Faszination: Ford 20 M TS Cabriolet Deutschstunde
Zusammen mit Ford-Manager Wolfgang Booms begebe ich mich auf eine Oldtimerzeitreise wie aus dem automobilen Lehrbuch – im Zeitzeugen Ford 20 M TS Cabriolet, seinerzeit gebaut von Karl Deutsch
Dieses Rot! Es ist weit mehr als nur „Simply Red“, es ist wie „Red Hot Chili Peppers“, gewürzt mit purer Leidenschaft. Damals, 1965, als dieser Ford 20 M TS gebaut wurde, hatten die Lacke noch dieses Satt-Speckige, als wäre die Farbe mit dem Pinsel aufgetragen worden. Und dann diese Form des Ford Cabriolets – lang gestreckt, schlank, drahtig, ohne den heutigen Linien-Wirrwarr und ohne konkaves oder konvexes Karosserie-Bodybuilding. Dazu die Überhänge, wie man sie damals an den Autos so liebte. Und selbstverständlich der obligatorische Chrom – alles unverzichtbare Insignien der Oberklasse. Und dieser gehörte der Ford 20 M TS Cabrio mit seinem 90 PS starken Sechszylinder zweifellos an. Doch die nach unten abgerundete Form mit den formal eingepassten Stoßstangen gab dem Taunus P5 seinen unverkennbaren Sex-Appeal.
Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, als Politiker noch keinen Schaden anrichten konnten. Der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard ging mehr durch sein Zigarren-Rauchen als durch Regieren in die Geschichtsbücher ein. Der Welthit des Jahres „I feel fine“ von den Beatles brachte das Gefühl einer ganzen Generation zum Ausdruck. Zu Weihnachten beschenkten sich die Deutschen mit Drafi Deutschers Hit „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Und im Köln der 60er-Jahre kam man auf die Idee, Ford-Modelle aufzuschneiden. „Die Leute wollten im Karneval das Prinzen-Paar gut sehen. Und so liefen viele Ford 20 M TS Cabrios bei den Rosenmontags-Umzügen ihre ersten Kilometer“, schmunzelt Wolfgang Booms, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb der Ford-Werke GmbH. Fürs Aufschneiden war seinerzeit die Karl Deutsch GmbH, ein Karosseriebaubetrieb in Köln-Braunsfeld, zuständig.
Deren wichtigster Kunde war Ford, doch dort schneiderte man auch Cabrios auf Basis der Isabella TS oder des Opel Rekord C. Vom schicken 20 M TS Cabriolet fertigte der Kölner Spezialist gerade mal 150 Exemplare. „Der Taunus P5 – Produktionsstart war 1964 – stellte dabei von allen Taunus-Modellen die größte Serie an Cabrios dar“, weiß Booms. Die Ford Taunus-Modelle waren in den 60er- Jahren neben Willy Millowitsch Kölns bekanntester Exportartikel. Doch heute wissen außerhalb der Domstadt nur wenige, was sich hinter der kölschen Nomenklatur 20 M TS P5 verbirgt. P5 steht für die fünfte neue Pkw- Entwicklung der Kölner Ford-Werke nach dem zweiten Weltkrieg. Stilistisch knüpft der P5 – gebaut von 1964 bis 1967 – mit seiner Badewannen-Form an den P3 an, allerdings wurde sein Radstand um 75 Millimeter verlängert.
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Und er rollte erstmals auf dem so genannten „Breitspurfahrwerk“. Offensichtlich ahnten die Ingenieure, was sie für einen technischen Leckerbissen entwickelten, denn der Entwicklungs-Code für den 20 M war „Languste“. „Die Zahl 20 symbolisiert zwei Liter Hubraum, TS ist die Abkürzung für „Tourensport“, und M bedeutete Meisterstück“, erklärt Booms die Ingenieurs-Arithmetik. Der immer etwas lausbübisch grinsende, sympathische Münsteraner, geboren 1967 in Burgsteinfurt, war schon früh vom Autobazillus befallen. Bereits während seines Marketing- und Betriebswirtschaftsstudiums gab er gern den „Hochstapler mit Bodenhaftung“ und verdiente sich als Gabelstapler-Fahrer das nötige Geld für sein Hobby Auto. Heute besitzt der Classic- und Youngtimer-Fan einen Ford 17 M P3 und einen Ford Mustang Baujahr 2007.
