Edsel Villager: Classic Cars
Der Space Cowboy Edsel Villager
Der Edsel Villager ist ein rarer US-Kombi der späten 50er mit gigantischem Raumangebot und abgefahrenem Design. Classic Cars-Fahrbericht.
Als Frank, Hawk, Tank und Jerry – die vier besten Piloten der US Air Force – 1958 im Film "Space Cowboys" für einen Raumflug ausgewählt werden, kommt alles anders als geplant. Kurzerhand werden die Vier durch die Schimpansendame Mary-Ann ersetzt, und aus dem geplanten Flug ins All wird nichts. Doch als 40 Jahre später ein russischer Satellit auf die Erde zu stürzen droht, erhalten die mittlerweile längst pensionierten Helden – gespielt von Clint Eastwood, Donald Sutherland, Tommy Lee Jones und James Garner – ihre zweite Chance. Sie sind die Einzigen, die sich noch mit der antiquierten Technik des Satelliten auskennen, welche Russland in den 50ern bei den USA ausspioniert und geklaut hatte.
Ähnlich wie mit der Handlung der amerikanischen Tragikomödie verhält es sich mit dem Edsel Villager. Auch seine Geschichte beginnt in jener Zeit, und jemanden zu finden, der sich wirklich mit ihm auskennt, ist heute schwierig. Gerade mal eine Handvoll Edsel-Automobile sind Besitzer Daniel Erdbrink hierzulande bekannt. Warum dem so ist, erklärt die Firmenhistorie. In den 50er-Jahren sah sich Ford mit der Notwendigkeit konfrontiert, zwischen den preisgünstigen Ford-Fahrzeugen und den gehobenen Mercury-Modellen eine Mittelklasse-Reihe zu etablieren. Bis 300.000 Fahrzeuge der neuen Marke sollten jährlich verkauft werden, und so spendierte man dem neuen Wagen eine außergewöhnliche Formensprache. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Edsel Villager: Classic Cars
Tatsächlich schuf Designer Roy Brown ein Auto, das sich sehr deutlich von der Masse abhob – aber aus Sicht von Presse und Kundschaft nicht unbedingt hübsch geworden war. Bereits im Juli 1957 startete die Produktion mit mehreren Typen: die zwei- beziehungsweise viertürigen Hardtops beziehungsweise Sedans Citation, Pacer (beide auch als Cabrio), Ranger und Corsair sowie die Kombis Bermuda, Roundup und Villager. Dass die Namen Corsair und Pacer von Flugzeugen stammten, passte in den Geist der damaligen Zeit, die einerseits von technologischer Aufbruchsstimmung, andererseits von beginnender wirtschaftlicher Rezession geprägt war. Entsprechend schwer taten sich die Edsel-Modelle von Beginn an.
Da half es wenig, dass kurz nach der offiziellen Markteinführung am 4. September 1957 eine große "Edsel-Show" über den Fernsehsender CBS flimmerte, in der die Show-Größen Frank Sinatra, Bing Crosby und Louis Armstrong die Modelle der neuen Marke Edsel promoteten, deren Namensgebung auf den bereits 1943 verstorbenen Edsel Ford zurückging. Neben der rückläufigen Dynamik des US-Automobilmarkts war aber vor allem das gewöhnungsbedürftige Design der Edsel-Fahrzeuge für den mangelnden Erfolg verantwortlich. So zierte die Frontpartie ein Kühlergrill, der nicht selten als Toilettensitz verspottet wurde. Echte Cowboys und Cowgirls erkannten darin hingegen sofort das sogenannte Kummet als Teil eines Pferdegeschirrs wieder, und nicht zuletzt bediente sich der Edsel Citation des Namens eines weltberühmten US-Rennpferds der 50er-Jahre.
