Für die Retro-Testfahrt begeben wir uns ins gut gefüllte AUTO ZEITUNG-Archiv: Hier finden wir Fahrberichte faszinierender Autos. Dieses Mal: der Mercedes CLS 55 AMG mit dem 476 PS (350 kW) starken 5,5-Liter-Kompressor-V8.
Das Erfinden immer neuer Nischenmodelle ist in Stuttgart-Untertürkheim groß in Mode. Aktuelles Beispiel ist die viertürige Coupé-Limousine Mercedes CLS, die mit ihrer geschwungenen Dachlinie und den fließenden Formen das Lager der Mercedes-Fans spaltet und auf hemmungslose Begeisterung wie konservative Ablehnung gleichermaßen stößt. Jetzt heizt man im Schwabenländle den Philosophie-Streit weiter an und verheiratet den nahezu fünf Meter langen CLS mit dem bärenstarken Kompressor-V8 der Konzerntochter AMG, die auch gleich für den passenden Sportdress sorgt: Beau trifft Bodybuilder. Hallo Mercedes CLS 55 AMG.
Das Baukastensystem hat Tradition: In 14 verschiedenen Modellen und Baureihen versieht der potente Achtzylinder von AMG mal mit, mal ohne Kompressor inzwischen seinen Dienst, vom eher zierlichen SLK bis hin zum wuchtigen Luxus-Coupé CL 55 oder dem Supersportler McLaren SLR. Selbst im Gelände-Klotz G-Modell sorgt der 5,4 Liter große Dreiventiler für richtig Schub. Dabei handelt es sich bei diesem Motor speziell in der aufgeladenen Version des Mercedes CLS 55 AMG um einen technisch hochinteressanten Leckerbissen. So besitzt der aus Aluminium gefertigte Kompressor Verdichterschrauben, die mit dem Raumfahrt-Werkstoff Teflon beschichtet sind. Sie rotieren bei voller Belastung mit mehr als 23000 Umdrehungen pro Minute, schaufeln dabei stündlich 1850 Kilogramm Luft in die Brennräume und erzielen mit bis zu 0,8 bar einen gut 30 Prozent höheren Ladedruck als konventionelle mechanische Lader. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Der Mercedes-AMG C63 S E-Performance (2022) im Fahrbericht (Video):
Retro-Testfahrt mit dem Mercedes CLS 55 AMG
Wann der Hightech-Blasebalg im Mercedes CLS 55 AMG zum Einsatz kommt, entscheidet ein besonders reaktionsschnelles Steuergerät, das in Sekundenbruchteilen über eine elektromagnetische Kupplung den direkten Antrieb durch die Kurbelwelle herstellt. Größter Vorteil jedoch: Der Kompressor findet inklusive Ladeluftkühler zwischen den beiden Zylinderbänken des V8 Platz. Deshalb kann der aufgeladene AMG-Motor ganz normal während der Serienfertigung in den CLS implantiert werden. Genug der Theorie. Per Knopfdruck erwacht der Kurzhuber zum Leben, und schon dabei entwickelt er eine grollende Geräuschkulisse, die Ehrfurcht einflößt. Kleinste Gaspedalbewegungen genügen, um die Drehzahl blitzartig emporschnellen zu lassen. Jetzt hat man die Wahl: Entweder man gleitet mit markant grummelndem Motor elegant und leichtfüßig von dannen, oder aber man lässt den rund 1,9 Tonnen schweren CLS AMG 55 mit Donnerhall in weniger als fünf Sekunden von null auf 100 km/h stürmen.
Praktisch ab Leerlaufdrehzahl steht Dampf im Überfluss zur Verfügung; ab 4000 Touren legt der Kompressor-V8 noch einmal ordentlich zu. Eine eindrucksvolle Kraftdemonstration, die bei 6100 Umdrehungen in den Maximalwert von 476 PS (350 kW) mündet. Erst bei 250 km/h findet die Beschleunigungs-Orgie elektronisch begrenzt ein vorzeitiges Ende. Wer unbedingt möchte, kann dieses Tempolimit bei AMG Individual übrigens auf 300 km/h anheben lassen. Eine Option, die ausgerechnet von der Kundschaft aus den streng geschwindigkeitslimitierten USA bevorzugt gewählt wird. Eine adaptive Fünfgang-Automatik, die sich über ausreichend große Tasten auf der Rückseite des formschönen Lederlenkrads auch manuell bedienen lässt, übernimmt die Kraftübertragung. Wer das so genannte M-Programm aktiviert, muss sogar alle Schaltvorgänge selbst einleiten dann reagiert die Getriebesteuerung nicht mehr auf Kickdown-Befehle des Gaspedals und schaltet bei Maximaldrehzahl auch nicht automatisch hoch.
Anno 2004 ist der CLS das wohl schnellste Viertürer-Coupé
Dem tollen Temperament werden die standfesten Bremsen gerecht: Die 360 Millimeter großen, innenbelüfteten und gelochten vorderen Scheiben stammen mitsamt des Achtkolben-Festsattels (!) aus dem ebenso potenten SL 55 AMG. Einen beeindruckenden Kompromiss aus souveränem Federungskomfort und agilem Fahrverhalten findet die semiaktive Luftfederung Airmatic DC, die AMG an die besonderen Anforderungen des CLS angepasst hat. Selbst im Sportmodus, der Karosseriebewegungen auf ein Mindestmaß reduziert, nehmen Passagier:innen die raue Wirklichkeit schlechter Straßenbeläge kaum zur Kenntnis. Dabei ruhen sie bequem auf mit hochwertigem Nappaleder bezogenen Sportsitzen, die in schnellen Kurven guten Seitenhalt bieten. Im Januar kommenden Jahres rollen die ersten CLS 55 AMG zur Kundschaft, die hoffentlich noch rechtzeitig eine Anspar-Abschreibung gebildet hat. Denn das Vergnügen, das wohl schnellste viertürige Coupé der Welt zu bewegen, ist kein billiges: Die Preisliste beginnt bei über 96 000 Euro.
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Technische Daten des Mercedes CLS 55 AMG
AUTO ZEITUNG 2004 | Mercedes CLS 55 AMG |
Technische Daten | |
Motor | 5,4-Liter-Achtzylinder-Kompressor-Benziner |
Getriebe/Antrieb | 5-Stufen-Automatik; Hinterrad |
Leistung | 350 kW/476 PS |
Max. Drehmoment | 700 Nm |
Karosserie | |
Außenmaße (L/B/H) | 4910/1873/1390 mm |
Leergewicht/Zuladung | 1920/465 kg |
Kofferraumvolumen | 505 l |
Fahrleistungen (Werksangaben) | |
Beschleunigung (0-100 km/h) | 4,7 s |
Höchstgeschwindigkeit | 250 km/h |
Verbrauch auf 100 km | 13.6 l SP |
Kaufinformationen | |
Basispreis (Testwagen) | 96.164 € |
Marktstart | 2004 |