Ferrari 599 GTB Fiorano: So schlug er sich 2006 im Test
Dieser Ferrari versprüht Suchtgefahr
In unserer Rubrik "Test im Rückspiegel" widmen wir uns vergangenen Exoten und Ikonen, welche die AUTO ZEITUNG durch die knallharte Testmangel genommen hat. Dieses Mal: der Ferrari 599 GTB Fiorano von 2006.
Auf der hauseigenen Ferrari-Rennstrecke im italienischen Fiorano soll der neue Ferrari 599 GTB Fiorano gegenüber seinem Vorgängermodell, dem F575 M, um 3,5 s schnellere Rundenzeiten erreichen. Das ist kein Entwicklungsschritt, das ist ein Quantensprung. Wo steckt das feurige Potenzial dieses Roten aus Maranello, der auf den ersten Blick eher zurückhaltend daherkommt? Gegenüber einem Lamborghini Murciélago sieht er wie ein Waisenknabe aus. Gut 620 PS (456 kW) sind natürlich eine Hausnummer, aber auch der Ferrari F575 M war mit 515 PS (379 kW) nicht gerade ein Schwächling. Doch ein Blick auf die gesamte Technik offenbart schnell mehr, denn der 599 ist schließlich nichts anderes als ein Hightech-GT mit Antrieb aus dem Ferrari Enzo. Zu den Details aber später.
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"Test im Rückspiegel": Der Ferrari 599 GTB glänzt durch einfache Bedienbarkeit
Zunächst lassen wir uns mal von den überragenden Fahrleistungen des Italieners faszinieren. Wer die 620 PS (456 kW) sicher auf die angetriebenen Hinterräder wuchten will, muss über einen sensiblen Gasfuß verfügen, denkt man. Im Falle des Ferrari 599 GTB Fiorano ist dies allerdings eine Fehleinschätzung – zumindest, was die Beschleunigung aus dem Stand angeht. Die Person am Steuer sollte nur wissen, wie das hier eingesetzte Launch Control-System à la Formel 1-Rennwagen zu aktivieren ist.
Zunächst müssen mit dem "Manettino"-Knopf am Lenkrad, per einfachem Dreh die Dämpferabstimmung, das Motormanagement und der Schlupf verändert werden. Danach mit der rechten Wippe den ersten Gang einlegen, den linken Fuß auf die Bremse stellen und an der linken Wippe so lange ziehen, bis ein Piepton die Bereitschaft zum Katapultstart signalisiert. Kurz durchatmen und mit dem rechten Fuß das Gaspedal voll durchtreten und den linken Fuß von der Bremse nehmen. Die Nadel des Drehzahlmessers schnellt im Test rasend nach oben, bei ungefähr 5000/min stellt die Kupplung den Kraftschluss zur Hinterachse her.
Dank der elektronischen Regelung katapultiert sich der 1758 kg schwere Bolide nach vorn, dass einem die Nackenmuskeln schmerzen. Nun, ohne den Fuß vom Gaspedal zu lupfen, bei 8000/min kurz an der rechten Wippe ziehen, und in weniger als 0,1 s sorgt der zweite Gang für unverminderten Vortrieb. Dieses Spiel kann man bei entsprechenden Fahrbahnbedingungen bis in den sechsten Gang fortsetzen.
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Katapultstarts sind des 599 leichteste Übung
Die Ergebnisse, die der Messcomputer danach ausspuckt, geben eine Erklärung für die verspannte Nackenmuskulatur: Bis 100 km/h benötigt der Fiorano im Test läppische 3,6 s, und die 200-km/h-Marke durchbricht er nach sensationellen 11,1 s. Zum Vergleich: Der 575 M braucht aus dem Stand bis 100 km/h 4,5 s, der Lamborghini Murciélago 3,8 s. Bis 200 km/h verliert der 640 PS (471 kW) starke Lambo hier 0,9 s. Das beim Katapultstart ausgestoßene Adrenalin vermehrt sich noch, wenn man mit dem Ferrari 599 GTB Fiorano auf der Rennstrecke von Ferrari schnelle Runden dreht.
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Der Grip, den der Ferrari hier in Kurven aufbaut, ist schier unfassbar. Die breiten Räder scheinen sich über Saugnäpfe mit der Straße zu verbinden. Grund dafür ist die Formel 1-erprobte Traktionskontrolle F1-Trac. Ihre Software kontrolliert permanent die Drehzahlen aller vier Räder. Zu schnelle Kurven quittiert das Auto im Test zunächst mit Untersteuern, um bei heftigem Gaseinsatz ins Übersteuern (Über- und Untersteuern erklärt) zu wechseln. Ein gefährliches Ausbrechen verhindert die Technik.
Auch das adaptive Fahrwerk erkennt blitzschnell alle Gegebenheiten und verändert durch elektromagnetische Einwirkung auf das Stoßdämpfer-Öl seine Abstimmung. Untermalt wird die freigesetzte Energie von einem schreiend lauten Auspuffsound. Im normalen Straßenverkehr lässt sich der 599 aber ganz zahm bewegen. VW Golf fahren ist nicht einfacher, nur billiger. Der Grundpreis des Ferrari von 206.700 Euro passt zum hohen Verbrauch von 21,3 l pro 100 km.
Von Jürgen Schramek
Technische Daten
AUTO ZEITUNG 22/2006 | Ferrari 599 GTB Fiorano |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 12/4 |
Hubraum | 5999 cm³ |
Leistung | 456 kW/620 PS |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 608 Nm 5600/min |
Getriebe/Antrieb | 6-Stufen-Automatik/Hinterrad |
L/B/H | 4665/1962/1314 mm |
Leergewicht | 1758 kg |
Bauzeit | 2006-2012 |
Stückzahl | ca. 3000 |
Beschleunigung null auf 100 km/h | 3,6 s |
Höchstgeschwindigkeit | 330 km/h |
Verbrauch auf 100 km | 21,3 l S |
Grundpreis (Jahr) | 206.700 Euro (2006) |
Der Ferrari 599 GTB Fiorano ist ein Rennwagen mit GT-Eigenschaften für Profis, aber auch alle anderen. Diese Mischung aus Renntalent und Alltagsgefährt ist einfach faszinierend. Die wegen des hohen Preises sicher ziemlich eingegrenzte Kundschaft erhält ein Auto, das auch beim Fahrkomfort nicht enttäuscht. Optisch ist dieser Ferrari eher Understatement, aber die Ferrari-Käuferschaft will ja auch nicht immer und überall auffallen. Mit dem 599 machen sie es zwar trotzdem auf die dezente Art und Weise.