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Citroën SM: Classic Cars Manifest der Moderne

AUTO ZEITUNG
Inhalt
  1. Classic Car im Portrait: Citroen SM
  2. Citroen SM mit Maserati-Motor
  3. Auto Zeitung testet den Citroen SM 1973

Vor über 40 Jahren, zu einer Zeit, in der sich Fortschritt mit Riesenschritten vollzog, präsentierte Citroën mit dem SM die französische Interpretation eines Gran Turismo! Das Classic Car im Portrait!

Es war erst gut sechs Monate her, dass erstmals ein Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt hatte. Rund ein Jahr zuvor hatte die Concorde ihren Erstflug absolviert, um später Passagiere mit Überschallgeschwindigkeit über den Atlantik zu transportieren. Der futurisch anmutende Flughafen Paris Charles de Gaulle – im Volksspott "Beton Camembert" genannt – befand sich gerade im Bau. Allgegenwärtiger Zukunftsglaube, der das Streben nach Superlativen in jenen Jahren zum Mantra erhob und auch vor dem Automobilbau nicht haltmachte.

Auf dem Genfer Salon 1970 präsentierten die Franzosen nach vierjähriger Entwicklungszeit den Citroën SM, einen französischen Gran Turismo als eine Art Manifest der Moderne, der die Fachwelt aufhorchen ließ. Klassische Gran Turismo-Merkmale – lange Motorhaube, eine Auslegung als 2+2 Sitzer, kurzes Heck – verschmolz Designer Robert Opron mit einer citroënesken Interpretation des Themas: Die breite Front mit Scheinwerfern samt Kurvenlicht und Nummernschild hinter einer gläsernen Abdeckung, eine großzügig verglaste Heckklappe und die sich nach hinten verjüngende Karosserie samt verkleideter Radhäuser galten als Tribut an die Aerodynamik (cW-Wert: damals sensationelle 0,30) und gebaren ein ausgesprochen eigenständiges Coupé für den solventen Herrenfahrer mit frankophilem Einschlag – Champs Élysées statt Elbchaussee.

 

Classic Car im Portrait: Citroen SM

Immerhin 31.000 Mark kostete der SM zur Markteinführung und damit knapp 400 Mark mehr als ein zeitgenössisches Mercedes 280 SE 3.5 Coupé. Antriebsseitig proftierten die Franzosen von der 1968 erfolgten Mehrheitsbeteiligung an Maserati. Und so erhielt Chefingenieur Giulio Alfieri den Auftrag, einen 90-Grad-V6 für den SM zu konstruieren, was höchstwahrscheinlich auch zur Typenbezeichnung SM führte (Citroën "Serie Maserati"). Fans hingegen interpretierten das Typenkürzel auf ihre Art: als Sa Majesté (frz.: Ihre Majestät). Das 2,7 Liter große, später auf drei Liter Hubraum aufgebohrte Aggregat, das ab 1973 im Maserati Merak zum Einsatz kommen sollte, leistete zwischen 154 und 180 PS, wurde anfangs von drei Doppelvergasern, ab 1972 von einer Einspritzanlage gefüttert und trieb den futuristischen Franzosen – je nach Version – bis auf 228 km/h.

Damit stieß der SM in Geschwindigkeitsregionen vor, in denen sich Porsche 911 und Co. tummelten, und gehörte damit lange Zeit zu den schnellsten Fronttrieblern der Welt. Grund genug für eine Rückfahrt ins SM-Zeitalter. Hierzu wecken wir einen SM von 1974 aus dem Museumsschlaf des Conservatoire Citroen. Befeuert werden "Ihre Majestät" von einem 175 PS starken 2,7-Liter-Einspritzer-V6, der die Kraft über ein Fünfganggetriebe auf die Vorderräder entlässt. Eine Borg-Warner-Automatik kam nur bei der 3,0-Liter-Version ab 1974 zum Einsatz. Hatte uns der Himmel über dem südfranzösischen Aiguines am Vorabend noch mit einem Wolkenbruch empfangen, ganz so als vergösse er Tränen der Rührung angesichts der bevorstehenden Wiederkehr des aus dem Straßenbild längst verschwundenen SM, lichten sich am Folgetag alsbald die letzten Regenwolken und schaffen Platz für eine durch und durch französische Erfahrung rund um den Lac de St. Croix.

 

Citroen SM mit Maserati-Motor

Ähnlich kräftig wie das Seewasser leuchtet das Interieur: Polster und Teppiche, irgendwo zwischen Orange und Braun changierend, verlangen den an die gedeckten Farben der Gegenwart gewohnten Augen allerdings einiges ab. Ungewöhnlich auch die Montage des Radios: Der elektronische Unterhalter ist in die Mittelkonsole eingelassen – rechts neben der auf die Vorderräder wirkenden Handbremse auf Höhe des rechten Fahrer-Ellenbogens. Der Dreh am Zündschlüssel weckt den Einspritzer sprotzelnd zum Leben. Die große, rote Kontrolllampe im Armaturenbrett, die vor dem Verlust von Hydraulikflüssigkeit warnt, verlischt nach wenigen Augenblicken. Einige kurze, röhrende Gasstöße stabilisieren den Leerlauf und den Eindruck, dass es nie ein französisches Auto gab, das italienischer klang – Musik aus Maseratis Heimat Modena.

