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Geht auch ganz einfach:

Alpine Renault A110 1600 SC: Classic Cars Flacher, leichter, schneller

Mit dem kompromisslosen Sportgerät A110 verschob Alpine Renault in den Sechzigern die bis dahin geltenden Maßstäbe für Sportwagen. Fahrbericht

Der Steinbutt ist ein edler Plattfisch, der sich mit seinem flachen Körper perfekt auf den Meeresboden kauern kann. Seine Zähne sind messerscharf. Kleinere Fische, Krebse und Weichtiere sind für ihn leichte Beute. Er selbst gilt als Delikatesse. Fällt sein Name, läuft französischen Automobil-Enthusiasten das Wasser im Munde zusammen – allerdings aus einem anderen Grund.

Sie denken nämlich an die legendäre Alpine A110, Spitzname Turbot (frz. für Steinbutt). Auch sie kauert flach auf dem Boden. So flach, dass sie für ihre Feinde im Rückspiegel kaum zu erkennen ist. Auch sie besitzt einen sehr speziellen Körperbau, der im Wesentlichen aus einem dicken Stahlrohr besteht, auf das eine Glasfaserkarosserie aufgesetzt ist.

Anders als der Steinbutt gibt sie sich aber nicht mit kleinen Fischen ab. Eine A110 legt sich mit Vorliebe mit deutlich größeren, leistungsstärkeren und vor allem schwereren Kontrahenten an. Wer das nicht glaubt, braucht nur einen Blick in die Ranglisten der europäischen Rallyemeisterschaften zwischen 1968 und 1974 zu werfen. Oder er nimmt selbst einmal Platz in einer dieser französischen Flundern.

Der Ausdruck Platz nehmen trifft es dabei nur bedingt. Platz suchen schon eher. Wohin bloß mit den Beinen? Wie den Kopf einfädeln, das Gesäß? Ist die Turnübung gelungen und der Anschnallgurt geschlossen, taucht direkt das nächste Problem auf: Wie soll man bei dem Höllenlärm, den der Vierzylindermotor im Heck veranstaltet, einen klaren Kopf behalten? Das gilt erst recht, wenn die Straße kurvig ist und die Hinterachse der A110 lebendig wird.

Wobei nicht jede Alpine so wild ist wie ihr Ruf als lebensverkürzende Heckschleuder. Während das Positive an der Hinterachse früher Alpine der negative Sturz war, verfügten einige Modelle mit 1600er Motor ab 1973 bereits über die moderne Hinterachse der Nachfolgerin A310/4. Damit ließ es sich schon deutlich sicherer fahren.

Das Auto war plötzlich spurstabil und hatte einen spürbar besseren Geradeauslauf. Leider war mit dem schwereren, längeren und höheren 1,6-Liter-Motor aus dem Renault R16 auch die relativ ausgewogene Gewichtsverteilung von 40:60 dahin. Aber so war das eben mit der Alpine: Die Konstruktion des Autos unterlag während der gesamten Bauzeit von 1962 bis 1977 einer ständigen technischen Evolution. Manche Verbesserungen gingen mit Nachteilen an anderer Stelle einher.

Und alles spielte sich ab in einer Gemengelage mit Alpine-Chef Jean Redele auf der einen Seite, Renault auf der anderen und Motorenent wickler Amedee Gordini dazwischen. Während Redele mit seinen rennerprobten Technikern stets Verbesserungen im Sinn hatte und auf kompromisslose Sportlichkeit pochte, dachten die Manager von Renault über rationellere Fertigungsmöglichkeiten und größere Verkaufserlöse nach.

In dem Maße, in dem Renault an Einfluss bei Alpine gewann, wurde die A110 deshalb schwerer und zahmer. Das Ende stellte schließlich die auf 95 PS domestizierte Version SX dar. Sogar eine Einspritzvariante für den ausländischen Markt gab es.

 


ALPINE A110 SC: 8000 UMDREHUNGEN


In der A110 SC, die auf diesen Seiten zu sehen ist, dürfen sich dagegen noch quirlige 127 PS entfalten. Die sind allemal genug, um sich mit dem federleichten Geschoss auf mehr als Tempo 200 zu katapultieren, während der hochverdichtete Motor über die beiden Weber-Vergaser heiser ein- und durch ein lächerlich kurzes Abgasrohr schreiend wieder ausatmet.

Das Drehvermögen ist legendär, bei manchen Exemplaren nähert sich der Zeiger des Drehzahlmesser locker dem letzten Strich bei 8000. Optisch unterscheidet sich dieses Modell übrigens durch versenkte Druckknöpfe anstelle der konventionellen, aufgesetzten Türgriffe.

