Motorsport: Auto Union Silberpfeile Familiensilber
Auf diesem einmaligen Foto sieht man die größte Ansammlung von Auto Union-Silberpfeilen seit 1945. Wir spürten dem Mythos der Renner nach
Das Tafelsilber der Auto Union ruht unauffällig in einem weißen Sattelschlepper. Der Lastwagen mit dem bayerischen Kennzeichen parkt in der Boxengasse, und nichts deutet darauf hin, dass er gerade der vermutlich wertvollste Autotransporter der Welt ist. Der frühmorgendliche Verkehr rauscht vorbei, denn die Start- und Zielgerade der ehemaligen Grand-Prix-Piste von Reims ist heute nichts weiter als die Landstraße D27 nach Gueux in der Champagne.
Die Tribünen und Boxenanlagen bröckeln seit über 40 Jahren vor sich hin, und nur ein rühriger Verein sorgt dafür, dass die Anlagen nicht komplett verfallen. Als die Strecke abgesperrt ist und keine Clio, 207 und Kleintransporter mehr durch den zähen Nebel vorbeirauschen, werden die silbernen Preziosen nach und nach aus dem Lkw gerollt. Es sind fünf Autos – alles Silberpfeile –, die sich heute in der Obhut der Audi Tradition befinden. Der sechste ist in einem noch unscheinbareren Anhänger angereist. Er ist sonst im Automuseum des belgischen VW-Audi-Importeurs d’Ieteren zu finden.
Nun stehen sie aufgereiht da, ein Typ A, ein Typ C, ein Stromlinien-C, ein Typ C/D-Bergrennwagen und zwei Typ D. Im nordfranzösischen Morgennebel wirkt das glänzende Alu der Karosserien mattgrau, und es ist still geworden auf der jetzt einsamen französischen Landstraße.
Für acht Kilometer Strecke reichten zweieinhalb Minuten
Fast erwartet man, dass gleich die vier V16-Zylinder und zwei V12-Zylinder aufbrüllen, über die Kuppe und durch den nächsten Kreis-verkehr nach Gueux donnern, dann im Ort an der Metzgerei abbiegen, die Avenue de la Gare entlangfliegen, auf die Route Nationale 31 fahren und am Kreisverkehr an der Autobahn wieder auf die Zielgerade kommen – knapp acht Kilometer. Das dauerte beim letzten Grand Prix von Frankreich vor dem Krieg rund zweieinhalb Minuten.
Es wird nicht passieren. Der vermutlich größte Auflauf von Auto Union-Silberpfeilen seit 1945 hätte es verdient, dass man so ein Ereignis mit donnernden Motoren, Ölgeruch und heiß gefahrenen Reifen begeht. Doch es bleibt nur der Blick zurück, als die Farbe Silber die Rennstrecken dominierte. Bis zum Ausbruch des sinnlosen Krieges.
Was uns wieder nach Reims bringt und ins Jahr 1939, denn hier gewann Hans-Peter Müller im Auto Union Typ D Doppelkompressor am 9. Juli den GP von Frankreich. Die beiden folgenden Großen Preise von Deutschland und der Schweiz gingen an die Mercedes-Piloten Rudolf Caracciola und Hermann Lang. Das letzte Rennen, gern als letzter Grand Prix der Silberpfeil-Ära geführt, war ein bedeutungsloses Stadtrennen in Belgrad, gewonnen übrigens von Tazio Nuvolari auf Auto Union.
So weit sind wir jedoch noch nicht. Die Geschichte der Silberpfeile der Auto Union ist so abenteuerlich, sagenumwoben und verwickelt, dass hier ein paar Momentaufnahmen reichen müssen. Sie beginnt 1932 mit dem Zusammenschluss der vier durch die Weltwirtschaftskrise angeschlagenen Autohersteller Audi, DKW, Horch und Wanderer zur Auto Union. Und auch mit dem Beschluss der internationalen Automobilsportbehörde ACAIR, für die Saison 1934 eine neue Formel für Grand-Prix-Rennen aus-zuschreiben. Es war praktisch alles erlaubt, das Auto durfte nur nicht mehr als 750 Kilo wiegen – ohne Treibstoff, Öl, Kühlmittel, Reifen und Fahrer. Eine Spielwiese für Ingenieure.
