Tempolimit (Deutschland): Hier gibts alle wichtigen Fakten!
Mehrheit der Deutschen laut Studie für Tempolimit
- Allgemeines Tempolimit kontrovers diskutiert
- Ampelkoalition: Bundesregierung streitet um Tempolimit
- Umfragen: So positionieren sich Autofahrende für/gegen das Tempolimit
- Tempolimit: Studien zu Auswirkungen auf die Umwelt
- Erhöht ein generelles Tempolimit die Sicherheit? Studien & Fakten zum Thema
- Studie: Ökonomische Auswirkungen des Tempolimits
- Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR) für Tempolimit
Obwohl von Seiten der Bundesregierung eindeutig abgelehnt, steht ein allgemeines Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen immer wieder im Diskussionsmittelpunkt. Welche Auswirkungen es auf die Umwelt und die Sicherheit im Straßenverkehr haben könnte, fasst die AUTO ZEITUNG hier zusammen.
Allgemeines Tempolimit kontrovers diskutiert
Die politischen und gesellschaftlichen Kontroversen um ein mögliches Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen gleicht dem US-Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" mit Bill Murray: Kaum ist die eine, von einer Partei initiierte Diskussion ad acta gelegt, ploppt die nächste Studie oder Forderung einer Nichtregierungs-Organisation auf. Dabei werden viele Argumente eingebracht – mal stimmig, mal polemisch. Damit Autofahrer:innen den Überblick behalten, wie der aktuelle Stand ist, wie sich die Politik zu einem möglichen allgemeinen Tempolimit positioniert und wie sich die Studienlage zu Vor- und Nachteilen einer Geschwindigkeitsbeschränkung darstellt, aktualisiert die AUTO ZEITUNG diesen Übersichtsartikel regelmäßig und hat das Thema außerdem in einem Kommentar eingeordnet.
Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Darum haben deutsche Autobahnen kein generelles Tempolimit (Video):
Ampelkoalition: Bundesregierung streitet um Tempolimit
SPD, Grüne und FDP haben sich im November 2021 in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, weder ein generelles Tempolimit auf Autobahnen (maximal 130 km/h) und Landstraßen (80 km/h), noch flächendeckend 30 km/h in Städten einzuführen. Man kann das Aus für ein generelles Tempolimit als Zugeständnis an die FDP werten. Denn noch vor der Bundestagswahl 2021 hatten die Grünen bekräftigt, im Falle einer Regierungsbeteiligung möglichst schnell ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen durchsetzen zu wollen.
Mit einem Vorstoß zum Tempolimit auf deutschen Autobahnen hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Anfang Mai 2023 eine erneute Debatte zu dem Thema entfacht. Die Umweltministerin hatte zuvor im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur mehr Anstrengungen für Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr gefordert und dazu ein Tempolimit auf Autobahnen ins Spiel gebracht. Ein Tempolimit könne einen wesentlichen Beitrag für den Klimaschutz leisten, so Lemke. Tatsächlich gilt der Verkehr als ein Sorgenkind, wenn es um Klimaziele geht: In dem Sektor wurden gesetzliche Vorgaben zur CO2-Einsparung für das Jahr 2022 verfehlt. Die Emissionen stiegen im Vergleich zum Vorjahr leicht an.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) rückt auch im März 2024 nicht von seiner Position ab und sprach sich erneut gegen ein generelles Tempolimit aus. Es fehle an gesellschaftlicher Akzeptanz für diese Regelung. Auch eine mögliche Einsparung von Treibhausgasen überzeuge ihn nicht: "Da geistern so viele Zahlen rum. Wichtig ist doch, dass nur Maßnahmen, die akzeptiert werden, auch Erfolg haben können."
Von der AUTO ZEITUNG getestet und empfohlen:
Umfragen: So positionieren sich Autofahrende für/gegen das Tempolimit
Der ADAC befragt seine Mitglieder regelmäßig nach deren Meinung zum Tempolimit und kam 2023 zu einem recht eindeutigen Ergebnis. Demnach befürworten 54 Prozent der Befragten die Einführung einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen, während sie 41 Prozent ablehnen. Laut den Befragungen der Organisation war 2020 der Wendepunkt erreicht, an dem das Tempolimit mehr Zustimmung als Ablehnung erfahren hatte. Noch 2014 sprachen sich 65 Prozent gegen und nur 35 Prozent für die Einführung aus. Der ADAC und sein Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand beziehen keine eindeutige Position mehr zum Thema, plädieren jedoch für eine Versachlichung der Debatte sowie tiefergehende wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung der Maßnahme.
