Mehr Digitalisierung und intelligente Technik gibt es aktuell in keinem Serienauto: Der ET7 ist das erste Modell des chinesischen Newcomers Nio in Deutschland. Doch wie schlägt er sich im Test?
Positiv | Sehr gut verarbeitet und luxuriös ausgestattet, hoher Komfort, komplexe Sicherheitssysteme |
Negativ | Hoher Verbrauch und kleiner, unvariabler Kofferrraum, mäßige Ladeleistung |
Chinesische Autobauer drängen mit Macht auf den deutschen Markt, darunter Konzerne wie BYD, Great Wall und SAIC, die im Reich der Mitte längst etabliert sind – und natürlich der Hersteller des Nio ET7, der zum ersten Test der AUTO ZEITUNG auf den Parkplatz rollt. Das Start-up aus Shanghai lieferte 2022 rund 120.000 Autos aus, die allermeisten davon auf dem Heimatmarkt. In Deutschland hat Nio Ende 2022 mit dem Verkauf der 5,10 Meter langen Elektro-Limousine ET7 begonnen, deren zwei E-Maschinen zusammen 480 kW (653 PS) leisten. Dafür kann man bis zu 95.080 Euro bezahlen. Wer die Batterie mietet, statt das E-Auto als Ganzes zu kaufen, ist ab 69.900 Euro dabei, muss aber entweder 169 (75 kWh) oder 289 Euro (100 kWh) im Monat zahlen.
Der chinesische Hersteller greift also gleich am oberen Ende der Preisskala an. Dafür hat man nicht nur eine geräumige, fünfsitzige und windschlüpfige Karosserie (cW-Wert 0,208) auf die bis zu 21 Zoll großen Räder gestellt, sondern alles an Technik reingepackt, was verfügbar ist. So ist der ET7 das erste Serienauto mit einem Lidar-System (Light detection and ranging oder Light imaging, detection and ranging), das den Fahrbereich vor dem Fahrzeug mit Laserstrahlen abtastet. Mögliche Gefahren werden so auf größere Distanz und auch bei Dunkelheit oder schlechtem Wetter erkannt. Beim Nio ET7 kommen darüber hinaus sieben hochauflösende Kameras, vier spezielle hochsensible Kameras, fünf Radarsysteme und zwölf Ultraschallsensoren zum Einsatz, die einen Hochleistungsrechner von Nvidia mit Infos füttern, der wiederum eine Armada an Assistenzsystemen steuert. Zudem soll teilautonomes Fahren bis 130 km/h mit Spurwechsel (auf Autobahnen) möglich sein – das ist zum Zeitpunkt des Tests aber noch nicht freigeschaltet. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der Nio ET7 (2022) im Fahrbericht (Video):
Der Nio ET7 im Test
Die Sicherheitsassistenten, etwa der für die Fahrspurzentrierung, greifen beim Nio ET7 etwas ruppig ein und lassen sich nur in den Tiefen der Untermenüs des 12,8-Zoll-Mitteldisplays ausschalten. Generell erwies sich die Bedienung der verschiedenen Systeme im Test als sehr komplex und erfordert eine gründliche Einarbeitung. So ist es ohne Registrierung im Auto nicht einmal möglich, den Tageskilometerzähler zurückzusetzen. Und das Einstellen des Lenkrads per Menü und Lenkradtasten gerät zur Doktorarbeit. Um unnötiges Herumirren in den Untermenüs zu vermeiden, setzt Nio auf sogenannte intelligente Systeme – von der serienmäßigen Luftfederung bis zu Sitzheizung und Klimatisierung. Dabei funktionierte im Testwagen aber nicht alles zufriedenstellend: Im automatischen Modus der intelligenten Klimaanlage beschlugen plötzlich Seiten- und Frontscheiben, richtig warm wollte es im Innenraum auch nicht immer werden.
