Lamborghini Countach Turbo S: Classic Cars
Countach gleicht der Axt im Wald
Auf, auf zum fröhlichen Jagen: Wenn dieser 748 PS starke Lamborghini Countach Turbo S wie ein Monster aus einem Märchen auf Pirsch geht, suchen SL und 911 das Weite. Classic Cars traf auf den schwarzen Keil.
Stellen Sie sich eine idyllische Landstraße am Sonntagmorgen vor. Flüssige Kurvenkombinationen schlängeln sich durch einen Mischwald. Murmelnde Pilzesucher:innen begutachten die Ernte ihrer Wanderung, und die milde Morgensonne wirft feine Strahlen durch die Zweige dunkler Laubbäume auf ein kurzes gerades Straßenstück. Ein früh aufgestandener Mercedes SL sortiert vorsichtig die Getriebezahnräder, und ein Porsche 911 bringt bedächtig den Ölhaushalt seines luftgekühlten Boxers auf Betriebstemperatur. Knurrend und röchelnd schiebt sich in diesem Moment eine dunkle Bestie über die Straßenkuppe.
Auf breiten Pranken kauert sie über dem Boden, den Kopf geduckt. Durch zwei dünne Sehschlitze im schwarzen Fell fixiert sie ihre Beute. Dann reißt das Tier die Augen auf – groß, rund, weiß. Die Menschen heben den Kopf genau in dem Moment, als das Biest mit dem Namen Lamborghini Countach Turbo S fauchend und schreiend nach vorn springt, SL und 911 auf der Geraden mit einem einzigen Satz verspeist und hinter der nächsten Biegung verschwindet. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der Lamborghini Huracán STO (2021) im Tracktest (Video):
Lamborghini Countach Turbo S in der Classic Cars
Darauf folgt Totenstille. SL und 911 wirken so, als bewegten sie sich in Zeitlupe. Wie aufgewirbeltes Laub zu Boden taumelt, so schleichen sie dahin. Und jetzt stellen Sie sich den Ausdruck in den Gesichtern vor. Blankes Entsetzen wäre noch eine verharmlosende Umschreibung dafür. Countach-Fahrende sind es gewohnt, angeglotzt zu werden. Sie kennen dieses fassungslose Stieren, diese eingefrorene Mimik in den Gesichtern der Leute, an denen sie vorbeifahren. Eben noch ins Gespräch vertieft und nun zu Ölgötzen erstarrt, gerade noch in der Lage, den Hals zu drehen, um diesem Projektil auf Rädern nachzublicken in der Erwartung, dass es im nächsten Moment irgendwo einschlägt. Der Reiz dieses Autos und das Fahrerlebnis wird durch die Reaktion der Umwelt erst vollkommen. In diesem Punkt ist der Lamborghini Countach Turbo S unschlagbar, und das Spektakel beim Öffnen der Türen haben wir bis jetzt noch mit keiner Silbe erwähnt.
Die einzig denkbare Steigerung besteht in dem hier vorgestellten Exemplar. Der einzigartige Countach Turbo S treibt die paralysierende Wirkung auf die Spitze. Er ist noch schwärzer als ein schwarzer Panther und rund doppelt so stark wie üblich. Zwei Turbolader vom Typ EF60 pressen die gekühlte Ladeluft mit bis zu 1,5 bar Druck in die sechs Weber-Vergaser. Das dort produzierte Gemisch wird in den zwölf je 396 Kubikzentimeter großen Brennräumen im Verhältnis 7,2 zu eins verdichtet und von einer elektronisch gesteuerten Magneti Marelli-Zündanlage in Brand gesetzt. So eruptiv und katapultartig der Countach bei geöffneten Drosselklappen davonschießt, mag man gar nicht glauben, dass all dies in geordneter Weise passiert, doch die Zündfolge ist selbstverständlich festgelegt, und die ungeraden Zylinder haben dabei Vorrang: 1-7-5-11-3-9-6-12-2-8-4-10, die gleiche Sequenz übrigens wie bei einem klassischen Ferrari-Zwölfzylinder.
Sobald die Schmiedestahl-Kurbelwelle in ihren sieben Lagern 2500 Mal pro Minute rotiert, setzt eine Leistungsexplosion ein, die nervösen Menschen auf dem Beifahrersitz das Kaugummi in den Rachen zieht und Bilder von Raketenstarts vor das innere Auge projiziert. 459 Newtonmeter Zugkraft zerren dann am Antriebsstrang, und pro 500 Touren kommen weitere 150 hinzu. Bei 4500/min erreicht der V12 sein maximales Drehmoment von 876 Newtonmetern, gleichbedeutend mit 560 PS (412 kW), die fest entschlossen sind, die Antriebswellen des Lamborghini Countach Turbo S zu Lockenwicklern zu verdrehen.
