Allgemeines Tempolimit: Pro & Contra im Kommentar
Früher spaltete es die Gesellschaft, heute nur noch die politischen Parteien: Das Tempolimit auf Autobahnen verliert angesichts permanenter Staugefahr seinen Schrecken. Lohnt es sich überhaupt noch, darüber nachzudenken? Ein Streitgespräch zwischen unseren Redakteuren Karsten Rehmann und Johannes Riegsinger!

Karsten Rehmann: "Wir opfern den Komfort für die Illusion des schnelleren Ankommens"
"Natürlich bringt ein striktes Drogenverbot – Stichworte Alkohol, Cannabis – für die Verkehrssicherheit mehr als jedes Tempolimit. Natürlich profitiert der Klimaschutz stärker davon, wenn wir weniger Fleisch essen, von Köln nach Hamburg den ICE nehmen und nicht übers Wochenende für 20 Euro nach Lissabon fliegen, bloß weil es billig ist (Analyse: CO2-Ausstoß pro Kopf und Verkehrsmittel). Trotzdem bin ich für ein Tempolimit.
Erstens, weil es das Bewusstsein für den klugen Umgang mit jeder Energieressource schärft. Niemand wird in seiner persönlichen Freiheit beschnitten, wenn wir alle auf wenigen Autobahnstrecken etwas langsamer fahren. Es wäre ein zumutbarer Beitrag zum Klimaschutz, den jeder leisten und dabei noch Geld sparen kann.
Zweitens, weil uns der Verzicht auf Höchstgeschwindigkeiten (Top-15 der schnellsten Autos weltweit) komfortablere Autos bescheren wird. Wir lassen uns täglich das Rückgrat malträtieren, nur weil das neue Modell auf der Kreisbahn des Herstellers drei Zehntel schneller sein musste als der Vorgänger. Fahren Sie mal zum Spaß zuerst Ihr eigenes Auto und danach eine 30, 40 Jahre alte Limousine von Mercedes oder Citroën über Kopfsteinpflaster und Bahnübergänge. Sie werden sich fragen, wieso wir uns diese gnadenlos harten Dämpfer und Rennreifen eigentlich antun.
Drittens, weil praktisch jeder schwere Unfall auf ein nicht der Situation angepasstes Tempo zurückzuführen ist. Es spielt keine Rolle, ob wir von Ablenkung, Selbstüberschätzung oder Unfähigkeit sprechen: Stets war das Auto schneller als das Reaktionsvermögen der Person am Steuer. Bei Tempo 180 legen wir pro Sekunde 50 m zurück. Da ist auch der versierteste Profi auf die Umsicht und die Vernunft anderer stärker angewiesen, als ihm lieb ist. Die beste Person am Steuer ist nicht die schnellere, sondern diejenige, die für jede Überraschung die richtige Reaktion parat hält. Das gilt auch für bleifußbewehrte Dienstwagenfahrer:innen, die ihre Kombis notorisch am Limit bewegen. Die elegante Alternative zum verordneten Tempolimit wäre übrigens ein Cabrio mit Stoffverdeck. Wer den Fahrtwind physisch spürt, gibt weniger Gas und hat trotzdem mehr Spaß."
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Von der AUTO ZEITUNG getestet und empfohlen:
Johannes Riegsinger: "Die Forderung nach einem Tempolimit ist ein Anachronismus"
"Autobahn-Unfälle? Machen einen sehr geringen Prozentsatz aller Verkehrsunfälle aus. Und wenn sie passieren, dann durch gedankenloses Fahren in risikoreichen Verkehrssituationen, etwa wenn 80 km/h in der Baustelle oder 120 km/h bei Aquaplaning-Gefahr zu schnell sind oder 30 m Abstand bei 115 km/h und (erlaubtes) Fummeln auf dem Touchdisplay (So gefährlich ist der Touchtrend wirklich) zusammenkommen. Ein allgemeines Tempolimit würde hier überhaupt nicht greifen. Und dann das CO2-Argument: Das letzte Mal, als ich auf einer nicht eh schon tempolimitierten Autobahn unterwegs war – die muss man nämlich bereits intensiv suchen –, haben sich rund fünf Sechstel aller Verkehrsteilnehmenden mit einem Tempo zwischen 80 und 140 bewegt.
Eine Mehrheit der Deutschen und selbst 55 Prozent der garantiert Auto-freundlichen ADAC-Mitglieder sind daher auch bereits für ein allgemeines Tempolimit – weil es sie überhaupt nicht betrifft. Man könnte also sagen: Das allgemeine Tempolimit gibt es in der Praxis längst. Dass eine gesetzliche Einführung tatsächlich noch CO2 im großen Stil reduzieren würde, darf daher stark bezweifelt werden. Vielleicht ist ja was dran an der Beobachtung, dass Schnellfahrer:innen meist Dienstwagen haben. Vermutlich, weil sie die Spritrechnung nicht selbst zahlen müssen, sondern dem Arbeitgeber in Rechnung stellen können. Dass die Flotten-Verantwortlichen ihren Dienstwagen-Berechtigten aber keinen Gasfuß-Dämpfer verpassen, ist doch deren finanzielles Problem und nichts, das per allgemeinem Tempolimit gelöst werden müsste.
Die alle Jahre wieder aufgekochte Diskussion scheint mir persönlich in die Kategorie "Viel Lärm um nichts" zu fallen: Ein kaum vorhandenes Problem wird da zum Lackmus-Test für gesellschaftliches Wohlverhalten und ein Bekenntnis zu Ökologie, Ökonomie und Sicherheit hochgejazzt. Oder von der Gegenseite zur letzten Bastion individueller Freiheit überhöht, die es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gilt. Beides ist Quatsch. Weshalb aber etwas verboten werden müsste, das sich gerade von selbst erledigt, ist mir schleierhaft. Haben wir keine echten Probleme?"