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Geht auch ganz einfach:

Mercedes 450 SEL 6.9/Opel Diplomat V8: Oberklasse-Duell

Szenen einer Nähe mit Mercedes und Opel

Christian Steiger Freier Mitarbeiter
Inhalt
  1. Vergleich: Das Duell Mercedes 450 SEL 6.9 und Opel Diplomat V8 bahnt sich in den 60ern an
  2. Die Mercedes S-Klasse W116 wird beim Debüt gefeiert
  3. Der Opel Diplomat V8 hat mehr Soul und Charisma
  4. Technische Daten von Mercedes 450 SEL 6.9 und Opel Diplomat V8

Mit den Drehmoment-Titanen Mercedes 450 SEL 6.9 und Opel Diplomat V8 geht in den Siebzigern eine lange Oberklasse-Rivalität zu Ende. Die Spurensuche zeigt uns heute, wie nah dran Opel mal am Stern war.

Anarchie ist machbar in diesen Sechzigern, das gilt nicht nur für die zornige Jugend und ihre Zweifel an der Obrigkeit, sondern auch für die Ständegesellschaft auf der linken Spur. Auch dort spielt der Ungehorsam eine erstaunliche Rolle, wie die Geschichte der großen Achtzylinder Opel Diplomat V8 und Mercedes 450 SEL 6.9 zeigt. Denn es sind nicht die Krawattenmenschen im Vorstand, denen die beiden Marken ihre Hochleistungs-Limousinen verdanken, sondern zwei Entwickler, denen der Segen von oben ziemlich egal ist, wenn es um ihre Herzensautos geht.

Das Wettrüsten zwischen Rüsselsheim und Sindelfingen beginnt 1962, als sich der Opel-Chefingenieur Hans Mersheimer einen Oldsmobile-V8 in sein Rekord P 2 Coupé einbauen lässt. Dem kugelköpfigen Hornbrillen-Träger ist es schon deshalb ein diebisches Vergnügen, die Mercedes- und Porsche-Fahrenden des Frankfurter Umlands zu ärgern, weil die Marke Opel noch immer als onkelhaftes Langweiler-Label gilt. Das muss sich ändern, meint der schnelle Ingenieur, schließlich purzeln die passenden Motoren in millionenfacher Auflage von den Fließbändern des GM-Konzerns. Speziell der Small-Block-V8, mit dem Chevrolet seit 1954 den amerikanischen Markt in der Mittelklasse beherrscht, ist ein Musterbeispiel kostengünstiger Kraftentfaltung. Und so dauert es auch nicht mehr lange, bis Opel das Establishment im Spätsommer 1964 mit dem Diplomat V8 aufmischt.
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Der Mercedes-AMG S 63 E Performance (2024) im Fahrbericht (Video):

 
 

Vergleich: Das Duell Mercedes 450 SEL 6.9 und Opel Diplomat V8 bahnt sich in den 60ern an

Für das Entwicklerteam beim Daimler ist der Hubraum-Riese aus Rüsselsheim schon deshalb eine Demütigung, weil er mit einer Spitze von 200 km/h selbst der Königs-Heckflosse 300 SE (W112) davonfährt. Und so wird es noch etwas dauern, bis das schwäbische Imperium mit einer achtzylindrigen S-Klasse zurückschlägt. Den passenden Motor gibt es zwar schon seit 1963, doch so einfach wie bei Opel ist das Upgrade nicht. Der 6,3-l-V8 aus dem großen 600er kostet in der Herstellung ein Vermögen. Zudem gilt es für den Vorstand als gesetzt, dass der 400-kg-Klotz nicht in den Motorraum der S-Klasse W108/109 passt.

