Designs von Marcello Gandini: Top-10
Der Keil-Macher ist tot
Lamborghini Miura
Bis heute umstritten ist, wie viel Einfluss Giorgetto Giugiaro und wie viel Marcello Gandini auf den Lamborghini Miura hatten. Deren Assistent Piero Stroppa erinnerte sich in Classic Cars Ausgabe 11/2022, dass er und Gandini den Löwenanteil des Mittelmotor-Stiers zu bewältigen hatten. Sie arbeiteten fast drei Monate bis tief in die Nacht und übernahmen wegen des enormen Zeitdrucks Elemente von Giugiaros Chevrolet Testudo. Gandini wiederum zeichnete unter anderem die Wimpern um die Scheinwerfer, die Wabenstruktur im Heck und das Cockpit mit Helikopter-Anleihen. Auch für den WIndkanal war keine Zeit: Gandini modellierte die legendäre Silhouette einfach nach eigenem ästhetischem Empfinden.
Foto: Lamborghini
Audi 50
Die Geschichte mit Giugiaro und Gandini sollte sich Jahre später beim absoluten Gegensatz, dem Audi 50, wiederholen – nur andersherum. Für das Design seines neuen Einstiegsmodells holte sich Audi Hilfe von Bertone ins Boot. Statt Extravaganz war dieses Mal Zweckmäßigkeit angesagt, was Gandini ebenfalls gelang. Audi-intern finalisierte Claus Luthe den Kleinwagen-Entwurf, der ein Jahr später größtenteils unverändert auch als VW Polo auf den Markt kam. Die notwendigen stilistischen Überarbeitungen nahm Giugiaro vor, der mit Passat, Scirocco und Golf bereits das Wolfsburger Markengesicht etabliert hatte.
Foto: Angelika Emmerling
Maserati Quattroporte IV
Gandinis 1980 gegründetes Designbüro bandelte stark mit Alejandro De Tomaso und seinen Marken De Tomaso sowie Maserati an. Aus dieser Zusammenarbeit resultieren unzählige Entwürfe, zu den wichtigsten dieser Ära gehörte die vierte Generation des Maserati Quattroporte. Gandini verkeilte die sportliche Oberklasse auf unverwechselbare Weise und zitierte sich mit den angeschnittenen hinteren Radhäusern – eines seiner späteren Wiedererkennungsmerkmale – selbst.
Foto: Maserati
Citroën BX
Gandinis Genie zeigte sich ein weiteres Mal beim Citroën BX: Den ursprünglichen Entwurf namens Tundra hatte Bertone ursprünglich erfolglos Volvo angeboten. Mit cleveren Kniffen modelte der Turiner die progressive Form derart um, dass sie nun altehrwürdige Citroën-Modelle zitierte und sich gleichzeitig perfekt unterhalb des großen CX positionierte. Volvo schien zu bemerken, dass da ein großer Coup entgangen war. Vier Jahre später brachte die Marke mit dem 480 ein Coupé auf den Markt, dessen Front und Keilform gewisse Ähnlichkeiten aufwiesen.
Foto: Citroën
Lancia Stratos
Wohl nur ein einziges Mal wurde auf Basis eines reinen Showcars ein Wettbewerbsauto geschaffen. 1970 hatte Gandini mit dem Stratos Zero die Keilform ein weiteres Mal auf die Spitze getrieben. Der Prototyp war so flach, dass man nur durch die Windschutzscheibe einsteigen konnte. Das Lancia Rallye-Team war derart begeistert, dass in seinem Geiste der neue Rallye-Sportler entstand. Das ebenfalls von Bertone gezeichnete Serienmodell geriet zwar merklich anders, aber mit seiner rundlichen Cockpit-Kanzel mindestens ebenso verwegen.
Foto: Jürgen Zerha
Fiat X1/9
Dass keilförmige Sportwagen keineswegs teuer sein mussten, bewies Fiat mit dem X1/9. Schon 1969 hatte Gandini den aufregenden Targa für Fiat-Tochter Autobianchi unter dem Namen Runabout entworfen. Doch eine Realisierung schien wegen der klammen wirtschaftlichen Verhältnisse bei Autobianchi eher unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich war auch, dass Fiat-Boss Gianni Agnelli bei einem Besuch von Bertone auf den zufällig herumstehenden Runabout stieß und in ihm die perfekte Nachfolge für den in die Jahre gekommenen Fiat 850 Spider sah. Doch genau das passierte: Von 1972 bis 1989 entstanden etwa 170.000 Exemplare des X1/9.
