Mercedes V 220 vs. VW Multivan T5: Vergleichstest Dritter Anlauf
Wenn Platz und Variabilität gefragt sind, ist der VW-Multivan T5 meist nicht weit. Die Mercedes V-Klasse war stets dicht dran. Schafft die dritte Generation den Sieg? Vergleichstest
Als es das Internet und Singlebörsen noch nicht gab, reichte zur Kontaktanbahnung zuweilen ein gebrauchter VW-Bus. Davon können Generationen von Studenten erzählen. Wer einen „Bulli“ erwarb, der oft lieblos aus Staatsdiensten von Polizei, Post oder Bundeswehr entlassen wurde, gewann schnell viele, wenn auch nicht immer echte Freunde.
Es waren die großen Transportkapazitäten, die den Bus-Besitzer bei seinen Mitmenschen auf einmal attraktiv erscheinen ließen. Auch wenn die flugs geknüpften Beziehungen oftmals nur den Griechenlandurlaub, die Wohnungsrenovierung oder den Umzug überdauerten – die Wertschätzung seiner Vielseitigkeit hielt sich wacker bis in die fünfte Generation. Seit der dritten als Multivan und teilweise schon wassergekühlt unterwegs und seit der vierten als Fronttriebler. Technische Merkmale, welche die die Mercedes V-Klasse seit jeher besitzt. Mit deren dritter Generation wollen es die Schwaben jetzt wissen und schielen auf das ebenso praktisch denkende wie kaufkräftige Groß-Van-Klientel.
Mercedes V-Klasse und VW Multivan T5: Karosserie
Eine Außenlänge von 5,14 Meter bei einem Radstand von 3,2 Meter wecken große Erwartungen an das Platzangebot, die von der V-Klasse voll erfüllt werden. Serienmäßig als Sechssitzer angeboten, genießen die Passagiere ein großzügiges Raumgefühl. 4630 Liter Kofferraum sind in höchstem Maße umzugstauglich. Wer eine ebene Ladefläche möchte, baut mit wenigen Handgriffen die vier Einzelsitze (je 31 kg) aus.
Diese Aktion ist beim Multivan (Länge: 4,89 Meter, Radstand: 3 Meter) aufwändiger. Hier müssen zuerst Teile der Sitzschienenabdeckung entfernt werden, bevor die beiden 38 Kilo schweren Einzelsessel in der zweiten Reihe herausgewuchtet werden können. Die serienmäßige Sitzbank in der dritten Reihe verlangt gar nach mehreren Personen. Ist die schweißtreibende Aktion erledigt, steht ein Maximalvolumen von 4300 Litern zur Verfügung. Dafür erfreut der VW-Bus seine Insassen auf allen Plätzen dank der besseren seitlichen Kopffreiheit mit einem nochmals besseren Raumgefühl. Hier sitzt man nicht, hier „thront“ man förmlich, während die V-Klasse eher „Van-Feeling“ vermittelt.
Die Verarbeitung des Multivan ist tadellos, doch wirken die Materialien hier und da nicht ganz so hochwertig wie in der V-Klasse. Außerdem gibt sich die Mercedes-Karosserie etwas verwindungssteifer. In Sachen Bedienung erklärt sich der VW von selbst, doch fällt das Navi-System mit extrem langsamen Rechenzeiten auf. Die V-Klasse verlangt von Neulingen aufgrund ihrer teils sehr verschachtelten Menüs und der Bedienungsoptionen über Dreh-/Drück-Steller und Touchpad nach der einen oder anderen Lehrstunde.
Sie bietet aber dafür beispielsweise die Möglichkeit, den Wagen zum W-LAN-Hotspot aufzurüsten und stellt auch in der Sicherheitsausstattung den Konkurrenten in den Schatten, etwa mit dem serienmäßigen Presafe-System und den Optionen Abstandsregel-Tempomat, Fernlicht- oder Spurhalteassistent.
MERCEDES V 220 CDI | VW MULTIVAN 2.0 TDI BMT1 |
163 PS | 180 PS |
0-100 km/h in 11,8 s | 0-100 km/h in 12,2 s |
Hinterradantrieb | Vorderradantrieb |
Spitze 195 km/h | Spitze 191 km/h |
Grundpreis: 45.200 Euro* *Preis inkl. 7-Stufen-Automatikgetriebe |
Grundpreis: 52.979 Euro2 1BlueMotion Technology; 2Preis inkl. Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe |
Einleitung / Karosserie
Fahrkomfort / Motor & Getriebe
Fahrdynamik / Umwelt & Kosten
Fazit
Fahrkomfort
Klimaanlagen sind bei beiden serienmäßig
Im VW sitzt man auf allen Plätzen gut, im Mercedes aber besser. Der Grund liegt in der besseren Ausformung und der strafferen Polsterung der Sitzflächen und Lehnen. Beide gefallen überdies mit guter Geräuschdämmung und warten serienmäßig mit einer Klimaanlage auf. Eine Automatik, mit der sich der Fondraum separat temperieren lässt, ist aufpreispflichtig (Mercedes: 568 Euro, VW: 1172 Euro).
Schon in der günstigsten Ausstattung Edition bringt die V-Klasse eine Sitzheizung mit. Dort, wo der Asphalt verschlissen ist, kann der VW seine Nutzfahrzeugherkunft nicht verleugnen.