Zu einem ähnlichen, aber noch eindeutigeren Ergebnis kam 2024 eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. Demnach befürworten rund 63 Prozent der 6107 Befragten ein generelles Tempolimit von 130 km/h. Auch die Mehrheit der Befragten, die selbst Auto fahren, hätten sich für das Tempolimit ausgesprochen. Die Zustimmung ist laut der fortlaufenden Panel-Befragung seit 2019 kontinuierlich gestiegen, allein zwischen 2019 und 2022 um sieben Prozent. Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts von April 2021 bestätigt das Ergebnis mit 64 Prozent , die sich "auf jeden Fall" oder "eher" für ein Tempolimit von 130 km/h positionieren.
Zu einem anderen Ergebnis kam eine Studie, die der Automobilclub Mobil in Deutschland in Auftrag gegeben hat. Diese zeigte ebenfalls im Jahre 2021, dass 52 Prozent der befragten Autofahrer:innen ein Tempolimit von 130 km/h ablehne.
Tempolimit: Studien zu Auswirkungen auf die Umwelt
Laut Berechnungen des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2023 würde ein Tempolimit auf Autobahnen mehr Schadstoffausstoß vermeiden als vormalig gedacht. So könne eine Beschränkung auf 120 km/h die Treibhausgasemission des deutschen Straßenverkehrs um 4,2 Prozent beziehungweise 6,7 Mio. t CO2-Äquivalente jährlich senken. In diesen Berechnungen, die sich auf das Jahr 2018 beziehen, ist allerdings nicht nur die direkte Schadstoffeinsparung auf der Autobahn einbezogen. Die Behörde berücksichtigte auch Routenwahleffekte, also die voraussichtlich anders gewählten Routen über kürzere Strecken, und die plausiblen Umstiege auf öffentliche Verkehrsmittel.
Apropos Ersparnis: Von 2012 bis 2016 ging der durchschnittliche CO2-Ausstoß aller Neuwagen auf allen Straßen um 10,2 Prozent zurück. Wegen der Abkehr vom Diesel steigt er seitdem wieder. Bei Stickoxiden würde ein Tempolimit auf Autobahnen nicht zu einer messbaren Reduktion führen: Durch die starke Verwirbelung bei hohem Tempo wandelt sich das reaktionswillige NOX sowieso viel schneller in ungefährlichen Stickstoff um. Befürworter:innen eines Tempolimits versprechen sich, dass dann kleinere und schwächer motorisierte Neuwagen gekauft würden. Dem stehen die Erfahrungen aus Österreich und der Schweiz entgegen, wo seit Jahren streng überwachte Tempolimits gelten – trotzdem werden dort häufiger leistungsstarke Modelle gekauft.
Erhöht ein generelles Tempolimit die Sicherheit? Studien & Fakten zum Thema
Was würde ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Deutschlands Autobahnen für die Sicherheit bedeuten? Zunächst muss man berücksichtigen, dass Deutschland zwar auf der ganzen Welt für seine unbeschränkten Autobahnen bekannt ist, dies aber nur noch für knapp die Hälfte aller Strecken gilt: Während rund ein Drittel aller Autobahnkilometer bereits beschränkt sind, müssen auch noch die Baustellen auf Strecken ohne Tempolimit abgezogen werden.
Zudem ist die Autobahn bereits ohne Tempolimit die sicherste Straßenart in Deutschland: 2022 ereigneten sich laut Statistischem Bundesamt 70 Prozent alle Unfälle mit Personenschaden innerorts, 24 Prozent auf Landstraßen und nur sechs Prozent auf Autobahnen. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Zahl der Verkehrstoten betrachtet. 57 Prozent kommen auf der Landstraße ums Leben und elf Prozent auf der Autobahn. Allerdings gehen 39 Prozent dieser auf der Autobahn Verstorbenen auf zu schnelles Fahren zurück.
Generell hat sich die Anzahl der Verkehrstoten in Deutschland in den letzten Jahrzehnten jedoch stark reduziert – 1993 waren es noch mehr als dreieinhalb Mal so viele wie 2023. Die Ursachen: bessere Straßen (vor allem im Osten) und technischer Fortschritt in Sachen Sicherheitstechnik bei Neuwagen. Dank Airbags, soliderer Crashstrukturen, ESP und zahlreicher Assistenten sind unsere Autos heute sicherer als je zuvor. Wachsende Gefahren entstehen dagegen in der zunehmenden Ablenkung von Verkehrsteilnehmenden durch Smartphone & Co. Deren oft tödliche Auswirkungen betreffen aber den Verkehr in den Städten und auf den Landstraßen deutlich schwerer als auf den Autobahnen. Ein generelles Tempolimit würde daran nichts ändern.Dass ein generelles Tempolimit auf Autobahnen nicht unbedingt mehr Sicherheit bedeutet, zeigt auch der internationale Vergleich: So gibt es in den meisten Ländern mit Tempolimits mehr Verkehrstote pro Millionen Einwohner:innen als in Deutschland – sogar in den Niederlanden, wo die Neuwagendichte ähnlich hoch ist wie in Deutschland. Unfallforscher:innen erklären das mit der erhöhten Monotonie auf Autobahnen mit niedrigem Tempolimit. Hier erreichen Menschen ihren Leistungszenit, wenn sie weder über- noch unterfordert sind. Mit weniger Überholvorgängen und ohne deutliche Tempounterschiede zwischen den Fahrspuren wären die eingelullten Fahrer:innen im Ernstfall nicht reaktionsbereit. Zudem würde die Gefahr von Müdigkeit am Steuer deutlich erhöht. Und die dadurch ausgelösten Unfälle enden oft tödlich.
