Rallye-Revoluzzer: Ford 15 M RS, Kadett Rallye & Simca Rallye 2
Heißes Kompaktsportler-Triell der 60er und 70er
Manch biederes Großserienauto bekam Ende der 60er-Jahre eine Kraftkur für mehr Sport-Appeal verordnet. Und plötzlich durfte man sich als Besitzer:in eines Opel Kadett Rallye, Ford RS oder Simca Rallye 2 wie ein:e Rennfahrer:in fühlen! Wir machen den Classic Cars-Vergleich.
Biedermänner hatten es schwer Ende der 60er. Student:innen wetterten gegen den Muff der Nachkriegsgesellschaft. Im Kino liefen immer freizügigere Filme. Und mit seinem braven Ford 15 M oder Opel Kadett wurde man im Kreise sportlich ambitionierter Fahrer:innen ausgelacht. Die einen zogen sich daraufhin in den sicheren Garten ihres Reihenhäuschens zurück, um in Frieden die Rosenbeete zu häufeln. Andere bliesen zum Gegenangriff und gründeten die Aktion Saubere Leinwand – mit dem Ziel, weitere unsittliche Filme wie Ingmar Bergmans "Das Schweigen" zu verhindern. Die Schlauen aber blieben locker und schlenderten zum freundlichen Autohändler um die Ecke. Der hatte nämlich seit dem Genfer Autosalon 1967 plötzlich ganz schön aufgemotzte Autos da stehen, die ein Jahr zuvor noch so sexy waren wie Heinrich Lübkes Seitenscheitel.
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Keine biedere Großserie: Ford 15 M RS, Opel Kadett B Rallye & Simca Rallye 2
Der letzte Schrei: Rallyestreifen und mattschwarze Motorhauben. Unter dem Blech: Sportsitze, Zusatzinstrumente und vor allem ein möglichst potenter Motor. Das alles gab es zum erschwinglichen Preis von rund 8000 Mark. Wenn so ein Gerät dann erst in der Garageneinfahrt stand, fühlte man sich wieder jung. Autofahren machte wieder Spaß. Es war eben nicht alles schlecht an dieser 68er-(Fort)Bewegung. Aus Sicht der Autobauer war gar nicht viel Aufwand nötig, um die Modellpalette ein bisschen auf Revolution zu trimmen.
Bei Ford sah das Rezept so aus: Mit der Formel RS (als Abkürzung für Rallye Sport) halfen die Kölner:innen dem 15 M auf die Sprünge, indem sie ihm den 1,7-l-Vierzylinder des 17 M einpflanzten. Anfangs mit 70 PS (51 kW), später mit 75 PS (55 kW), mutierte der Fronttriebler dadurch zwar nicht zum Mercedes-Schreck, konnte aber durchaus mit vielen größeren Wagen mithalten. Ähnlich lief die Sache bei Opel: Der Kadett bekam den 1,9-l-Motor des 1900er Rekord und stand somit auf einmal mit satten 90 PS (66 kW) am Start. Dazu Kriegsbemalung und Zusatzscheinwerfer mit Jodfüllung, fertig war das Rallye-Modell.
Etwas später kamen die Französ:innen von der Industriegesellschaft für automobile Mechanik und Karosserie, kurz SIMCA, auf den Trichter. 1970 ersetzten sie das 1,1-l-Triebwerk ihres altbekannten Kleinwagens Simca 1000 mit mageren 52 PS (38 kW) durch einen 1,3-l-Motor mit 60 PS (44 kW) und tauften ihn selbstbewusst Rallye 1. Der Name ließ Raum für weitere Evolutionsstufen, sodass man 1972 den Simca Rallye 2 nachschieben konnte: Ein überaus quirliges Wägelchen mit vier Türen, Heckmotor und nunmehr 82 PS (60 kW) bei schrill sägenden 6000 Umdrehungen. Quell der beglückenden Leistung war eine Batterie aus zwei Solex-Flachstromvergasern, bekannt aus dem 1200 S Coupé. Für eine bessere Gewichtsverteilung wanderte der Wasserkühler von hinten nach vorn, für kürzere Bremswege baute man Scheibenbremsen rundum ein. Dazu größere Cibié-Zusatzlampen plus Gummipuffer für die Optik. Und ja, auch der Simca bekam seine Rallyestreifen.