Es dauert einige Sekunden, bis die Hydropneumatik die Karosserie in den Fahrzustand angehoben hat. Ein geradezu meditativer Moment als Vorbereitung auf das Fahrerlebnis. Mit leicht rauem Timbre setzt sich der SM in Bewegung, nimmt Fahrt auf. Seine Schaltung verlangt bedächtige Bedienung. Sportives Anreißen ist nicht seine Sache, eher nachdrückliches Beschleunigen, wenn auch erst bei höheren Drehzahlen. Die sehr direkte Lenkung verlangt wohl dosierte Lenkwinkel, beim Loslassen kehrt sie umgehend in Neutralstellung zurück. DIRAVI (DIrection assistée à RAppel asserVI, frei übersetzt: Servolenkung mit automatischer Rückstellung) heißt die Erfindung der Citroen-Ingenieure, mit der bei Bedarf schnelle Ausweichmanöver erleichtert werden sollen.

Eine andere markentypische Eigenheit ist die druckgesteuerte Bremse. Dabei nimmt die Verzögerung mit dem Pedaldruck zu statt wie allgemein üblich mit dem Pedalweg. Die daraus resultierende schwierige Dosierbarkeit lässt Ungeübte anfangs schnell schwarze Streifen auf den Asphalt radieren. Bei schneller Kurvenfahrt neigt sich der SM ebenso beträchtlich zur Seite wie die Insassen in den plüschigen Sitzen. Straßenbauliche Fehler empfinden Ihre Majestät als Beleidigung – diese werden von der diensteifrigen hydropneumatischen Federung vor den Reisenden nahezu völlig verheimlicht. Alsbald war ob dieser Fahreigenschaften die Rede vom "fliegenden Sofa", das seiner Bestimmung am ehesten auf langen, aber entspannenden Autobahnetappen gerecht wurde.

 

Auto Zeitung testet den Citroen SM 1973

Vor diesem Hintergrund treten auch die Fahrleistungen etwas zurück. Der Vollständigkeit halber seien sie hier trotzdem genannt: 1973 vermeldete ein Test eben jener SM-Version in der AUTO ZEITUNG für die Beschleunigung von null auf 100 km/h respektable 9,8 Sekunden, gelobt wurde das Sprintvermögen vor allem in hohen Geschwindigkeitsbereichen. Die Spitze wurde mit 225 km/h gemessen. Der ermittelte Testverbrauch von 16,6 Litern lag gut einen bis anderthalb Liter unter dem eines BMW 3.0 CSI oder eines Fiat 130 Coupé. Unabhängig davon zeigt der graue Automobilalltag, dass sich der SM aufgrund der Nonchalance seiner Konstruktion auch als Diva gebärden kann.

So sollten SM-Fahrer ein großes Herz mitbringen statt engstirnig auf Solidität und Zuverlässigkeit zu bestehen. Der Motor besitzt eine verschleißfreudige Steuerkette und braucht nicht nur Öl, sondern auch kundige Hände für die Wartung. So lässt sich die Steuerkette nur bei ausgebautem Motor wechseln, und für den Austausch der Kupplung müssen Motor und Getriebe raus! All das vertrug sich seinerzeit selten mit der Pflegementalität mancher Besitzer – mit teils desaströsen Folgen. Hässliche Kratzer auf dem fortschrittlichen Image des Citroën-Flaggschiffs folgten.

Hinzu kam, dass die Ölkrise nicht nur zu Tempolimits führte, sondern dass PS-starke Autos in Frankreich ins Fadenkreuz der Kritiker rückten – so wurde dem schnellen französischen Gleiter der Asphalt unter den Rädern entzogen. 1975 endete die Produktion nach nur 12.920 Exemplaren, von denen 1.773 nach Deutschland gelangten. "Von der Geschwindigkeit geboren, ist der SM zusammen mit ihr gestorben", verkündete Citroën in einem Communiqué im Sommer 1975. So endete die Geschichte des einzigen Gran Turismo von Citroën mit ebenso großer Geste wie sein Leben begann.

ANTRIEB: V6-Benziner, vorn längs; vier obenliegende Nockenwellen, 2-Ventiler; Bohrung/Hub: 87 mm x, 75 mm, Hubraum: 2670 cm3, 175 PS/129 kW b. 5750 /min; max. Drehmoment 219 Nm b. 4000 /min; Benzineinspritzung; Vorderradantr.; Getriebe: Fünfgang, manuell
AUFBAU + FAHRWERK: selbsttragende, zweitürige Stahlblech-Karosserie mit Heckklappe; vorn: Querlenker, Stabilisator;
hinten: Längslenker, Stabilisator; v./h.: hydropneumatische Federung; v./h.: Scheibenbremsen; Bereifung: 205/70 VR 15 auf 6 x 15
ECKDATEN: L/B/H: 4913/1836/1324 mm; Radstand: 2950 mm; Leergewicht: 1480 kg; 0 auf 100 km/h in 9,8 Sekunden; Höchstgeschwindigkeit: 225 km/h; Testverbrauch: 16,6 Liter Normal pro 100 km; Preis: (1974) 37.963 Mark

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