Kenner können zudem stundenlang fachsimpeln über die Anordnung von Blinkern, Zierleisten und Lüftungsgittern an einer A110, die sich an die Verfügbarkeit des Renault-Teileregals anpasste wie die Farbe eines Steinbutts an den ihn umgebenden Meeresboden. Auch der Innenraum der Alpine veränderte sich mit den Jahren. Bis 1970 zierten zwei große, weiß beschriftete Jaeger-Instrumente plus drei Zusatzanzeigen das Armaturenbrett.

Die späteren Veglia-Uhren haben grüne Ziffern und Zeiger. Eine Gemeinsamkeit, die alle A110 verbindet, stellen hingegen die angedeuteten Lufteinlässe seitlich vor der Hinterachse dar.

Sie waren einst tatsächlich offen, allerdings beim Vorgängermodell, der A108. Grund: Bei diesen war der Kühler noch in Fahrtrichtung vor dem Motor angebracht. Bei der A110 saß er hingegen zunächst hinter dem Motor, weshalb die Lufteinlässe nicht mehr gebraucht wurden. Später wanderte der Kühler sogar nach vorne, erkennbar an den großen Lufteinlässen unten in der Fahrzeugfront.

 

A110: HIERZULANDE EIN EXOT

In Deutschland gehörte die Alpine A110 immer zu den Exoten. Das lag einerseits am Perfektionismus, mit dem hierzulande Autos gebaut wurden.

Den Maßstäben an die Verarbeitung, wie sie etwa bei Porsche angelegt wurden, konnte die kleine Manufaktur in Dieppe nicht gerecht werden. Folglich reagierten die Tester der deutschen Fachpresse irritiert, als sie mit den schlecht schließenden Kunststofftüren der A110 konfrontiert wurden. Andererseits gab es die Alpine praktisch nicht zu kaufen.

Die wenigen Autos mit deutscher Zulassung waren vom Renault-Importeur per Einzelzulassungen durch den TÜV gebracht worden. Hätte man sich doch bloß damals eine dieser Delikatessen für rund 25.000 Mark reserviert. Gute A110 kosten heute mehr als 70.000 Euro.

 

ALPINE RENAULT A110 1600 SC (Bj.: 1973-75): Technische Daten und Fakten
Antrieb
R4-Zylinder; hinten längs eingebaut; 2-Ventiler; eine seitliche Nockenwelle, Kettenantrieb; Gemischbildung: zwei Doppelvergaser Weber 45 DCOE; Bohrung x Hub: 78,0 x 84,0 mm; Hubraum: 1605 cm3; Verdichtung: 10,25:1; Leistung: 93 kW/127 PS bei 6000/min; maximales Drehmoment: 142 Nm bei 4750/min; Fünfgang-Getriebe; Mittelschaltung; Hinterradantrieb
Aufbau und Fahrwerk
Fiberglaskarosserie auf Stahl-Zentralrohrrahmen mit zwei Türen; Radaufhängung vorn: Querlenker, Schraubenfedern, Stabilisator; hinten: Doppel-Dreiecklenker, Querlenker, Schraubenfedern; v./h. Teleskopstoßdämpfer; Zahnstangenlenkung; Bremsen: rundum Scheiben; Reifen: 165/13 HR; Alu-Räder: 6,5 x 13
Eckdaten
L/B/H: 3850/1450/1130 mm; Radstand: 2100 mm; Spurweite v./h.: 1315/1346 mm; Leergewicht : 800 kg; Tankinhalt: 50 l; Bauzeit: 1973 bis 75; Stückzahl: ca. 420 (A110 ges.: ca. 7500); Preis (1974): ca. 25.000 Mark
Fahrleistungen1
Beschleun.: 0 auf 100 km/h in ca. 8 s; Höchstgeschwindigkeit: 220 km/h; Verbrauch: ca. 10-12 l/100 km

1Werksangaben


MARKTLAGE

Zustand 2:  63.000 Euro
Zustand 3:  47.500 Euro
Zustand 4:  23.800 Euro
Wertentwicklung: leicht steigend
Definition der Zustandsnoten

Unser Fazit

Ist es die betörende, beinahe sündige Form? Oder die kompromisslose Auslegung als Sieger-Sportwagen für Wettbewerbe? Schwer zu sagen, was mehr fasziniert an diesem Auto. Spätestens, wenn man in ihm sitzt und unerschrocken aufs Gas tritt, ist man gefangen vom Mythos A110. Dann spürt man, dass Porsche mit dem 911 nicht immer das Maß der Dinge war, und hofft insgeheim, es käme einer zum Vernaschen vorbei. Am besten, man sucht eine 1300 S. Aber zum gelegentlichen Erschrecken der Nachbarschaft tut es auch eine späte 1600 SX.

Gerrit Reichel

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