Foto: Thomas Starck
Ferrari Dino GT4
Marcello Gandini wurde auch die Ehre zuteil, den bis heute einzigen Serien-Ferrari mit Bertone-Design zeichnen zu dürfen. Die ausnahmsweise Abkehr von Haus-Stilist Pininfarina rührte daher, dass Enzo Ferrari sehr vom Bertone-Projekt Fiat Dino Coupé begeistert gewesen war. So schuf der Turiner für Maranello ein Blechkleid, dass seinen Reiz gerade in der Andersartigkeit zu den sonstigen Ferrari hatte. Wie auch der 246er Dino saß der Motor hinter der Fahrerkabine, allerdings dieses Mal in V8- statt V6-Bauweise.
Foto: AUTO ZEITUNG
Alfa Romeo Montreal
Mit der Alfa Romeo-Formgestaltung flirtete Gandini mehr als einmal. Doch der Montreal sollte zu seinen prägendsten Entwürfen avancieren. Ursprünglich sollte der für die Expo im kanadischen Montreal entworfene Sportler nach der Show schnurstracks an der Serienfertigung vorbei direkt ins Museum wandern. Erst nach Monaten des Bettelns und Flehens amerikanischer Händler entschied sich Alfa für die Produktion. Erfreulicherweise wanderten die stilbildenden Merkmale wie die Augenlider über den Scheinwerfern und die streifenförmigen Belüftungsöffnungen hinter den Seitenfenstern ohne große Änderungen in die Showrooms.
Foto: Wim Woeber
BMW Garmisch
Der verschollene Prototyp BMW Garmisch beeinflusste das Design in München so tiefgreifend, dass die Marke sich 2019 sogar für eine Rekonstruktion des Gandini-Werks entschied. Seine kantige Form brach mit den rundlichen Formen der Neuen Klasse sowie der 02er-Reihe und lieferte eine Blaupause für die darauf folgenden ersten 5er (E12) und 3er (E21). Mehr noch: Die horizontal angeordneten Doppelnieren finden sich seit ein paar Jahren unter anderem an flammneuen BMW M3 und M4.
Foto: BMW
Lamborghini Countach
Neben Lamborghini Miura und Countach entwarf Marcello Gandini mit Marzal beziehungsweise Espada, Jarama, Urraco, Jalpa und Diablo beinahe alle frühen Traumwagen aus Sant'Agata. Das größte Erdbeben aber verursachte 1971 der Countach: Roh, ungefiltert, irrational und außerirdisch sind nur einige von unzähligen Adjektiven, die den damals schnellsten Serienwagen treffend beschrieben. Nach seinem Vorbild baut und entwirft die Marke bis heute ihre Ausnahme-Modelle. Auch die mittlerweile typischen Scherentüren brachte der Countach in Serie: Es war ein Detail, das Gandini bereits am Showcar Alfa Romeo Carabo erdacht hatte.
Foto: Willy Bister
Als Marcello Gandini im Alter von 85 Jahren am 13. März 2024 verstorben ist, waren seine Entwürfe längst unsterblich. In unsere Top-10 erinnern wir uns an die besten Designs des Star-Stilisten.
Marcello Gandinis Karriere erscheint aus heutiger Sicht undenkbar: Mit nur 27 Jahren stieg der am 26. August 1938 geborene Turiner 1965 als Chefdesigner bei Bertone ein – ohne je zuvor ein Auto entworfen zu haben. Die Carozzeria galt damals neben Pininfarina und Ghia als das führende Designstudio der Automobilwelt und hatte sich mit dem gleichaltrigen Giorgetto Giugiaro und seinen Entwürfen der vergangenen sechs Jahre unsterblich gemacht. Doch Giugiaro war nach ausbleibender Beförderung 1965 zu Ghia gewechselt, wo ihm ein Direktorenposten in Aussicht gestellt worden war und hinterließ bei Bertone einen freien Chefsessel sowie erste Zeichnungen zum Lamborghini Miura . Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
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Marcello Gandini mit 85 Jahren verstorben: Seine wichtigsten Designs Personell wollte Bertone ein unbeschriebenes Blatt, wie Giugiaro zuvor, mit Mut zum Radikalen. Und Gandini lieferte. Ende der 1960er-Jahre forcierte er die Keilform wie kein anderer und zeichnete für unzählige Marken Design-Ikonen , deren DNA bis heute in Serienmodellen und Studien fortbesteht. Dabei deckte er die gesamte Bandbreite von Kleinwagen bis Supersportlern ab. Als er sich 1980 mit einem Designbüro selbstständig machte, flogen auch Architektur-Aufträge und sogar Hubschrauber-Zeichnungen auf seinem Schreibtisch herum. Dennoch blieb das Auto immer sein Hauptaugenmerk, wie auch spätere, erfolgreiche Entwürfe bezeugen. Nun ist er am 13. März 2024 in Rivoli, unweit seiner Geburtsstadt Turin, verstorben.