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Exklusiver Einblick ins Ferrari-Werksarchiv

Heilige Ferrari-Schriften

Martin Urbanke Geschäftsführender Redakteur Test & Reifen
Inhalt
  1. Die Faszination des Ferrari-Archivs
  2. Stammblatt: Ferrari 250 GT Berlinetta Lusso, Baujahr 1964
  3. Messprotokolle und Konstruktionszeichnungen: alles vorhanden
  4. Enzo war vom Schreibtisch aus dabei
  5. Akten & Restauration in der Abteilung Classiche

Verborgen im Stammwerk Maranello unterhält Ferrari ein Archiv, das alle jemals gebauten Autos minutiös dokumentiert. Ein intimer Blick in die Schatztruhe der Abteilung für historische Fahrzeuge – und eine Faszination für jeden Fan.

Ferrari, also: Enzo Ferrari, war nicht nur ein erfolgreicher Rennfahrer, Visionär und Gründer jener italienischen Kultmarke, die seinen Namen unsterblich gemacht hat. Nein, er war auch Pedant und Kontrollfreak und wollte zu jeder Zeit alles über die Arbeiten in seiner Fabrik wissen. Wer verfolgt im Ingenieurbüro welche Idee? Wie läuft der neue Motor im Testbetrieb? Warum ist der Rennwagen mit der Startnummer Fünf in der zehnten Runde ausgefallen? Mit welchem Reifendruck wurde im Qualifying gefahren? Dieser unbändige Wissensdurst Enzos hat die Mitarbeitenden seinerzeit sicherlich das ein oder andere Mal beinahe in den Wahnsinn getrieben. Doch darin liegt auch der Grundstein zu einem Archiv, wie es in der automobilen Welt vermutlich einmalig ist. Ich freue mich auf einen seltenen Besuch im Allerheiligsten von Ferrari Classiche, der hauseigenen Abteilung für historische Fahrzeuge.
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Die Faszination des Ferrari-Archivs

Längst nicht jeder Mensch hat die Chance, einen Blick in dieses Archiv zu werfen. Werksführungen bei Ferrari lassen sich nicht einfach über Get-Your-Guide buchen. Und selbst die Ferrari-Kundschaft, die an einer solchen Tour teilnehmen kann, gelangt nicht ohne Weiteres in die Hallen der Abteilung Classiche. In deren Werkstatt reihen sich Rennsportlegenden und edelste Sportwagen eng aneinander, parken Millionenwerte dicht an dicht. Einige harren der Reparatur nach dem letzten Renneinsatz, andere einer Restaurierung – oder werden für den nächsten Concours d'Elegance aufbereitet.

Doch ganz gleich, welche Arbeiten bei Ferrari Classiche an den Preziosen ausgeführt werden, sie verwenden keine beliebigen Ersatz- oder gar Neuteile, führen keine Modifikation am Originalzustand der Fahrzeuge durch. Authentizität ist oberstes Gebot. Aber woher sollen sie wissen, welche Farbe ein Auto, das möglicherweise in den 60ern gebaut wurde, hatte? Ist der Motor noch das Originaltriebwerk vom Tag der Erstauslieferung oder ein Tauschteil? Welche Ölsorte gehört in das Differential? Nun, ein Blick in das benachbarte Archiv verräts – und noch viel, viel mehr. Jeder Ferrari, der jemals gebaut wurde, egal ob Straßensportwagen oder Rennauto, ist dort verzeichnet. Zu jedem individuellen Fahrzeug gibt es eine Akte.

Martin Urbanke nimmt im Ferrari-Werksarchiv Akten in Augenschein
Foto: Wolfgang Groeger-Meier
 

Stammblatt: Ferrari 250 GT Berlinetta Lusso, Baujahr 1964

Zum Beispiel zur nussbraunen Berlinetta vom Typ 250 GT Lusso, Baujahr 1964, die unmittelbar vor der Glasfront des klimatisierten Archivs steht. Um mehr über das Goldstück zu erfahren, ziehe ich den Jahrgang 1964, Straßenfahrzeuge, aus dem Regal. Die Fahrgestellnummer führt mich nach kurzer Suche zum Stammblatt des Fahrzeugs, das die wichtigsten Daten listet und sämtliche Baugruppen verzeichnet, die in diesem Auto eingebaut wurden – etwa den legendären V12 Typ 168 samt individueller Kennziffer. So lässt sich im Handumdrehen feststellen, ob der im Auto verschraubte Motor tatsächlich noch das originale Aggregat ist oder ob es im Lauf der Jahrzehnte ausgewechselt wurde. Selbst eine Fälschung mit nachgebildeter Kennnummer ließe sich von den Ferrari-Expert:innen in Maranello mit Sicherheit entlarven: Alle Schlagzahlen, mit denen Fahrgestelle, Motoren und Getriebe markiert wurden, stehen noch heute im Archiv unter Verschluss und dienen im Zweifelsfall zum direkten Abgleich.

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Messprotokolle und Konstruktionszeichnungen: alles vorhanden

Doch die Unterlagen belegen nicht nur, welcher Motortyp im Auto installiert wurde. Auch die Ergebnisse der individuellen Leistungsmessung sind dokumentiert. Dieser Lusso etwa hatte bei Auslieferung exakt 219,1 PS (161,2 kW) bei 7000 Touren unter der Haube. Gemessen bei 19 °C Raumtemperatur am 27. März 1964 durch den Ferrari-Mechaniker E. Ciocci. Auch die relative Luftfeuchte sowie der atmosphärische Luftdruck sind für die Nachwelt festgehalten. Um jedoch möglicherweise Instandsetzungsarbeiten an diesem herrlichen Dreiliter ausführen zu können und die Ist- mit den Soll-Werten der Konstruktion abzugleichen, muss ich einen weiteren dicken Ordner aus dem Regal angeln, jenen über den Motor Typ 168.

