschöpfen können. Ein anderer Punkt ist das Design. Ich denke, dass in der Vergangenheit das Design – und auch die Evolution des Designs – progressiver hätten sein können. Ich möchte gern, dass jeder auf der Straße – nicht nur Experten und Fans – begreift: "Oh, das war gerade ein McLaren!" Jeder soll zudem sofort erkennen können, was das für ein Modell war – ein 720, ein 650 oder ein 600 LT? Und dann kommen wir auch gleich schon zur Namensgebung. Wir müssen die Hierarchie unseres Produktprogramms genau über diese drei Elemente transportieren: Technologie, Design, Name. Mit dem Artura und dem Solus sind wir schon den richtigen Schritt gegangen. Wir haben mit der Namensgebung über die Jahre eher für Verwirrung gesorgt: 600, 650, 570 – welches Auto ist denn jetzt höher, welches niedriger positioniert, zumal der eine den anderen im Lauf der Zeit überholt? Hier könnten wir ein bisschen klarer werden.
Wird es in Zukunft bei den LT-Varianten bleiben?
Die LT-Versionen müssen für uns ein wichtiges Element des Modellzyklus sein. Wir haben damit eine Submarke generiert, die sehr erfolgreich ist, diese müssen wir also gut managen. Beispiel 765 LT: Da sind wir nicht zu aggressiv an die Stückzahlen gegangen. Das Auto war sofort ausverkauft, und der Werterhalt ist super. Das ist etwas, worauf wir extrem achten müssen. Beim 765 haben wir einen guten Job gemacht.
Wie wollen Sie die Restwerte der übrigen Modelle künftig stabil halten?
Ein positiver Effekt unter Covid war für uns, dass wir die Lieferketten zu den Händlern und Kunden "aufgeräumt" haben. Die McLaren-Restwerte sind gestiegen, nachdem wir ungewollterweise von einer Über- in eine Unterversorgung des Marktes gekommen sind. Jetzt stehen wir gut da im Wettbewerb. Diesen Status wollen wir halten. Das Wichtigste dabei ist, nicht über die Nachfrage zu liefern. Es heißt ja, man solle immer ein Auto weniger bauen, als man verkaufen kann. Aber dieses eine Auto reicht in unserem Segment nicht aus. Meines Erachtens müssen wir richtig Appetit und Hunger erzeugen auf unsere Modelle. Das wollen wir so fortsetzen. Die Qualität, auch die Langzeitqualität, muss natürlich gut sein. Aber unsere Produktsubstanz ist gut, insofern geht das.
Führt eine Verknappung dazu, dass nur jene den nächsten LT bekommen, die schon zig andere Modelle besitzen?
Das wollen wir mit Sicherheit nicht erreichen! Wir wollen zwar exklusiv sein, zugleich aber auch inklusiv. Wir werden hohe Preise haben und limitierte Versionen anbieten, aber niemanden ausschließen. Wenn jemand neu zur Marke kommen möchte, werden wir ihn willkommen heißen. Wir werden keine Regeln aufstellen, die besagen: Du musst mindestens zehn Autos in der Garage haben, bevor du von uns eines bekommst. Wir möchten nicht arrogant sein, sondern gern eine Community bilden, ein Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl erzeugen. Es ist alles familiär, und das soll auch so bleiben. Positiv familiär!
Sie wollen die Community also noch ausbauen …
Ja, absolut. McLaren-Besitzer fahren viele Kilometer mit ihren Autos – mehr als ich das von anderen konkurrierenden Herstellern kenne. Außerdem sind sie gern auf dem Track-Kurs unterwegs. Das wollen wir nutzen und ausbauen. Wir werden unser Pure-Programm mit organisierten Touren forcieren und auch mehr Track-Events anbieten, denn unsere Kunden nutzen ihre Autos besonders dort gern und oft. Aus gutem Grund übrigens: Weil es die besten Autos sind!
Wie steht es um den GT?
Der GT ist jetzt in der zweiten Hälfte seines Lebenszyklus, erlebt aber in den USA und in China gerade eine Renaissance. Darüber sind wir sehr glücklich. Das Fahrzeug stellt für uns den Einstieg in die Marke dar, das werden wir pflegen. Aber ich glaube, dass unsere Zukunft und unser Zuhause sehr stark in den oberen Segmenten liegen werden, weil wir dort viel stärker unsere Racing-DNA einbringen können und weniger das Komfort-Element bedienen müssen. Dadurch können wir, wie ich meine, authentischere Produkte anbieten und auch höhere Preise sowie mehr Nachfrage erzielen.