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Opel und Simca brillierten im Motorsport
Nach etwa 50 Jahren ist es nicht ganz einfach, Ford, Opel und Simca zu einem Treffen zusammenzubringen. Schuld daran ist natürlich der Rost, aber nicht nur. Speziell die Besitzer:innen von Opel und Simca nahmen die Rallyestreifen wörtlich und setzten ihre Autos bei strapaziösen Wettbewerben ein. Opel selbst hatte zwar von GM bis 1974 ein Wettbewerbsverbot auferlegt bekommen, weil man die Negativ-PR möglicher Unfälle fürchtete. Doch in Rüsselsheim ließ man sich nicht lumpen und förderte mehr oder weniger offiziell den Renneinsatz von Privatautos. Einer der Berühmtheiten war der Schwede Anders Kulläng, der 13 Jahre für Opel unterwegs war. Der Simca wiederum war als Rallye 2 sogar ganz offiziell für den Sport bestimmt. Innerhalb von zwölf Monaten produzierte man die erforderliche Zahl von 5000 Autos, um die Homologation für die Gruppe 1 der Serientourenwagen zu schaffen. Tatsächlich erkämpfte sich der kleine Franzose dort eine überlegene Stellung. Für den Rallye-Einsatz dagegen war der Simca nicht ohne weiteres Tuning geeignet: Sein Fahrverhalten zeichnete sich durch beharrliches Schieben über die Vorderräder aus.
Dank freundlicher Unterstützung fanden dann doch alle drei Probanden den Weg in die Redaktion. Opel Classic Europe schickte ein Kadett B Coupé Rallye, und zwar eines der seltenen Exemplare in Sprint-Ausführung. Diese Fahrzeuge wurden in Kleinstserien produziert für den Einsatz durch die erwähnten Sportfahrer:innen und hatten nicht nur einen Überrollbügel, eine Hinterachse mit Sperrdifferenzial, sondern auch einen durch klassisches Tuning auf 106 PS (78 kW) getrimmten Motor. Die Simca-Heckmotor-IG wiederum vermittelte Kontakt zu einem der wenigen Rallye 2-Besitzer, die ihr Auto noch nicht kaltverformt oder mit eckigen Scheinwerfern zum Pseudo-Rallye 3 umgemodelt haben. Über das Ford P6-Forum schließlich ließ sich ein gut erhaltener 15 M RS auftreiben.
Martialischer Auftritt im Rallye 2
Der düstere Himmel über dem Rheinland passt gut zu unserem Vergleich an diesem Herbsttag. Auf einem Flugplatz wollen wir herausfinden, ob wirklich Rallye-Potenzial in den Sportlern von einst steckt – oder ob die Streifen auf den Kotflügeln nur den Biedermann hinterm Lenkrad tarnen sollen. Im Falle des Simca ist die Antwort schon nach wenigen Metern klar: Mit aufgestellter Heckklappe, gekürzten Konis und heftigem Sturz hoppelt er ums Eck, wild brüllend durch einen nicht ganz jugendfreien Abarth-Auspuff.
Die anwesenden Gäste blicken derweil leicht verstört, weswegen wir davon absehen, die vom Drehzahlmesser versprochene 7000er-Grenze zu knacken. Immerhin: Die Schalensitze sind original, ebenso wie das sportliche – man könnte auch sagen: lieblos simple – Cockpit und die putzige Heizungsregelung tief unten vor dem Schalthebel. "Bei diesem Preis kann schon bei einigen nicht gelungenen Kleinigkeiten ein Auge zugedrückt werden", fand der Tester der AUTO ZEITUNG einst.
