Fahrbericht Aston Martin Vanquish Volante: Bilder und technische Daten Wundervolante
Dach auf, Motor an: Dieses Traum-Cabrio hebt den Genuss am offenen Fahren auf ein neues Level – mit elegantem Design, Komfort und Gänsehaut-Sound. Wenn es sein muss, sogar mit Fahrleistungen auf dem Niveau eines Supersportlers
Der Officer ist wieder verschwunden, das gelbe Geschoss auch. Der Puls hat sich beruhigt, das Zittern der Hände gelegt. Tief durchatmen. Hinter uns liegt ein wilder Ritt im neuen Neuer V12 Vantage S - die Naturgewalt. Was bisher geschah: Mit seinem kompromisslos sportlichen Wesen hatte der stärkste Vantage aller Zeiten uns gehörigen Respekt eingeflößt – und die Probefahrt auf den streng überwachten Sträßchen rund um Palm Springs in Kalifornien in eine süße Folter verwandelt. Weil wir zum Langsamfahren gezwungen waren. Und weil dann, als wir doch einmal das Pedal ganz durchgetreten hatten, prompt ein Hüter des Gesetzes unserem Freiheitsdrang ein jähes Ende setzte. Schwamm drüber.
Jetzt sind wir bereit für den nächsten Aston Martin. Vor uns steht der Vanquish Volante, also die offene Version des Super-GT aus Großbritannien. Ein Luxus-Gleiter mit elektrischem Verdeck, Aluminium-Chassis und sündteuren Karbon-Anbauteilen rundum. Auch er ist ganz neu. Auch er verfügt über den Sechsliter-V12 mit 573 PS. Aber sein Charakter ist ein völlig anderer im Vergleich zum V12 Vantage S. Das liegt zum Beispiel an seinem um 14 Zentimeter längeren Radstand. Und an seinem Getriebe. Statt der zackig arbeitenden Sportshift III, einer automatisierten Siebengang-Schaltbox, arbeitet im Vanquish eine Sechsstufen-Automatik namens Touchtronic II. Dazu später mehr.
Auch äußerlich vermittelt der Vanquish einen ganz anderen Eindruck als sein kleiner, böser Bruder. Ist es beim V12 Vantage S die geduckte Haltung eines Sprinters, die das Herz des Fahrers höher schlagen lässt, so ist es beim Vanquish diese lässige Eleganz der 2+2-Karosserie, die einem die Sprache verschlägt. Das eine Auto will man am liebsten sofort auf die Rennstrecke mitnehmen. Das andere traut man sich vor Ehrfurcht kaum zu bewegen. Letzteres gilt schon für das Coupé des Vanquish, aber mindestens in gleichem Maße auch für den Volante. Dabei hätte bei dem Versuch, einem so harmonisch gezeichneten Coupé wie dem Vanquish das Dach abzuschneiden, viel schiefgehen können. Im schlimmsten Fall hätte man dieses Traumauto seiner Seele beraubt, indem man die fließende Linienführung zwischen A-Säule und Heckspoiler zerstört – etwa durch den Stoffwulst eines dazwischen geparkten Verdecks.
Dezente Speedster-Optik und viel Platz für die Passagiere
Doch das Design-Team um Marek Reichmann hat seine Aufgabe souverän gemeistert. Der Volante kauert auch ohne Dach breit und wuchtig auf der Straße. In geschlossenem Zustand grenzt die Windschutzscheibe rahmenlos ans Dach, in geöffnetem verleihen die leicht herausragenden Lehnen der Rücksitze dem Auto eine dezente Speedster-Optik. Die Schulterlinie verläuft mit organischem Schwung zu den nicht zu breit ausgestellten Radhäusern. Krönender Abschluss ist und bleibt auch beim Volante der aerodynamisch angepasste Kofferraumdeckel, der in diesem Fall zudem unauffällig die dritte Bremsleuchte aufnimmt. Aston Martin zufolge vergehen zwei Tage Arbeit allein für die Herstellung dieses Anbauteils.
Der Wohnraum zwischen Frontscheibe und Rücksitzen hält, was das Äußere verspricht. Nicht weniger als fünf Lederarten in mehr als 30 Farben sowie 40 verschiedene Garne stehen zur Wahl, um sich wunschgemäß einzurichten. Die liebevolle Art, mit der die Briten sich jeder Stepppolsterung und jeder Kontrastnaht widmen, ist einfach begeisternd. Überflüssig zu erwähnen, dass es sich auf derart aufwändig geformten Sitzen sehr bequem sitzt. Dabei genießt man vorn großzügige Platzverhältnisse für Beine, Arme und Kopf – selbst bei geschlossenem Verdeck. Viel Komfort also für einen Sportwagen.
Dann ist der Moment gekommen, die Hand wandert Richtung Mittelkonsole. Dort sitzt, wie bei Aston Martin üblich, das Loch für den durchsichtigen Zündschlüssel. Ein kurzes Drücken mit dem Zeigefinger, und der Motor meldet sich mit einem selbstverordneten Gasstoß lautstark zum Dienst. Wer jetzt glaubt, ein kleiner Tritt auf das rechte Pedal würde genügen, um sich gen Horizont zu katapultieren, irrt allerdings. Der V12 will erst einmal auf Touren kommen. Unter 4000 Umdrehungen passiert wenig. Dann allerdings kommt der Vanquish gewaltig. Das Verblüffendste daran ist vielleicht, dass die an sich spektakulären Fahrleistungen – 4,1 Sekunden auf Tempo 100, Spitze 295 km/h – sich relativ unspektakulär anfühlen. Vom betörend schönen Klang aus dem Auspuff einmal abgesehen. Der Vanquish fährt sich, wie er aussieht: lässig, elegant, mit der Ruhe des Überlegenen. Wilde Hatz oder gar prollige Kraftmeierei dagegen sind ihm fremd. Verantwortlich für diesen Charakter ist maßgeblich die Automatik. Sie ermöglicht fließende Gangwechsel, verbittet sich aber unnötige Hektik im Umgang mit den Schaltwippen. Gleiten statt Rasen ist die Devise. Die Sporteinstellung des adaptiven Fahrwerks kann man sich deshalb sparen. So genießt man bei geöffnetem Dach das Leben und lauscht dem Klangteppich des lustvoll wummernden V12. Kraft wäre im Überfluss vorhanden, wenn man sie wirklich bräuchte. Aber wozu eigentlich?
Liebevoll designter offener GT. Mehr Reise- als Sportwagen, mit Top-Fahrleistungen trotz behäbiger Automatik.
Gerrit Reichel