Dem Publikum stockt der Atem, als der Typ A antrat
Mercedes und die Auto Union bauten – unterstützt von den neuen Machthabern in Berlin – Rennautos für die neue Grand-Prix-Formel. Die Auto Union-Führung beauftragte Ferdinand Porsche, der damals Inhaber eines Ingenieursbüros war, mit Entwicklung und Bau eines GP-Wagens. Das Rennauto, das beim Avus-Rennen in Berlin am 27. Mai 1934 seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte und später Typ A genannt wurde, verschlug Konkurrenz und Publikum den Atem: Der V16-Zylinder saß zwischen Fahrer und Hinterachse, er leistete mit einem Kompressor rund 300 PS und degradierte schon bei den ersten Trainingsrunden unter den Piloten Hans Stuck, August Momberger und Prinz Leiningen die Konkurrenz zu Statisten.
Zwar fielen Stuck und Leiningen aus und ein Alfa Romeo gewann, aber die Performance der silbernen Mittelmotor-Renner deutete an, dass Silber die dominierende Farbe im GP-Sport werden würde. Apropos Silber: Die Mercedes-Werksmannschaft trat eine Woche später zum Eifelrennen gegen die Auto Union an.
Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer sowie Pilot Manfred von Brauchitsch erzählten später gern die Story, wonach sie wegen eines Kilos zu viel die weiße Farbe von den Mercedes-Rennern kratzten und so die Silberpfeile erfanden. Die Legende gilt heute als widerlegt. Denn die Auto Union-Rennwagen waren bereits auf der Avus mit unlackiertem Alu unterwegs, und zeitgenössische Fotos zeigen, dass die Mercedes vor dem Renndebüt ebenfalls kein Weiß mehr trugen.
Der Mythos der Silberpfeile wirkt bis heute nach. Beim Goodwood Festival of Speed wurde der Mercedes W196 R von Juan Manuel Fangio aus dem Jahr 1954 für 31,6 Millionen US-Dollar versteigert. Audi hat bereits mehrfach alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ehemalige Werksrennwagen zu finden, zu sichern und so der Nachwelt zu erhalten, denn der Faszination dieser Rennmaschinen kann sich niemand entziehen, der einmal dem betörenden Klang der zwölf oder 16 Zylinder gelauscht hat. Bis heute verschlägt es einem den Atem.
SILBERPFEIL - TECHNIK | |
TYP A 1934 |
TYP D 1939 |
V16-Zylinder, Mittelmotor | V12-Zylinder, Mittelmotor |
Hubraum: 4360 cm3 | Hubraum: 2990 cm3 |
2 Ventile/Zylinder, eine obenliegende Nockenwelle | 2 Ventile/Zylinder, drei obenliegende Nockenwellen |
Roots-Kompressor | Roots-Doppelkompressor |
Ladedruck: 0,6 bar | Ladedruck: 0,9 bar |
295 Ps bei 4500 /min | 485 Ps bei 7000 /min |
Max. Drehmoment: 54 mkg (530 nm) bei 2700 /min | Max. Drehmoment: 56 mkg (550 nm) bei 4000 /min |
Leiterrahmen mit Alu-Karosserie | Leiterrahmen mit Alu-Karosserie |
vorn: Kurbellenker, Torsionsfedern, Reibungsdämpfer; hinten: Pendelachse, Querblattfeder, Reibungsdämpfer |
vorn: Kurbellenker, Torsionsfedern, Reibungsdämpfer; hinten: DeDionachse, Torsionsfedern, Reibungsdämpfer |
Rundum: Trommelbremsen | Rundum: Trommelbremsen |
L/B/H: 4500/1660/1160 mm | L/B/H: 4200/1660/1060 mm |
Radstand: 2800 mm | Radstand: 2850 mm |
Startgewicht: 1095 kg | Startgewicht: 1220 kg |
Höchstgeschw.: ca. 280 km/h | Höchstgeschw.: ca. 340 km/h |
Heinrich Lingner