Studie: Ökonomische Auswirkungen des Tempolimits
Ein Tempolimit von 130 km/h auf Deutschlands Autobahnen würde nach einer Studie neben dem Klimaschutzeffekt auch einen erheblichen wirtschaftlichen Nutzen haben. Eine internationale Forschergruppe ermittelte sogenannte Wohlfahrtsgewinne von mindestens 950 Mio. Euro pro Jahr, also ein gesteigerter Nutzen für Einzelne beziehungsweise die Gesellschaft. Besonders der eingesparte Treibstoff, weniger Unfälle, geringere Lieferkettenkosten und Einsparungen bei der Infrastruktur seien dafür neben dem Klimaschutzeffekt relevant, heißt es in der Ende April 2021 bekannt gewordenen Studie, die im Fachjournal "Ecological Economics" veröffentlicht wurde und über die "Spiegel online" berichtete. Auch ohne Emissionseinsparungen ergebe sich ein Wohlfahrtsgewinn von 660 Mio. Euro jährlich.
Die Expert:innen bewerten das Tempolimit daher als Win-win-Situation: Gut fürs Klima und mit erheblichem Gewinn für die Gesellschaft. Deutschland ist nach Darstellung der Autor:innen der Studie nach wie vor das einzige große Land der Welt, in dem es keine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gibt. Eines der Hauptargumente dafür sei, dass niedrigere Geschwindigkeiten Kosten für die Reisezeit verursachten, die nicht durch Vorteile wie eine Verringerung der Treibhausgasemissionen aufgewogen würden. Aus Sicht der Autor:innen sind die vorgebrachten Argumente irreführend.
Laut Prof. Udo Becker vom Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr an der TU Dresden zeigen die Ergebnisse der Studie, dass ein Tempolimit volkswirtschaftlich sehr vorteilhaft sei. Autofahrer:innen würden durch ein Tempolimit Kraftstoff im Wert von 766 Mio. Euro pro Jahr sparen. In der Studie seien alle wesentlichen Wirkungen einbezogen worden. "Um die Klimaprobleme ebenso wie die Flächenverbrauchs-, Abgas- und Lärmprobleme des Verkehrs zu reduzieren, ist ein Tempolimit auf Bundesautobahnen damit ein volkswirtschaftlich sinnvolles Vorgehen", sagte Becker. Prof. Felix Creutzig vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin nannte die Annahmen und Methodik der Studie plausibel. Die Annahmen seien konservativ getroffen, insbesondere bei den sozialen Kosten der CO2-Emissionen.
Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR) für Tempolimit
Mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) hat die Forderung nach einem Tempolimit von 130 km/h auf Deutschlands Autobahn im Mai 2020 einen neuen Fürsprecher gewonnen, wie Spiegel Online berichtet. Der DVR hat sich die Senkung der Anzahl von Schwerverletzten und Toten im Straßenverkehr zur Hauptaufgabe gemacht und beschloss deswegen bereits 2010 die "Vision Zero" von null Verkehrstoten. Nach anfänglichen Anfeindungen steht diese heute im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung. Nun sieht der DVR auch in einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung eine kostengünstige und schnell umsetzbare Option, um die Sicherheit im Straßenverkehr weiter zu erhöhen.
Vor allem auf den deutschen Autobahnen, wo derzeit kein Tempolimit herrscht, würde dies dem DVR zufolge zu kürzeren Anhaltewegen und weniger schweren Unfällen führen. In besonderen Fällen wolle der DVR aber auf geeigneten Streckenabschnitten ein höheres Tempolimit als das generell angepeilte Tempolimit von 130 km/h erlauben, so der Spiegel weiter. Die Stimme des DVR hat in der Diskussion um ein Tempolimit auf der deutschen Autobahn durchaus politisches Gewicht, da dort zahlreiche Organisationen, die mit dem Thema Verkehrssicherheit zu tun haben – etwa der ADAC und der Verband der Automobilindustrie – Mitglied sind.
Mit dpa