Qualitätsmängel wurden zum Problem
Neben polarisierender Formensprache und rezessiver Wirtschaftsentwicklung machten obendrein Qualitätsmängel der Marke Edsel zu schaffen, denn die Autos wurden sozusagen nebenher auf den Ford-Produktionslinien montiert. So wurde der Name Edsel denn auch kräftig verballhornt und mit "Every Day Something Else Leaks" ("Jeden Tag ist etwas anderes undicht") übersetzt. Aus diesen Gründen wurden für das Modelljahr 1959 eigene Produktionslinien geschaffen und das Design etwas entschärft. Außerdem hatte man die Modellpalette auf die drei Modelle Ranger, Corsair und Villager zusammengestrichen. Doch der Erfolg blieb in den Folgejahren trotz weiterer Änderungen am Design und optimierter Produktqualität aus. Nur 110.847 Fahrzeuge wurden insgesamt gefertigt, bevor Ende 1959 das Aus für die glücklose Marke kam. Dabei hatte Edsel technisch viel zu bieten, wie wir am Beispiel des Villager lernen.
So etwa eine aufleuchtende Tachometeranzeige, wenn ein voreingestelltes Geschwindigkeitslimit erreicht wird, eine Sperre der Kraftübertragung in Parkstellung, sobald die Zündung ausgeschaltet wird, oder etwa das Kühlsystem, das mit drei Thermostaten für Zylinderkopf, Zylinderblock und Kühler die Warmlaufzeit des 5916 Kubikzentimeter großen und 303 PS (223 kW) starken V8 im Sinne optimierten Kraftstoffverbrauchs und verbesserter Heizungsfunktion reduzierte. Der wahre Clou des Villager ist jedoch sein Raumangebot. Mit optionaler zweiter Fondsitzbank finden bei Bedarf bis zu neun Personen Platz. Fährt man den Villager wie Daniel Erdbrink als Sechssitzer, bietet er nach Umlegen der hinteren Sitzbank eine Lade- oder auch Liegefläche, wie sie heute so manchem Kombi oder gar Motorhome gut zu Gesicht stünde.
Auch interessant:
Technische Daten des Edsel Villager
FORD EDSEL VILLAGER (Bj.: 1958): Technische Daten und Fakten |
Antrieb V8-Zylinder; vorn längs eingebaut; 2-Ventiler; eine unten liegende Nockenwelle, Stirnradantrieb; Gemischbildung: Vierfach-Vergaser; Bohrung x Hub: 102,87 x 88,90 mm; Hubraum: 5916 cm3; Verdichtung: 10,5:1; Leistung: 223 kW/303 PS bei 4600/min; maximales Drehmoment: 542 Nm bei 2900/min; Dreigang-Automatik; Teletouch-Schaltung; Hinterradantrieb |
Aufbau und Fahrwerk Selbsttragende Ganzstahlkarosserie mit Leiterrahmen und vier Türen; Radaufhängung vorn: Querlenker, Schraubenfedern; hinten: Starrachse, Blattfedern; v./h. Stoßdämpfer; Lenkung mit Servo; Bremsen: rundum Trommeln; Reifen: v./h.: 8.00-14; Stahlräder: v./h. 6 x 14 |
Eckdaten L/B/H: 5219/1959/1495 mm; Radstand: 2947 mm; Spurweite v./h.: 1498/1433 mm; Leer-/Gesamtgewicht: 1769/2550 kg; Tankinhalt: 76 l; Bauzeit: 1958; Stückzahl: 3272 (6- und 9-Sitzer); Preis (1958): 2955 US-Dollar |
Fahrleistungen1 Beschleunigung: 0 auf 100 km/h in ca. 11 s; Höchstgeschwindigkeit: ca. 190 km/h; Verbrauch: ca. 20 l/100 km |
1Werksangaben
Der 1958 nur 3272 Mal gebaute Edsel Villager zählt zu den wahrhaft seltenen Automobilen und begeistert mit außergewöhnlichem Design und geradezu gigantischem Raumangebot. Technische Expert:innen für ihn zu finden, fällt hierzulande aber mindestens ebenso so schwer wie seinerzeit für die Raumfahrtmission im Kinostreifen "Space Cowboys". Da der Edsel aber weitgehend auf Ford-Technik basiert, können die notwendigen Wartungsarbeiten im Grunde in jeder guten, auf US-Cars spezialisierten Werkstatt erledigt werden. Lediglich die Ersatzteillage stellt vor größere Aufgaben. Hier bleibt mitunter nur der Weg in die USA. Der Lohn aller Mühe: ein US-Car, das an Exklusivität kaum zu toppen ist.