Das ändert sich erst, als der Versuchsingenieur Erich Waxenberger unter Zuhilfenahme eines verunfallten Mercedes 300 SE Coupés das Gegenteil beweist. Für die Daimler-Revisor:innen gibt es das Auto offiziell gar nicht, doch dann fährt der Entwickler eines Abends am Büro von Technikvorstand Rudolf Uhlenhaut vorbei. Der hört sofort, dass da kein milder Sechszylinder summt – und macht nach einer schnellen Testfahrt den Weg frei für die legendäre, 220 km/h schnelle Sportlimousine 300 SEL 6.3 (W109) von 1968. Fortan bleibt es spannend zwischen Rüsselsheim und Stuttgart, obwohl es im Kampf der Hubraum-Riesen nicht um die großen Stückzahlen geht. Bei Opel bleiben sie stets hinter den Erwartungen zurück, weil der Opel Diplomat V8 zu wuchtig für die Geschmacksnerven distinguierter Bosse wirkt. "Jetzt kennen wir wenigstens den Unterschied zwischen groß und zu groß", pflegt Opel-Entwickler Mersheimer zu seufzen, wobei es in Rüsselsheim keinen Zweifel daran gibt, dass die Marke schon fürs Image ein Topmodell braucht.

 

Die Mercedes S-Klasse W116 wird beim Debüt gefeiert

ei Mercedes dagegen regnet es Komplimente, als im Herbst 1972 die S-Klasse vom Typ W116 erscheint, die größer und prächtiger ausfällt als alle anderen Oberklasse-Limousinen. Keine ist so lang und breit wie der Neue aus Stuttgart, auch der viel geschmähte Diplomat V8 der zweiten Serie nicht. Und kein Mitbewerber kann es aufnehmen mit den 286 PS (210 kW) und 550 Nm Drehmoment, die den Mercedes 450 SEL 6.9 ab 1975 zum vitalsten Zweitonner der Welt machen. Selbst die kritischsten Tester:innen der Siebziger sind entzückt, sobald sie die erste Probefahrt im leisen Riesen hinter sich haben. "Was gemeinhin schon teuer war, wird plötzlich gewöhnlich. Was als schnell gilt, erscheint aus dem Innenraum des Super-Mercedes erstaunlich behäbig", schreibt Günther Wiechmann 1975 in der AUTO ZEITUNG. Tatsächlich braucht es damals schon einen Porsche 911 S, um dem 6.9er auf der linken Spur folgen zu können, doch anders als die Sportwagen jener Jahre reißt der Mercedes 450 SEL 6.9 die schnellen Langstrecken im Säuselton ab und flauscht mit seiner hydropneumatischen Federung auch über den welligsten Asphalt hinweg.

Der Mercedes 450 SEL 6.9 fahrend von schräg vorne
Foto: Hardy Mutschler

Heute ist es nicht nur die stille Macht des Drehmoments, mit der er die Person am Steuer beeindruckt. Fast noch mehr ist es die Massivität seiner Verarbeitung und der verwendeten Materialien, die ihn wie ein Ding aus einer anderen und besseren Welt dastehen lassen. Ob es die Schwere des Handschuhkasten-Deckels ist oder die Dicke der Türverkleidung, der Querschnitt des Schwellers oder der Durchmesser der A-Säule, alles am Wagen 116 wirkt so überdimensioniert, als wolle er auch noch die Enkel des:der Erstbesitzenden zufriedenstellen. Der Generationen-Übergang fiel schon deshalb nicht schwer, weil sich hinter dem autoritären Design des W116 ein durch und durch funktionales Auto verbirgt. Für Romantiker:innen wirkt es ein paar Nuancen zu ernsthaft mit dem großen Lenkrad, dem Einheits-Automatikhebel und den abwaschbaren Kunststoffen, die einem auch in einem 240 D Taxi der Siebziger begegnen.

