"Bordbuch": Die AUTO ZEITUNG-Kolumne
Autofreie Innenstadt? Hier kommen meine sieben Forderungen!
Ob kurios, nachdenklich oder einfach nur erzählenswert: Im "Bordbuch", der AUTO ZEITUNG-Kolumne, thematisiert die Redaktion Erlebnisse aus dem Alltag. Heute: Alexander Koch über autofreie Innenstädte.
"Ich erinnere mich noch gut: Vor wenigen Jahren waren wir in Den Haag. Als Touristen. Ein kurzer Blick ins Internet verriet schnell, wo Park-and-Ride-Parkplätze zu finden sind. Mit nahegelegener Straßenbahnhaltestelle und für einen Gesamtpreis von fünf Euro sind wir zu zweit in die Innenstadt und zurück gefahren. Die Fahrt in die City war schnell, die Straßenbahn sauber und alles einfach wie günstig. Es sind wieder einmal die europäischen Nachbarländer, die schonungslos aufdecken, woran es bei uns in Deutschland hapert. Meine Heimatstadt Bonn ist dafür ein negatives Paradebeispiel: Die grüne Oberbürgermeisterin plant eine weitestgehend autofreie Innenstadt. Statt aber attraktive Alternativen anzubieten, wie den freiwilligen Wechsel auf den Öffentlichen Nahverkehr schmackhaft machen, haut die Verbotskeule zu. Eine Straße nach der anderen wird verkehrsberuhigt – ohne Rücksicht auf die ohnehin schon schwierige Verkehrslage der Stadt. Konsequenzen? Tragen nur die Berufstätigen, die in die Stadt müssen und in stundenlangen Staus stehen – ungeachtet der Tatsache, dass längst nicht alle Lebensmodelle und ÖPNV-Anbindungen es erlauben, das Auto stehenzulassen. Autofreie Innenstädte sind ein durchaus hehres Ziel, wie ich finde. Es gehört aber zur Wahrheit dazu, dass Geld in die Hand genommen werden muss, um dieses Ziel erreichen zu können. Hier kommen meine sieben Forderungen:
Ringförmig um die Innenstädte müssen P+R-Parkplätze entstehen, die für Menschen aus der Stadt wie aus dem Umfeld problemlos erreichbar sind. Dazu gehören ausreichend große Zufahrtsstraßen, um eine problemlose An- und Abfahrt zu gewährleisten.
Wie in den Niederlanden braucht es attraktive Kombi-Tarife fürs Parken und für die Nutzung des ÖPNV, die es auch für Tagestourist:innen attraktiv machen, das Auto vor den Toren der Stadt stehen zu lassen.
P+R-Plätze samt Tarifen müssen analog wie digital auf Anhieb und problemlos zu finden sein. Es braucht Schilder an allen Einfallsstraßen zur Stadt, sogar schon an den Autobahnabfahrten, die den Weg zu den Parkplätzen und Haltestellen leiten.
Das 9-Euro-Ticket macht es vor: Die Menschen sind doch bereit, den ÖPNV zu nutzen. Es braucht auch nach dieser politischen Einmalaktion ein bezahlbares Abonnement, das in Relation zum Gebotenen steht. Drei Euro für einen verspäteten, dreckigen und überfüllten Bus oder Zug für eine Strecke von wenigen Minuten sind nur auf dem Papier eine Alternative zum Auto.
Es muss Geld für die Infrastruktur in die Hand genommen werden: Behindertengerechte Auf- und Abgänge zu U-, S- und sonstigen Bahnen sind ein Muss, saubere Toiletten und gut ausgeleuchtete Haltestellen ebenso. Ein funktionierendes WLAN-Netz in allen Fahrzeugen und an allen Stationen ist eine Selbstverständlichkeit.
Es braucht begründbare Sondergenehmigungen: Nicht jede:r kann auf das Auto verzichten, sei es aufgrund von Krankheiten, Behinderungen oder aufgrund einer beruflichen Tätigkeit, die eine hohe Flexibilität einfordert. Ein Pastor beispielsweise muss jederzeit schnell und ohne Umschweife zur letzten Ölung fahren können, um nur ein Beispiel zu nennen.
Nicht zuletzt muss sich die Kommunikation verändern: Autofreie Innenstädte können nur mit dem Willen der Autofahrer:innen umgesetzt werden. Sie müssen in die Vorhaben und in den Dialog mit einbezogen werden. Vor allem aber braucht es Toleranz: Die Moralkeule, von wem auch immer, hilft niemandem weiter."
Haben auch Sie auch Vorstellungen, wie eine autofreie Innenstadt in Zukunft funktionieren und aussehen kann? Schreiben Sie an alexander.koch@autozeitung.de Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
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