Bislang sind die Konzepte alle recht ähnlich: Carbon-Monocoque, Mittelmotor-Layout, Zweisitzer-Sportwagen. Bleibt es dabei?
Der erste Schritt, den wir umsetzen wollen, ist profitabel zu werden in unserem Core-Segment – und das sind Supersportwagen. Wenn wir dort auf dem richtigen Weg sind, dann werden wir uns überlegen: Welche anderen Segmente könnten wir auch noch besetzen? Dazu gibt es viele Diskussionen, zum Beispiel darüber, ob wir auch ein SUV planen. Wir nennen das "Shared Performance" (Engl.: geteilte Leistung). Dahinter verbergen sich Konzepte mit mehr als zwei Sitzen oder zwei Türen, damit man die Performance mit mehr als zwei Personen erleben und teilen kann. Aber das werden wir erst angehen, sobald wir unsere Hausaufgaben unter Kontrolle haben. Außerdem stellt sich noch die Frage, inwieweit wir uns von unserem Kerngeschäft entfernen. Auf der einen Seite ist es umso interessanter, je weiter wir es verlassen, denn dann haben mehr zusätzliches Potenzial, das wir abgreifen können. Auf der anderen Seite wird die Herausforderung für uns umso größer, ein entsprechendes Produkt anzubieten. Verbunden damit erhöhen sich dann auch der technologische Aufwand und das Investment, das wir in Kauf nehmen müssen. Es wird eine ganz wichtige Entscheidung werden, wie wir an diese Sache herangehen und was wir schlussendlich umsetzen.
Ein McLaren-SUV ist also zukünftig nicht mehr kategorisch ausgeschlossen?
Nein … Aber es wird nicht vor 2028 umgesetzt, denn wie gesagt: Erst müssen wir unsere Hausaufgaben erledigen, und dann kommt die Entwicklungszeit. Das Ganze braucht einfach noch ein bisschen Zeit.
Wie geht es bei Hybridisierung und Elektrifizierung weiter? Der Artura allein wird als Hybrid sicher nicht reichen. Was kommt danach?
Nicht reichen? Nun ja … Wir sind hier eigentlich recht gut unterwegs, denn wir haben momentan in Europa den Status "Small Volume Manufacturer". Aber unabhängig von Regulatorien und hinsichtlich der Kunden und des Technologie-Fortschritts werden wir in den nächsten vier bis fünf Jahren den Hybrid-Anteil in unseren Baureihen auf über 90 Prozent steigern. Wir werden unser Business auf drei Säulen aufbauen: Eine davon besteht aus reinen ICE (Internal Combustion Engines; Engl.: Verbrenner). Wir glauben, dass diese Autos auf dem Track-Kurs oder bei speziellen Straßenanwendungen eine Zukunft haben werden. Diese "Spezialität" wird künftig immer attraktiver und gefragter werden, als es heute der Fall ist. Davon bin ich fest überzeugt!
Bleibt es da beim V8?
(grinst und nickt) Als zweite Säule wird es eine zunehmende Hybridisierung geben. Hier werden wir im Volumen wachsen. Die Entwicklung eines neuen Hybrids samt V8-Motor mit extrem viel Technologie haben wir ja schon bekannt gegeben. Die dritte Säule betrifft die Vorbereitung der EV (Engl.: Electric Vehicle): Heute ist die Technologie noch nicht reif genug für ein Elektro-Fahrzeug, das wirklich ein Supercar ist – für mich kann das nicht einfach heißen: 2000 PS bei 2000 Kilogramm Gewicht. So ein Bolide hat dann zwar ein Leistungsgewicht von 1, kann aber nur geradeaus fahren. Ein Supersportwagen ist für mich ein Auto, dessen Gewicht in der Größenordnung eines 750S liegt und bei dem der Kunde Leichtbau "erfahren" kann. Wir haben dazu ein Projekt gestartet, in dem wir in der Vorentwicklung wirklich herausfordernde und wegweisende Konzepte ausprobieren wollen, damit wir verstehen, wie wir das Gewicht auf McLaren-Niveau senken können.
Das klingt nach Feststoff-Batterie …
Es ist aber nicht nur die Batterie, worüber wir nachdenken müssen. Wir überlegen uns auch bezüglich der Integration sehr innovative Konzepte. Aber das wird meiner Meinung nach erst Ende des Jahrzehnts der Fall sein, schließlich sind das enorme Technologie-Hübe, die wir erst noch umsetzen müssen. Ich gehe sogar noch weiter: Wenn jemand vorhersagt, er habe einen elektrischen Supersportwagen gebaut, dann sage ich: Das ist kein Supercar. Das erste WIRKLICHE elektrische Supercar wird ein McLaren sein!