Auto Klassiker: SIMCA Sturm und Drang
Simca stand einige Jahrzehnte lang für innovative und günstige Autos aus Frankreich. Im Strudel weltweiter Konzerne ging die Marke unter – und lebte doch weiter
Als Henry-Théodore Pigozzi 1934 die „Société Industrielle de Mécanique et de Carosserie Automobile“ – kurz SIMCA – in Nanterre bei Paris gründete, war das Ziel klar: Pigozzi wollte Fiat-Modelle in Lizenz bauen. Das war nicht besonders ambitioniert, nicht innovativ, aber es funktionierte und ermöglichte vielen Franzosen, Autofahrer zu werden. Besonders der Fiat Topolino als Simca Cinq und der Fiat 1100 als Simca Huit waren echte Verkaufserfolge. 1951 kam Simca dann mit einem ersten selbst entwickelten Wagen auf den Markt: Simca Aronde. Aronde ist das französische Wort für Schwalbe. Von diesem Modell an zierte der kleine Vogel das Logo der Marke. Der moderselbsttragende Karosserie, Einzelradaufhängung vorn und einen recht spritzigen Motor mit 1221 cm³ und 45 PS. Der spätere „Rush“-Motor mit fünffach gelagerter Kurbelwelle brachte es aus 1,3 Liter Hubraum gar auf bis zu 70 PS. Von den Typen Aronde 9, Aronde 1300 und Aronde P60 wurden zwischen 1951 und 1963 etwa 1,4 Millionen Stück gebaut, aber nur wenige fanden den Weg nach Deutschland. Simca war bis dahin eine eher typisch französische Marke – und doch ein weltweit vernetztes Unternehmen.
CHRYSLERS STILLE ÜBERNAHME
1954 hatte Simca ein unrentables Ford-Werk bei Poissy, ebenfalls in der Nähe von Paris, übernommen und konsequent ausgebaut – 15 Prozent der Simca-Aktien gaben die Unternehmensbosse damals an Ford. Schon 1961 wurde Poissy zum neuen Stammwerk. Das Werk in Nanterre verkaufte man an Citroën. 1959 ging auch der französische Hersteller Talbot an Simca. Alles lief wie am Schnürchen, doch was die Simca-Chefs nicht ahnten: Die Amerikaner hatten sehr eigene Pläne mit der französischen Firma. 1958 verkaufte Ford sein Simca-Aktienpaket an Chrysler. Dies hatte zunächst keine Auswirkungen. Der lang erwartete Simca 1000, ein kantiger Kleinwagen mit Heckmotor, etwa vergleichbar mit dem deutschen NSU Prinz 1000 und dem 1200, debütierte 1961. Die Rallye-Versionen des Simca 1000 waren bis zu 170 km/h schnell und besonders bei jüngeren Autofahrern begehrt.
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Ein echter Meilenstein im Automobilbau folgte 1967 mit dem Simca 1100 mit Frontantrieb. Die Schräghecklimousine mit der großen Heckklappe verkörperte – wie der Renault 16 in der Mittelklasse oder der Renault 4 im Kleinwagensegment – das Knowhow französischen Autobaus. Der 1100 war bequem, innen riesig, sehr variabel, gut motorisiert und eigenständig im Design. Leider rostete er schon im Prospekt, sodass trotz der hohen Stückzahl von weit über 2,2 Millionen und der Vielfalt der Modelle bis hin zum ersten SUV, dem wegweisenden Matra Rancho (der auf dem Simca 1100 basierte), heute kaum noch 1100er zu finden sind. Bis 1981 blieb der Dauerläufer im Programm. Zuletzt wurde er nur noch als Kombi und Pritschenwagen gebaut.
Der 1100 erlebte den traurigen Niedergang seiner Schöpfer mit. Eigentlich hätte alles so schön sein können: Durch das Werk in Poissy hatte man beste Möglichkeiten zur Motorenfertigung, Simca hatte sich zudem einen Namen gemacht mit schnittigen Coupés wie dem 1200 S, mit Kleinwagen, Mittelklasseautos, Nutzfahrzeugen und wunderschönen Modellstudien für die eleganten Salons in Genf oder Mailand. Doch wie ein Damoklesschwert schwebte Chrysler über dem Werk.
EIN BRITE AUS FRANKREICH
Bis 1970 hatten die Amerikaner 99 Prozent der Simca-Aktien in ihren Besitz gebracht. Schon seit den frühen 60er-Jahren regierten die Herren aus Detroit, verlegten die Aronde-Produktion nach Adelaide in Australien, zwangen den Franzosen die Produktion von Chrysler Simca 160 und 180 auf, einem Mitteklassewagen, der weltweit in vielen Derivaten hergestellt wurde und überhaupt nicht zu Simca passte. Er war eigentlich eine Entwicklung der Rootes-Gruppe aus England gewesen, die ebenfalls an Chrysler gefallen war, und lief dort als Humber Hawk vom Band. Doch es gab auch weiterhin eigenständige Chrysler-Modelle wie den 1300 bzw. 1500, der 1963 auf den Markt kam. Diese Limousine und der Kombi waren äußerlich dem 1100 ähnlich, jedoch länger und mit Standardantrieb ausgerüstet: also längs verbautem Frontmotor mit Hinterradantrieb. 1975 löste der Chrysler Simca 1307 dieses Modell ab. Der 1307 brach komplett mit der Formensprache des Vorgängers. Die Sachlichkeit der 70er-Jahre kennzeichnet das Schrägheck-Auto, das das Ende von Simca markierte. 1978 zog sich Chrysler aus Europa zurück und verkaufte Simca an Citroën und Peugeot.
Unter der neuen Führung lebte die Marke Talbot wieder auf. Simca ließ man sang- und klanglos sterben. Der 1307 wurde weiterentwickelt zum Talbot Solara. Neben ihm gab es im Talbot-Programm den Tagora – noch unter Chrysler von Rootes entwickelt –, den Kleinwagen Samba, der weitgehend baugleich mit dem Citroën LN und Peugeot 104 Z war, sowie den Kompaktwagen Horizon. Gedacht war er als 1100-Nachfolger und startete nach dem endgültigen Wegfall der Marke Talbot 1985 eine erstaunliche zweite Karriere als Plymouth Horizon und Dodge Omni in den USA – interessanterweise mit VW-Motor. Dort wurde die Produktion erst 1990 eingestellt.
Thorsten Elbrigmann
AUTO ZEITUNG