Hier sind sämtliche Zeichnungen und Skizzen archiviert, die zur Fertigung des Aggregats nötig waren, sowie die Berichte der Erprobungsläufe während der Konstruktionsphase. Und auch das natürlich bis ins Detail. Selbst Kleinteile wie einfache Distanzstücke lassen sich anhand der Originalentwürfe noch heute genauso fertigen, wie sie damals in Maranello produziert wurden. Die Historie reicht (fast) lückenlos zurück bis zum Ferrari 125 S, dem ersten Auto von Enzo Ferrari, das den heute legendären Markennamen trug. Wer möchte, kann 2023 immer noch, 77 Jahre (Ausgabe 24/2023) später, anhand der Skizzen, Entwürfe und Protokolle minutiös nachvollziehen, welche Entwicklungsschritte die Ideen des genialen Motorenkonstrukteurs Colombo durchlaufen haben. Und das auf den Tag genau.

Zahlreiche Raritäten in der Ferrari Classiche-Abteilung
Foto: Wolfgang Groeger-Meier
 

Enzo war vom Schreibtisch aus dabei

Doch nicht nur die Unterlagen zu den Ferraris füllen die Regale. Enzo war in seiner Jugend selbst ein talentierter und erfolgreicher Rennfahrer, der seine Leidenschaft für den Motorsport schließlich dem Engagement für die eigene Firma unterordnen musste. Um dennoch stets am Puls des Geschehens zu sein, auch wenn er nicht in der Boxengasse dabei sein konnte, sondern in Maranello hinterm Schreibtisch saß, ließ er sich zu jedem Trainingslauf und Renneinsatz einen vollständigen Bericht telegrafieren. Darin standen technische Informationen zu den Autos, Strecken und dem Set-up sowie die Anmerkungen der Fahrer, natürlich die Ergebnisse und nicht zuletzt die Beobachtungen an den Fahrzeugen der Konkurrenz.

Auch diese Berichte – die es in ähnlicher Form übrigens bis zum heutigen Tag gibt – wurden über die Jahrzehnte fein säuberlich archiviert. Sortiert nach den wichtigsten Rennklassements wie Le Mans, Mille Miglia, Formel 2 und der Königsklasse, der Formel 1. Hier taucht übrigens immer wieder auch ein gewisser Michael Schumacher in den Rennberichten auf, der viele Informationen und Erfolge zu vermelden hatte … Auch wenn diese Berichte schon längst nicht mehr telegrafiert werden, hält man im Hause Ferrari an der traditionellen akribischen Dokumentation aller Einsätze und Konstruktionen fest.

Die leinenbespannten Aktenschuber, in denen die technischen Informationen sowie die Kaufunterlagen samt Garantiepass und Echtheitszertifikat archiviert sind, reichen allerdings nur von 1946 bis 1974/75. Danach wurden die Dokumente auf Microfiche gespeichert, die ab den Jahrgängen 1989/90 schließlich von elektronischen Dateien abgelöst wurden. Zug um Zug wurden selbstverständlich auch die historischen Papierbögen digitalisiert und stehen den Mitarbeitenden der Classiche-Abteilung somit bei Bedarf auf einem PC direkt am Arbeitsplatz zur Verfügung. Das ist zweifelsohne praktisch und schützt die Zeitzeugnisse vor unnötigen Strapazen.

 

Akten & Restauration in der Abteilung Classiche

Motor in der Ferrari Classiche-Werkstatt
Foto: Wolfang Groeger-Meier

Doch das sinnliche Vergnügen, mit Glacé-Handschuhen durch die Seiten zu blättern und die Papierbögen auf dem lederbespannten Konferenztisch im Vorraum des Archivs auszubreiten, ist ein einmalig intensives Erlebnis. Nicht nur, dass man so die Bedeutung dieser Dokumente und ihren Wert förmlich mit den Fingerkuppen spüren kann. Je tiefer man in die Historie jedes einzelnen Autos eintaucht, desto greifbarer wird die Faszination jedes Modells. So verraten die Unterlagen zum Beispiel, dass ein Kunde aus der Schweiz den Lusso am 3. August 1963 bei Italauto in Lausanne bestellt und am 18. April 1964 erhalten hat. Auch damals konnte man einen Ferrari nicht einfach so aus dem Laden mitnehmen, sondern man musste darauf warten und das Fahrzeug zuvor konfektionieren, was die Wertschätzung für den "persönlichen" Ferrari ebenso gesteigert haben dürfte wie die mehrmonatige Vorfreude.

Wer seinen historischen Ferrari in die Hände der Abteilung Classiche gibt, kann sich sicher sein, dass Restaurierung und Instandsetzung nirgendwo "originalgetreuer" durchgeführt werden könnten. Wenn das Auto die Hallen in Maranello wieder verlässt, ist es fast, als würde es noch einmal seine Jungfernfahrt durchs Werkstor antreten. Über die Kosten hüllen sich die Spezialist:innen in vielsagendes Schweigen, doch die Wertsteigerung, die ein historisches Fahrzeug hier erfährt, darf durchaus als lohnende Investition gerechnet werden. Aber: Wer würde einen historischen Ferrari im Original-Neuzustand jemals wieder hergeben wollen?

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