333 km/h sind zu dieser Zeit Wahnsinn
Bei 6500 /min mobilisiert der Lamborghini Countach Turbo S schließlich 748 PS (550 kW). Er ballert in weniger als vier Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Kurz vor Erreichen der Schnapszahl 333 stellt sich der Gipfel des Geschwindigkeitsrausches ein. Der samtschwarze Keil ist dann nur noch als Strich in der Landschaft wahrzunehmen. Wenn man ihn hört, ist er schon aus dem Blickfeld verschwunden. Was dieses Schreckgespenst in Classic Cars zu suchen hat, fragen Sie sich? Alter, Herkunft und Rarität rechtfertigen einen Bericht. Das Fahrzeug wurde auf Initiative des Schweizer Importeurs mit Lamborghini zusammen entwickelt und beim Genfer Auto-Salon 1986 vorgestellt. Ziel war es, eine Kleinserie aufzulegen. Der finanzschwachen Firma ging jedoch zu jener Zeit das Geld noch schneller aus als einem stramm gefahrenen Countach der Kraftstoff, so konnte das Projekt nicht realisiert werden. 1987 übernahm Chrysler das Kommando und leitete die Entwicklung des Diablo ein.
Von maximal zwei Prototypen des Countach Turbo S wird berichtet. Das hier gezeigte Auto hat offenbar als einziges Exemplar überlebt und genießt den Ruhestand in einer Garage der auf Oldtimer-Unterbringung spezialisierten Firma "Klima-Lounge". Nachdem er alle Wälder der näheren Umgebung gefegt hat, steuert der schwarze Berserker für unsere Porträtfotos einen Ort an, wo er willkommen ist wie eine Kettensäge im Naturschutzgebiet: das Gelände der Firma Baufritz, bekannt für ihre stilvollen Naturholzhäuser mit vorbildlicher Ökobilanz. Doch anstatt den sauf- und rauflustigen Zwölfzylinder aus der Prä-Katalysator-Zeit mit Schimpf und Schande vom Hof zu jagen, fühlen sich die Hausherren von ihm magisch angezogen. "Solange er still steht, produziert der Lambo ja keine Abgase", nehmen sie ihn in Schutz. Ganzheitlich betrachtet ist die Ökobilanz tatsächlich gar nicht übel und ein Trost für jeden Fan eines Mercedes SL: Nur 12.000 Kilometer hat das wilde Tier in mehr als 30 Jahren zurückgelegt. Die Chance, dem Lamborghini Countach Turbo S einmal ins Gehege zu kommen, ist gering.
Technische Daten des Lamborghini Countach Turbo S
Lamborghini Countach Turbo S |
Antrieb V12-Zylinder, mittig längs eingebaut; 2-Ventiler; je zwei obenliegende Nockenwellen, Kettenantrieb; Gemischbildung: sechs Doppelvergaser Weber 40 DCOE, zwei Abgasturbolader; Bohrung x Hub: 85,5 x 69,0 mm; Hubraum: 4754 cm3; Verdichtung: 7,2; Leistung: 550 kW/748 PS bei 6500/min; maximales Drehmoment: 876 Nm bei 4000/min; Fünfgang-Getriebe; Hinterradantrieb |
Aufbau und Fahrwerk Leichtmetall-/GfK-Karosserie auf Stahlrohrrahmen; Radaufhängung v./h.: Doppelquerlenker, Stabi., Schraubenfedern, Gasdruckdämpfer, h. doppelt; Zahnstangenlenkung; Bremsen: v./h. belüftete Scheiben; Reifen: v. 255/45 R 15, h. 345/35 R 15; Ronal Leichtmetall-Räder: v. 10,5 x 15, h. 14 x 15 |
Eckdaten L/B/H: 4140/2050/1050 mm; Radstand: 2450 mm; Spurweite v./h.: 1596/1656 mm; Trockengewicht: 1515 kg; Baujahr: 1984/85 (Debüt Gener Salon 1986); Stückzahl: max. 2 |
Fahrleistungen1 Beschleunigung: 0 auf 100 km/h in 3,7 s; Höchstgeschwindigkeit: 333 km/h; Verbrauch: k.A. |
1Werksangaben