Hier poltert er über Schlaglöcher, pumpt, wankt und schüttelt seine Insassen ordentlich durch. Querfugen reicht der Multivan nahezu ohne Filter an die Passagiere weiter. Mehr Beladung verschafft zwar Linderung in Gestalt eines geschmeidigeren Abrollkomforts.
Von der V-Klasse, mit optionalem, aber aufpreisfreien Agility-Control-Fahrwerk samt adaptiver Dämpfer bestückt, bleibt der VW aber selbst dann noch ein gutes Stück entfernt. So erinnert der Mercedes im Federungskomfort eindeutig mehr an einen Pkw als an ein Nutzfahrzeug.
Motor/Getriebe
Das Doppelkupplungsgetriebe reagiert schneller
Ums Fortkommen kümmert sich im VW ein 2.0-Liter Bi-Turbo-TDI mit 180 PS der seine Kraft über ein optionales Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe an die Vorderräder abgibt.
Im Mercedes verrichtet ein 2,2-Liter-Selbstzünder mit 163 PS seinen Dienst, der ebenfalls von zwei Ladern unter Druck gesetzt wird und deren in der Edition -Version serienmäßige Siebenstufen-Automatik die Antriebskraft an die Hinterräder leitet.
Beide Aggregate reichen völlig aus und verhindern, dass man zum Verkehrshindernis wird. Beschleunigungswerte um 12 Sekunden für den Standardsprint sowie über 190 km/h Höchstgeschwindigkeit liegen auf Pkw-Niveau. Erfreulich: Ein maximales Drehment von 380 Nm (Mercedes) beziehungsweise 400 Nm (VW) sorgt dafür, dass beiden auch an Autobahnsteigungen nicht die Puste ausgeht.
Noch erfreulicher sind die moderaten Testverbräuche: 8,7 Liter auf 100 Kilometern beim Mercedes und 8,6 Liter im VW sprechen angesichts der über 2,3 Tonnen schweren Testwagen für die Effizienz ihrer Motoren. Im Alltag fällt auf, dass das Doppelkupplungsgetriebe des VW etwas aufmerksamer auf veränderte Lastzustände reagiert und schneller schaltet als die Mercedes-Automatik. Dafür läuft das VW-Triebwerk im oberen Drehzahlbereich eine Spur rauer als das Mercedes-Aggregat.
Fahrdynamik
Beide Vans bremsen beruhigend gut
Das bereits angesprochene Fahrzeuggewicht macht sich bei den Fahrdynamikprüfungen wie erwartet bemerkbar. So setzt der VW, bei dem über 1,3 Tonnen auf der Vorderachse lasten, recht früh zum Untersteuern an. Kurviges Terrain erfordert viel Lenkarbeit. Beim Herausbeschleunigen aus Kurven kommt die Traktion recht frühan ihre Grenzen. Der Mercedes wirkt verbindlicher, operiert mit einer zielgenaueren Lenkung samt etwas kleinerer Lenkwinkel.
Er wird aber von seinem recht früh anklopfenden ESP sehr harsch in die Schranken gewiesen.
Dem Thema Bremsen kommt in dieser Fahrzeugkategorie eine besondere Bedeutung zu, denn die Bremsanlagen müssen, wenn es darauf ankommt, im wahrsten Sinne des Wortes Schwerstarbeit leisten. Beide leisten sich hier keine Patzer und verzögern standfest auf Pkw-Niveau, der Mercedes mit besserem Pedalgefühl, der VW mit kürzerem Warmbremsweg.
Umwelt/Kosten
In der Anschaffung ist der Mercedes günstiger
Dass Fahrzeuge dieser Größe trotz ihrer Volkstümlichkeit nicht zum Discountpreis zu haben sind, versteht sich von selbst. Aber wann gab es das schon mal, dass ein VW teurer als ein Mercedes kommt? Konkret liegen zwischen Multivan und V-Klasse fast 7800 Euro.
Hinzu kommt, dass der Mercedes besser ausgestattet vorfährt. Unter anderem glänzt er sogar mit serienmäßigem Metallic-Lack. Nach vier Jahren und 80.000 Kilometern weist der Multivan überdies einen deutlich höheren Wertverlust gegenüber der Mercedes V Klasse auf. Da ist die günstigere Versicherungseinstufung nur ein schwacher Trost.
FAZIT
Jahrelang war der VW-Bus, inzwischen als Multivan unterwegs, unschlagbar, wenn es darum ging Kind und Kegel notfalls bis ans Ende der Welt zu bringen. Das machte ihn sympathisch, gut verkäuflich und kulttauglich. Darüber kam der aktuelle T5 jedoch schleichend, aber deutlich erkennbar in die Jahre.
Das beweist die neue V Klasse mit der Mercedes zweifellos ein Meisterstück gelungen ist. Komfortabler, handlicher und mit zeitgemäßem Infotainmentangebot zeigt sie, was heute bei Großraum-Vans möglich ist. Hinzu kommt, das der Mercedes in der Anschaffung deutlich billiger ist. Das dürfte zwar den Kultstatus des VW-Bus kaum in Frage stellen, nüchtern rechnenden Kunden aber zu denken geben.
Technische Daten & Gesamtbewertung als PDF zum nachlesen
Elmar Siepen