Und in der Garage versteckt sich noch aus Studienzeiten ein Audi 100 S Coupé mit original 55.000 Kilometern auf dem Tacho. Während das Ford 20 M TS Cabrio seidenweich durch die Alleen-Straßen des Bergischen Landes zwischen Herkenrath und Spitze gleitet, kommt Booms ins Philosophieren. „Einen Youngtimer oder einen Oldtimer zu bewegen, ist mehr als nur Fahren, es ist Zeitgeist. Man kommt ins Grübeln: Warum ist manches nicht so geblieben, oder was hat sich verbessert? Dieser Motor beispielsweise läuft einfach seidenweich.“ Tatsächlich ist dieses Aggregat ein Sahnestück. Wäre nicht der Benzinverbrauch von bis zu 13 Litern, der bei neuen Autos naturgemäß asketischer ausfällt, könnte man sich das Triebwerk, das übrigens ohne Ausgleichswelle auskommt, fast heute noch unter der Haube vorstellen.
Und mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h gehörte man zu den Schnellen im Lande. So verwundert es nicht, dass Ford zu der Zeit Marktführer im Sechszylinder-Segment in Europa war. Der 90-PS-V6-Motor ist mit seinem zwei Liter großen Hubraum ein Leisetreter. Auf Samtpfoten schleichen sich das stets präsente Drehmoment und die Leistung an die Kurbelwelle – und mit etwas Wehmut schießt einem das heutige Downsizing der Motoren durch den Kopf. Zur sehnig-muskulösen Kraftentfaltung passt der gute Fahrkomfort. Der Ford transportiert dieses uramerikanische Gen der gelassenen Fortbewegung – da blitzt sie plötzlich auf, die Verwandtschaft mit Detroit.
Behagliche Sitze, üppige Platzverhältnisse auch im Fond und ein 650 Liter großer Kofferraum erinnern an die Zeit, als man eher mal eine Waschmaschine transportiert hat als Golf-Bags. Die butterweiche Servolenkung erlaubt erstaunlich präzise Kurvenfahrten, obwohl sie sich dem Spiel des Zeitgeists nicht ganz entziehen kann. Und die starr an Blattfedern geführte Hinterachse kapituliert dabei keineswegs vor den mäandernden Sträßchen des Bergischen Landes. Nicht alltäglich war damals auch die vordere Einzelradaufhängung an McPherson-Federbeinen. Und die vier Gänge konnte der Fahrer sportlich mit der Knüppelschaltung statt mit der meist obligatorischen Lenkradschaltung einlegen.
Kein Zweifel, der 20 M TS hatte in seiner Zeit vielen Wettbewerbern einiges voraus. „Für ein gutes Cabrio-Exemplar sind heute bis zu 30.000 Euro fällig“, sagt der Vertriebsexperte. Booms, der bereits seit 1993 bei Ford arbeitet, lenkt das Cabriolet auf den Parkplatz von Schloss Lerbach, dem Ende unserer kleinen Zeitreise. Der Münsterländer, der seine Diplomarbeit über das knochentrockene Thema „Flottenentscheidungsmodell“ geschrieben hat, sagt mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht: „Diese Autos machen einfach Spaß.
Heute unterliegen wir Autobauer anderen Zwängen. Verbrauch, CO2-Emissionen, Zukunftsfähigkeit und natürlich Bezahlbarkeit diktieren im Massenmarkt das Geschehen. Aber auch Neufahrzeuge messe ich an Emotionen.“
Zwinkernd steigt er in seinen Dienstwagen um, einen giftgrünen Ford Focus RS. Und damit schließt sich der Kreis, denn der Ford-Manager hat mit seinem Dienstwagen eine gute Wahl getroffen: Sicher wird der Focus RS in einigen Jahrzehnten das sein, was das 20 M TS Cabrio von Karl Deutsch heute schon ist – ein Klassiker.
Volker Koerdt
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die technischen Daten des Ford 20 M TS Cabriolet
TECHNIK |
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Ford 20 M TS Cabriolet |
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Motor | V6-Zylinder, 2-Ventiler |
Hubraum | 1985 cm3 |
Leistung bei | 90 PS (66 kW) bei 5000 /min |
Max. Drehmoment bei |
155 Newtonmeter Drehmoment bei 3000/min |
Aufbau und Fahrwerk |
Ford 20 M TS (P5) Cabriolet, Umbau durch Karl Deutsch GmbH/Köln-Braunsfeld. Fahrwerk: v.: McPherson-Federbeine, Querlenker, Stabi.; h.: Starrachse, Blattfedern, Dämpfer; |
Bremsen | v. Scheiben, h. Trommeln; Stahlfelgen: 4,5 x 13, Reifen: 6.40 – 13 |
L/B/H | 4585/1715/1470 mm |
ECKDATEN |
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0-100 km/h | 13,5 s |
Höchst- geschwindigkeit |
160 km/h |
Bauzeit: | 1964 bis 1967 |
Stückzahl | ca. 150 Exemplare |
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