Ratgeber: Fahrwerks-Nachfertigung Auf Kurs gebracht
Was tun, wenn Federn und Dämpfer am Ende sind und es keinen Ersatz mehr gibt? Die Lösung: Nachfertigung. Bei H&R testeten wir, wie das geht. Ratgeber
DAS PROJEKT
Das Auto: Ford Taunus, letzte Serie, Baujahr 1982, mit V6-Motor und zwei Litern Hubraum. Klingt nach einer leichten Aufgabe? Denkste!
Das Problem: Starkes Eintauchen beim Bremsen, Nachwippen und gefährliches Verhalten auf nasser oder welliger Fahrbahn
Das Ziel: Neue Federn und Dämpfer für neue Fahrsicherheit, etwas straffere Abstimmung für Sicherheitsreserven in Kurven
Früher oder später steht jeder Oldtimer- oder Youngtimer-Fahrer vor diesem Problem: Die Stoßdämpfer sind ausgeschlagen, Federn über Jahrzehnte „weich“ gefahren oder gar gebrochen. Glücklich kann sich schätzen, wer einen Klassiker besitzt, für den es noch Originalteile für das Fahrwerk gibt – oder zumindest passenden und qualitativ guten Ersatz.
Doch bei vielen durchaus auch jüngere Oldtimern sieht es mit der Ersatzteillage düster aus. „Kein Problem“, sagt Fahrwerksspezialist H&R aus Lennestadt. Die Sauerländer können laut eigener Aussage für jedes Fahrwerk Spiralfedern und Teleskopstoßdämpfern nach Muster nachfertigen.
Das wollten wir testen und starteten einen großen Aufruf auf der Facebook-Seite der AUTO ZEITUNG Classic Cars. Gesucht wurden Fahrzeuge, für die Originalkomponenten gar nicht mehr oder nur noch sehr schwer erhältlich sind.
TEILESUCHE FÜR FORD TAUNUS SCHWIERIG
Unter den vielen Einsendungen stachen uns zwei ins Auge: Zum einen Dirk Bierbaum mit seiner Alfetta GTV, die ausschließlich bei Youngtimer-Rennveranstaltungen eingesetzt wird und Probleme mit der Hinterachse hatte, und Wolfgang Wand, der keine Teile mehr für seinen Ford Taunus von 1982 bekommen kann.
Die Kölner Familiensänfte benehme sich abenteuerlich, so der Eigner. Beim Bremsen tauche der Wagen tief ein. Nässe oder welliger Untergrund animierten die Hinterachse zu gelegentlichen Ausflügen. Außerdem kommt ihm sein Wagen viel zu weich vor.
Er schaukelt in alle Richtungen und wippt nach jedem härteren Fahrbahnstoß zwei, drei Mal nach – ein eindeutiger Hinweis auf komplett verschlissene Stoßdämpfer. Bei H&R geht die Modell-Dokumentation zwar erst mit dem Ford Sierra los, doch für den Leiter der Fahrwerksentwicklung von H&R, Walter Wirtz, ist das kein Grund, den Wagen nicht anzunehmen:
„Solange wir ein Muster haben, ist eine Nachfertigung kein Problem. Oft passen schon Federn aus unserem Sortiment. Ist das nicht der Fall, können wir sie auf eigenen Maschinen anfertigen. Und Dämpfer füllen wir auch selbst. Das sollte also kein Problem werden.“
Wir verabreden zwei Termine: Einen für die Vermessung des Originalfahrwerks mit allen Komponenten und einen zweiten etwa ein bis zwei Wochen später für den Umbau des Fahrwerks.
Wolfgang Wands Taunus rollt in die Halle. Schon da wird klar: Für diesen alten Ford lohnt jeder Aufwand. Zwar ist auch dieses Exemplar des letztgebauten Taunus nicht gänzlich frei von Rost, doch die wenigen Stellen, die der Wagen aufweist, sollen schon demnächst beseitigt werden. Der weitere Allgemeinzustand des viertürigen Ford ist gut bis sehr gut.
KLASSE FORD TAUNUS, MALADES FAHRWERK
Wenn nur das Fahrwerk nicht wäre. Walter Wirtz und sein Team schreiten zur Vermessung. Mit Sandsäcken und Einzelradwaagen werden die Einfederwege ermittelt. Bei voller Beladung beträgt der Einfederweg vorn 91 Millimeter und hinten 103 Millimeter.
Es bleibt ein Restfederweg von 67 Millimetern. Der Ausfederweg liegt vorn wie hinten bei rund 100 Millimetern. Das heißt: Der Taunus kann um rund 20 Zentimeter auf- und niederfahren. Die Bodenfreiheit beträgt 155 Millimeter.
