Corvette C6 (2008): Retro-Testfahrt
Rauch-Zeichen
Für die Retro-Testfahrt begeben wir uns ins gut gefüllte AUTO ZEITUNG-Archiv: Hier finden wir Fahrberichte faszinierender Autos. Dieses Mal: die Corvette C6 von 2008.
Da ist es wieder, dieses Gefühl, das einen beschleicht, sobald der Startknopf gedrückt ist und der V8 sich erwartungsvoll im Leerlauf schüttelt. Nicht nur die Corvette C6, sondern auch die Person am Steuer geht in Lauerstellung. Den Automatikhebel auf D gezogen, rasch in den fließenden Verkehr eingefädelt und die Verkehrslage gescannt. Wo verdammt noch mal, findet sich endlich ein freies Asphaltband vor dieser endlos langen Motorhaube? Die Antwort verlangt nach etwas Geduld und folgt erst nach der Auffahrt auf die Autobahn: Hier! Das wohl beliebteste Verkehrszeichen für Menschen mit Benzin im Blut ist ein von fünf dünnen schwarzen Linien durchzogener weißer Kreis, trägt die amtliche Kennziffer 282 und signalisiert das Ende sämtlicher Streckenverbote.
Am Steuer der Corvette C6 wirkt es wie eine Startflagge, die den Automatikwählhebel auf S zieht (Aufpreis für Automatikgetriebe: 3600 Euro) und den rechten Fuß den Kickdownbefehl ausführen lässt. Die 2008er Corvette schaltet mit einem kräftigen Schlag auf den Antriebsstrang zurück und gibt so eine Vorstellung vom Begriff des Motorschleppmoments des auf nun 6,2 l Hubraum vergrößerten Leichtmetall-V8. Kein Zweifel, hier herrscht noch Optimierungspotenzial. Dann aber stürmt die 1520 kg leichte Kunststoffkarosse mit der Vehemenz von nun 437 PS (321 kW) nach vorn, dass sich die Horizontlinie nach innen biegt und der Digitaltacho im Head-up-Display kaum mit der Anzeige nachkommt.
Das Ganze wird untermalt von einem kräftigen, erdigen Boller-Blues. So schön kann Maschinenbau klingen. Die unterdessen zutage tretende Drehfreude lässt einen kaum glauben, dass die Ventilsteuerung immer noch ganz anachronistisch über eine zentrale untenliegende Nockenwelle und Stößelstangen erfolgt. Konventionelle Technik, moderne Fahrleistungen: Das Landstraßentempo 100 liegt nach 4,6 s an, die 200-km/h-Marke fällt nach 14,8 s. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Die Corvette C8 (2019) im Video:
Retro-Testfahrt mit der Corvette C6 (2008)
Ein maximales Drehmoment von 575 Nm bei 4600 /min sorgt dafür, dass sich auch oberhalb von 200 km/h jederzeit sattes Schubvermögen abrufen lässt, das erst bei echten 300 km/h endet. Dabei scheint die Art der Leistungsentfaltung die Person am Steuer aus dem Hier und Jetzt zu katapultieren. Die brachial agierenden Bremsen holen die Insass:innen zurück: Mit einem Kaltbremswert von 36,0 m und einem Warmbremswert von nur 35,6 m ankert die Corvette C6 voll auf der Höhe der Zeit. Aufkeimende Bedenken hinsichtlich des Kraftstoffkonsums zerstreut der Testverbrauch von 14,4 l Super pro 100 km. Das ist zwar nicht gerade wenig, aber dem Leistungsvermögen durchaus angemessen und widerlegt das Klischee vom spritsaufenden Ami-Saurier.
Runter von der Autobahn, ab auf kurvige Landstraßen. Hier registriert man eine Zunahme an Handlichkeit gegenüber dem Vorgänger. Dies geht auf das Konto der überarbeiteten Lenkung, die nun hinreichend direkt wirkt. Die leichten Wankbewegungen der Karosserie schränken die Handlingeigenschaften jedoch mehr ein als nötig. Abhilfe verspricht hier die Option auf die Magnetic Selective Ride Control (2510 Euro), einem elektronisch gesteuerten Dämpfersystem, das per Wahlschalter einen Sport-Modus offeriert. Mit konventionellem Fahrwerk bleibt die überraschend komfortabel gefederte Corvette C6 auch im Grenzbereich lange neutral. Wer auf dem Gas bleibt, spürt, wie das Heck nach außen drängt. Ist das zweistufige ESP deaktiviert, keilt die Corvette achtern mächtig aus.
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Gewöhnungsbedürftig ist die Bedienung der Schaltpaddel am Lenkrad. Das Hochschalten erfolgt, anders als gewohnt, durch Druck, das Herunterschalten durch Zug an denselben. Mitunter werden die Schaltbefehle jedoch erst mit etwas Zeitverzögerung ausgeführt.
Knackgeräusche aus dem Dach künden von Verwindungen der Karosserie. Entsprechende Witterung vorausgesetzt, lässt sich das Dach aber einfach herausnehmen und im Kofferraum verstauen. Dann darf die Corvette C6 im Targa-Modus genossen werden. Ansonsten sind mit der Modellpflege deutliche Fortschritte in der Verarbeitungsqualität einhergegangen. Das Armaturenbrett wirkt nun hochwertiger, und die Zeit schludriger Passungen scheint auch endgültig vorbei. So lässt es sich nun deutlich angenehmer auf freie Strecken lauern.
Technische Daten
AUTO ZEITUNG 2008 | Corvette C6 |
Technische Daten | |
Motor | 6,2-Liter-V8 |
Getriebe/Antrieb | 6-Stufen-Automatik; Hinterrad |
Leistung | 335 PS/246 kW |
Max. Drehmoment | 430 Nm |
Karosserie | |
Außenmaße (L/B/H) | 4435/1845/1245 mm |
Leergewicht | 1461 kg |
Kofferraumvolumen | 635 l |
Fahrleistungen (Werksangaben) | |
Beschleunigung (0-100 km/h) | 4,6 s |
Höchstgeschwindigkeit | 300 km/h |
Verbrauch auf 100 km (Werk) | 13.4 l SP |
Kaufinformationen | |
Basispreis (Testwagen) | 65.290 € |
Marktstart | 2008 |
Als die erste Corvette 1953 vorgestellt wurde, ahnte noch niemand, dass der Kraftmeier über die Jahrzehnte hinweg Karriere als Kultmobil machen würde. Mit der Modellpflege für die sechste Generation wurde der Corvette-Charakter nun behutsam verfeinert. Es ist vor allem die druckvolle Leistungsentfaltung des neuen V8, die den Reiz dieses amerikanischen Supersportwagens ausmacht. Angesichts der Fahrleistungen ist die Corvette ein echtes Sparangebot in der 300-km/h-Liga, das einen die kleinen Schwächen verzeihen lässt.