Deutsche Autohersteller in China: Fakten
Chinesische Marken erobern den Heimatmarkt zurück
Die deutschen Autobauer sind in eine extreme Abhängigkeit von China geraten. Ungünstig, denn die chinesischen Hersteller erobern ihren Heimatmarkt immer weiter zurück. Was das für VW, BMW & Co. bedeutet, erklärt die AUTO ZEITUNG hier.
(Letztes Update: Verlängerung der Subventionen in China, inhaltlicher Stand: 12.05.2023)
Deutsche Automarken in China
Noch vor wenigen Jahren galten die eigenen Marken unter der chinesischen Bevölkerung als unbeliebt, sie krankten an mangelnder Qualität und schlechtem Image. Wer es sich leisten konnte, fuhr einen Neuwagen eines ausländischen Herstellers, bevorzugt ein Modell aus Deutschland. Es ist eine Tugend der deutschen Autoindustrie, dass sie neue Märkte immer frühzeitig erschließen konnte. Vor allem VW war hier Vorreiter: Bereits 1951 begann die Wolfsburger Marke mit der Montage des Käfer in Südafrika. Auch in Brasilien war VW ab 1953 einer der Pioniere. Und 1984 startete VW als erster ausländischer Hersteller eine Fertigung in China. Vier Jahre später folgte Audi als erste Premiummarke. Heute scheint diese Tugend jedoch zu einem Fluch geworden zu sein: Die deutschen Autokonzerne befinden sich in einer extremen Abhängigkeit von China, dem mittlerweile größten Automarkt der Welt. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Leslie & Cars zeigt Neuheiten auf der Auto Shanghai 2023 im Video:
Rund ein Drittel aller BMW- sowie Mercedes-Neuwagen wurden 2022 in der Volksrepublik verkauft, im VW-Konzern lag der Anteil bei 40,4 Prozent. Und Audi setzte sogar 41,6 Prozent seiner Fahrzeuge in China ab. Bei der Elektromobilität ist die Abhängigkeit noch größer: Von 207.200 ausgelieferten ID.-Modellen der Marke VW gingen 104.700 nach China – satte 50,5 Prozent. Ähnlich stark sind auch die deutschen Autozulieferer in China engagiert, die VW, Mercedes & Co. in den vergangenen Jahren dorthin gefolgt sind. Eine problematische Situation. Und das nicht nur aufgrund des zunehmenden Selbstbewusstseins der chinesischen Staatsführung und ihrer Politik gegenüber Taiwan. Ein geopolitischer Konflikt mit der Volksrepublik würde die deutsche Autoindustrie ruinieren. Und es übt ein weiterer Faktor Druck auf deutsche Hersteller aus: Auf dem weltweit größten Automarkt hat eine Kulturrevolution begonnen.
Machtwechsel auf dem chinesischen Automarkt
Eingeleitet wird sie von einem Machtwechsel mit Symbolkraft: VW ist 2023 erstmals seit den 1980er-Jahren nicht mehr Marktführer in China. Mit BYD wurde die Wolfsburger Marke in den ersten drei Monaten 2023 von einer chinesischen Marke überholt. Diese platzierte im ersten Quartal ganze vier Modelle in den Top Ten, während der VW Lavida, 2019 noch das meistverkaufte Auto in China, auf Platz fünf abstürzte. Innerhalb eines Jahres vergrößerte sich der Anteil der chinesischen Marken von 43 auf 47 Prozent. Ihr Erfolg geht mit dem Boom der Elektromobilität in China einher: 2022 stieg der Anteil der reinen E-Autos am Gesamtmarkt von 13 auf 21 Prozent. Zum Vergleich: In Europa erhöhte sich dieser nur von elf auf 14 Prozent. Entgegen vorheriger Informationen verlängerte China die staatlichen Subventionen für preisgünstige E-Autos bis ins Jahr 2027.
Chinesische Elektro-Marken profitieren
Der ungebrochene Boom führt dazu, dass im ersten Quartal vor allem rein elektrische chinesische Marken profitierten: neben BYD (+67,0 %) auch GAC mit der Elektro-Submarke Aion (+12,6 %), Li Auto (+65,8 %) und die Geely-Tochter Zeekr (+84,9 %). Dagegen hat gerade der einstige Marktführer VW in China Probleme mit seinen Elektro-Mobilen: Der VW ID.4 lag als bester Stromer mit 7951 Verkäufen auf einem desaströsen 147. Rang aller Neuwagen. Doch die Welle der E-Mobilität ist nur ein Grund für die erfolgreiche Aufholjagd der chinesischen Marken. Gerade in den Volumensegmenten haben sie im digitalen Bereich inzwischen mehr zu bieten als die ausländischen Hersteller: Sprachsteuerung, eine umfassende Smartphone-Integration und Social-Media-Vernetzungen gehören oft schon zur Serienausstattung. Das liegt daran, dass die chinesischen Newcomer meist den Tesla-Ansatz wählen, also das Auto vonseiten der Software her denken und entwickeln. Hier haben die ausländischen Konzerne einen großen Rückstand, der erst über Jahre wieder aufholbar ist.
Deutsche Hersteller designen für China
Selbst beim Design gelingt es VW & Co. immer schwerer, die Vorlieben der chinesischen Kundschaft zu treffen. Die chinesischen Marken kopieren nicht mehr, sie haben längst eigene Akzente gefunden, während die ausländischen Hersteller weiter die Designsprachen ihrer Heimatländer sprechen. Nur bei den Premiummarken wie Mercedes und BMW ist erkennbar, dass sie ihre Neuheiten zunehmend auf den Geschmack chinesischer Kundschaft ausrichten. Unter der erstarkten Konkurrenz leidet jedoch nicht nur VW (-21,8 %): Toyota büßte in den ersten drei Monaten mit einem Minus von 22,3 Prozent in derselben Größenordnung ein. Noch schlimmer erwischte es Honda und Nissan, deren Absatz sich fast halbierte. Doch auch chinesische Marken, die nur zögerlich auf E-Autos setzen wie Haval (-46,4 %), Changan (-21,5 %) und Geely (-20,1 %) mussten hohe Rückgänge hinnehmen.
Es wird brenzlig für die ausländischen Konzerne in China: Die chinesischen Newcomer haben nicht nur bei der E-Mobilität ihre Hausaufgaben gemacht. Das ist gefährlich, schließlich war die Volksrepublik fast zwei Jahrzehnte lang der Wachstumsgarant vor allem der deutschen Marken. Aktuell entfallen 30 bis 50 Prozent ihrer weltweiten Verkäufe auf China. Und zugleich ist für BYD, Nio & Co. die Dominanz in ihrem Heimatland ein entscheidender erster Schritt, um auch ausländische Märkte zu erobern.