Durch den größeren Einfederweg hinten reckt der Taunus die Nase hoch in den Wind. Ein Umstand, der den Besitzer Wolfgang Wand stört: „Etwas tiefer vorn wäre schön.“ Walter Wirtz wiegt den Kopf hin und her: „50 Millimeter – mehr sollten es nicht sein.“
Damit bliebe der Taunus immer noch sehr gut fahrbar. Die Federrate würde angepasst: Vorn eine Erhöhung um 50 Prozent, hinten um 33 Prozent. In Verbindung mit Gasdruckdämpfern bewirkt das eine wesentlich straffere Auslegungdes Fahrwerks, was der Gesamtkonstruktion zu Gute kommen würde.
Denn Ford gab seinem Mittelklasse-Bestsellerein recht biederes Fahrwerk mit auf den Weg. Die bereits erwähnte Starrachse hinten und die doppelten Dreiecklenker vorn waren 1982 kaum mehr auf der Höhe der Zeit.
Und gerade eine Starrachse braucht eine feste „Hand“, die sie führt. Der Besitzer trägt vorab mit bei zum Gelingen: Bereits zum Begutachtungstermin erscheint er mit frischen Polyurethanbuchsen für die Vorderachse. Eine gute Basis.
DER TAUNUS MAG KEINE STANDARD-WARE
Bei der Begutachtung des Fahrwerks stellt sich heraus, dass sämtliche Komponenten neu angefertigt werden müssen. Aus dem H&R-Standardprogramm passt leider nichts. So war das zwar nicht geplant, aber kein Problem.
Die Federn werden neu gewickelt, gehärtet, geschliffen, geprüft und pulverbeschichtet, die Gasdruckdämpfer befüllt und mit den richtigen Aufnahmen versehen. Vorn ist am Taunus-Fahrwerk konstruktiv keine Höhenverstellung möglich.
Hier kommen exakt nach Vorgabe gefertigte härtere Federn zum Einsatz. Hinten ist eine Angleichung aber leicht realisierbar. Bei H&R finden sich im Programm die richtigen Aluminium-Federsitze mit selbsthemmenden Gewinden, um eine Gesamtabsenkung von rund 40 Millimetern zu erreichen.
Ein Besonderheit hält die Hinterachse noch bereit: Die Feder ist an der Zugstrebe auf etwa halbem Weg zwischen Rad und Anlenkpunkt der Zugstrebe an der Karosserie untergebracht. Jede Änderung geht also mit einem Faktor in die Rechnung ein, denn die Feder liegt nicht auf einer Ebene mit dem Rad.
Beim Einbautermin zeigt sich, dass die Experten richtig gerechnet haben. Der Ford liegt unbeladen vorn etwa 45 Millimeter tiefer als zuvor. Hinten entscheidet man sich für 15 Millimeter Absenkung – was wieder geändert werden kann.
Schon der erste prüfende Druck auf den Kotflügel nach dem Einbau lässt den Taunus-Besitzer staunen: Der Wagen federt nicht mehr „metertief ein“, sondern zuckt nur kurz. Es folgt eine erste Fahrprobe über kleine Sträßchen im Sauerland.
Alle sind positiv überrascht: Der Taunus hat „nun endlich ein Fahrwerk“ – so Wolfgang Wand. Bei dem leichten Regen und den feuchten Straßen an diesem Tag kann man gut das Kurvenverhalten prüfen. Kehren, die vorher mit allergrößter Vorsicht angegangen werden mussten, passiert der alte Ford recht souverän.
Und auch lange Bodenwellen, die vorher zu Seekrankheit führten, lassen den Taunus nun kalt. Starkes Bremsen quittiert er mit nur noch geringem Eintauchen. Dabei hat der Fahrkomfort nicht gelitten: Es bleiben ja auch immer noch beträchtliche Federwege – und auch die Restfederwege sind noch üppig dimensioniert.
25 Millimeter sind es vorn wie hinten bei 1,5-facher Beladung. Ein rundum vernünftiges Fahrwerk also, das den Endkunden bei H&R etwa 1800 Euro kosten würde. Im Rahmen unserer Facebook-Aktion war es für Taunus-Besitzer Wand aber kostenlos.
Bezugsquelle:
Die Firma H&R fertigt auch nach Muster komplette Fahrwerke für klassische Automobile nach
H&R Spezialfedern GmbH
Elsper Str. 36
57368 Lennestadt
Tel.: 02721 / 92600
www.h-r.com
Thomas Elbrigmann