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Wir schließen uns an und wechseln etwas derangiert zum Ford. "Mit Familienkutschen haben die Wagen der Formel RS noch die fünf Plätze gemeinsam. Mit Sportwagen einiges mehr", hieß es im Ford-Prospekt. Das glaubt man gern, wenn man sich im Inneren umsieht: Der 15 M RS ist raffiniert ausgestattet und verfügt über eine üppig bestückte Mittelkonsole. Batterie-Ladekontrolle, Anzeigen für Öldruck und Wassertemperatur, alles da. Dazu ein gelochtes Dreispeichen-Lenkrad mit Köln-Wappen vor einem Cockpit mit Holzdesign-Folie – fesch. Als der V4 die Sporen kriegt, geht es zwar brummig, aber mit Nachdruck schon aus niedriger Drehzahl vorwärts. In Kurven bleibt das Auto dank Frontantrieb sicher und gutmütig auf Kurs. Was für eine Wohltat nach dem giftigen Simca. Wirklich sportlich fühlt sich der RS aber nicht an.
Bleibt noch der Opel. Die Sitzposition ist bei ihm am höchsten, trotzdem genießen wir viel Platz über dem Kopf. Der Vierzylinder springt spontan an und macht ohne viel Radau gleich mächtig Feuer. Im Grenzbereich will der Kadett zwar über die Vorderräder schieben, lässt sich aber durch entsprechende Gaspedal-Impulse durchaus auch zu einem Drift verleiten, untermalt vom Schnorcheln des Vergasers, der seine zweite Stufe hinzuschaltet. Ein gepflegter Spaß, der Rallyestreifen auf jeden Fall rechtfertigt. Zumal der Komfort keineswegs auf der Strecke bleibt. Schade: Denn leider dürfen wir keinen der drei behalten.
Technische Daten von Ford 15 M RS, Opel Kadett B Rallye & Simca Rallye 2
Classic Cars 11/2013 | Ford 15 M RS | Opel Kadett Rallye | Simca Rallye 2 |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 4/4 | 4/2 | 4/2 |
Hubraum | 1699 cm³ | 1897 cm³ | 1294 cm³ |
Leistung | 55 kW/75 PS | 66 kW/90 PS | 60 kW/82 PS |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 134 Nm 2500/min | 146 Nm 2500/min | 108 Nm 4400/min |
Getriebe/Antrieb | 4-Gang-Getriebe/Vorderrad | 4-Gang-Getriebe/Hinterrad | 4-Gang-Getriebe/Hinterrad |
L/B/H | 4390/1600/1385 mm | 4182/1573/1405 mm | 3795/1385/1396 mm |
Leergewicht | 882 kg | 890 kg | 875 kg |
Bauzeit | 1968-1970 | 1967-1973 | 1972-1976 |
Stückzahl | 668.187 (P6 ges.) | 103.622 | 5000 |
Beschleunigung null auf 100 km/h | 14 s | 11,8 s | 11,5 s |
Höchstgeschwindigkeit | 160 km/h | 168 km/h | 166 km/h |
Verbrauch auf 100 km | 8,3 l S | 12,8 l S | 11,5 l S |
Grundpreis (Jahr) | 7480 Mark (1968) | 8624 Mark (1970) | 7498 Mark (1973) |
Es ist schon verblüffend, wie direkt sich automobile Fortbewegung in einem Simca Rallye 2 anfühlt: Die Füße auf Höhe der Vorderräder, das kleine Lenkrad fest umklammert, wirft man sich mit dem wilden Franzosen lustvoll von einer Kurve in die nächste. Aus dem Heck tönt dabei das heisere Lied des hochdrehenden Vierzylinders. Herrlich. Aber auf Dauer auch ganz schön anstrengend. Wesentlich ruhiger geht es im Ford 15 M RS zu. Vom Wesen her ist der Kölner ein komfortabler Reise- und kein Sportwagen. Daran ändern auch die auflackierten Rallyestreifen nichts. Mit sattem Drehmoment über Land sausen, in Kurven stets gutmütig wankend, das ist sein Ding. Der Opel Kadett Rallye schließlich kann beides: fetzen und flanieren. In diesem Trio ist er der ausgewogenste Kandidat. Mag sein, dass der Simca ihn im Ernstfall abhängt. Aber das Risiko, auf einen Rallye 2 zu treffen, ist gering. Verdienter Punktsieg für den Rüsselsheimer.