Die intelligente Luftfederung ist sowohl im Komfort- als auch im Sportmodus recht straff abgestimmt – da fehlt es an Spreizung. Mit der Folge, dass selbst auf besseren Straßenbelägen die Karosserie immer etwas in Bewegung ist. Aber auch leichte Stöße im Lenkrad informieren über kleine Unebenheiten. Ansonsten ist die Lenkung des Nio ET7 nicht sehr mitteilsam. Intelligent und lernfähig soll auch der Sprachassistent Nomi (so im eigenen Auto einen Sprachassistenten nachrüsten) sein, dessen Augen einen aus einem kleinen Runddisplay auf dem Armaturenbrett anschauen und einem gelegentlich zuzwinkern. Auf Kommando öffnet er Fenster und Kofferraumklappe, reguliert Sitzheizung sowie Massage oder startet das Navi. Auf Anhieb versteht Nomi im Test aber nicht alles, entschuldigt sich dann und gelobt mit piepsiger Stimme Besserung.
Fahrdynamik und Reichweite
Ansonsten gibt es im Nio ET7 wenig Grund zur Klage: Die Verarbeitung des Exemplars ist ausgezeichnet, auch die Materialien aus Mikrofaser wirken hochwertig. Die angenehme Ruhe beim Fahren wird weder durch Windgeräusche an den rahmenlosen Fenstern noch durch Knistern aus der Karosserie gestört. Die Vordersitze sind bequem, bieten aber wenig Seitenhalt, und die hintere Sitzbank ist hoch montiert, sodass große Menschen mit dem Kopf am Panoramadach anstoßen. Der flache Laderaum fasst magere 363 Liter und lässt sich nur durch eine schmale Durchreiche erweitern.
Dafür darf der Nio zwei Tonnen schwere Anhänger an den serienmäßigen Haken nehmen (Stützlast 100 kg; E-Autos und ihre Anhängelast). Der Allradantrieb sorgt für eine zügige Beschleunigung bis 200 km/h, in schnellen Kurven schiebt der 2,5 Tonnen schwere Wagen über die Vorderräder. Die Rekuperation lässt sich zwar einstellen, reicht aber auch in stärkster Einstellung nicht für den One-Pedal-Modus oder einen nennenswerten Zuwachs der Reichweite. Diese beträgt im Test mit dem 91-kWh-Akku (netto) maximal 401 Kilometer. Die Ladeleistung liegt bei 130 kW am Schnelllader und dauert laut Nio (0 bis 80 Prozent) 45 Minuten. Gut: In fünf Minuten ist ein Batterietausch an der Wechselstation erledigt
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Technische Daten und Messwerte
AUTO ZEITUNG 03/2023 | Nio ET7 100 kWh |
Technik | |
Motor | 2 permanenterregte Synchronmaschinen |
Systemleistung | 480 kW/653 PS |
Systemdrehmoment | 850 Nm |
Batterie | Lithium-Ionen |
Spannung/Kapazität netto (brutto) | 400 V/91 (100) kWh |
Max. Ladeleistung DC | 350 kW |
Getriebe/Antrieb | Konstantübersetzung; Allrad |
Messwerte | |
Leergewicht | 2490 kg |
Beschleunigung 0-100 km/h (Test) | 3,8 s |
Höchstgeschwindigkeit (Werk) | 200 km/h |
Bremsweg aus 100 km/h kalt/warm (Test) | 37,7/35,9 m |
Verbrauch auf 100 km (Test/WLTP) | 29,4/19,0 kWh |
CO2-Ausstoß (Werk) | 123 g/km |
Reichweite (Test/max./WLTP) | 310/401/580 km |
Preise | |
Grundpreis | 69.900 € |
Der sehr gut verarbeitete Nio ET7 beweist: Chinesische Hersteller beherrschen auch höhere Segmente und können mit den etablierten europäischen Anbietern mithalten. Die aufwendige Technik und der hohe Grad der Digitalisierung machen die Bedienung aber sehr komplex. Der Testverbrauch ist zudem recht hoch, die Bremswerte sind mäßig.