 

Der Opel Diplomat V8 hat mehr Soul und Charisma

Der Opel Diplomat V8 fahrend von schräg vorne
Foto: Hardy Mutschler

Womöglich gibt es auch Gutverdienende, die sich ihren Chefwagen etwas nahbarer wünschen und nicht so technokratisch kühl wie die Oberklasse aus Stuttgart. Der Preis spielt sicher ebenfalls eine Rolle, weil ein neuer Opel Diplomat V8 nur 31.000 Mark kostet, also nicht einmal halb so viel wie ein Mercedes 450 SEL 6.9. Und wenn es nicht nur um Perfektion geht, sondern auch um Charisma, dann ist der Opel alles andere als ein Auto der zweiten Wahl. Der Diplomat ist nichts weniger als ein kleiner Cadillac. Die typischen Hochkant-Scheinwerfer erinnern ebenso an den Designstil der GM-Edelmarke wie die betonten C-Säulen, das Vinyldach und die Pfeilform des Bugs. Auch die breiten Velourssessel des großen Opel können es mit dem amerikanischen Vorbild aufnehmen, während die harten Kunststoffe und das viele Plastikholz im Innenraum zeigen, dass die deutsche Dependance damals doch nicht ganz oben in der GM-Hierarchie angesiedelt ist.

Den 5,4 l großen Small-Block-V8, der melodisch im Leerlauf summt, stört das kein bisschen, und auch die geschliffenen Manieren der Dreistufen-Hydramatic stehen höchsten Ansprüchen nicht im Weg. Ganz im Gegenteil: Deren Drehmoment-Verstärkung beim Anfahren fällt wuchtig aus, weshalb der Opel Diplomat V8 im Stadtverkehr kaum weniger kraftvoll zubeißt als der Mercedes 450 SEL 6.9. Auch auf der Landstraße hält er leise grollend mit, immerhin misst die AUTO ZEITUNG 1976 nur neun Sekunden für die Beschleunigung von null auf 100. Und erst bei Tempo 140 fällt er auf der Autobahn ab, wenn der vorausfahrende Mercedes immer schneller wird, um dann am Horizont zu verschwinden. Tatsächlich ist aber auch der Diplomat mit einer gemessenen Spitze von 202 km/h kein langsames Auto.

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Sicher, in schnellen und welligen Kurven kann auch die aufwendige DeDion-Hinterachse nicht verhindern, dass sein Heck versetzt, was der S-Klasse natürlich nicht passiert. Auch die indirekte Lenkung des Opel dimmt den sportlichen Ehrgeiz weg, dafür belohnt er das Kurbeln mit einem phänomenal kleinen Wendekreis. Und an Abrollkomfort fehlt es nicht, weil die Fahrwerksabstimmung des Diplomat V8 ganz und gar europäisch ausfällt. Mitunter treffen sich die Chefentwickler von Opel und Mercedes in den Sechzigern übrigens zu Vergleichsfahrten, wie "Der Spiegel" enthüllt. Verbrüderung ist also machbar – vielleicht deshalb gehören Opel Diplomat V8 und Mercedes 450 SEL 6.9 heute zu den reizvollsten Autos, die jemals einen Blitz und einen Stern am Bug trugen.

 

Technische Daten von Mercedes 450 SEL 6.9 und Opel Diplomat V8

Classic Cars 06/2024 Mercedes 450 SEL 6.9 Opel Diplomat V8
Zylinder/Ventile pro Zylin. 8/2 8/2
Hubraum 6834 cm³ 5354 cm³
Leistung 210 kW/286 PS 4250/min 169 kW/230 PS 4700/min
Max. Gesamtdrehmoment bei 500 Nm 3000/min 427 Nm 3100/min
Getriebe/Antrieb 3-Stufen-Automatik/Hinterrad 3-Stufen-Automatik/Hinterrad
L/B/H 5060/1870/1410 mm 4920/1852/1450 mm
Leergewicht 2000 kg 1690 kg
Bauzeit 1975-1980 1969-1977
Stückzahl 7380 11.108
Beschleunigung
null auf 100 km/h
8 s 9 s
Höchstgeschwindigkeit 234 km/h 202 km/h
Verbrauch auf 100 km 20,1 l S 18,1 l S
Grundpreis (Jahr) 69.000 Mark (1975) 31.330 Mark (1976)

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