Auto-Historie: NSU – Vom Fahrrad bis zum Ro 80 Volksbewegung
Mit sportlichen Kleinwagen sorgte der einstige Motorradhersteller NSU für die Mobilität einer jungen Kundschaft
Die 60er-Jahre markierten eine Zeit des Umbruchs in der Bundesrepublik: Der Wiederaufbau nach dem Krieg war abgeschlossen, das gesellschaftliche Klima wandelte sich. Die Haare wurden länger, die Röcke kürzer – und die Musik der Beatles und der Rolling Stones lieferte den Soundtrack einer Jugend, die zum ersten Mal auch eine zahlungskräftige Käuferschicht darstellte. Und genau diese junge Klientel lockte NSU an, als die Neckarsulmer 1965 auf Basis ihres Erfolgsmodells Prinz ein Auto präsentierten, das sportlich, schnell und bezahlbar war: Der NSU TT sorgte vor der Eisdiele ebenso für Furore wie auf der Rennstrecke. Mehr als zehn Jahre vor dem VW Golf GTI war dieser Kleinwagen mit Heckmotor der erste echte Volkssportler auf deutschen Straßen.
ERFOLG IM SPORT, ERFOLG IM MARKT
Mit Massenmobilität und Sport kannten sich die Verantwortlichen bei NSU aus. Knapp 80 Jahre zuvor hatten sie schon einmal eine Generation von jungen Deutschen mobil gemacht. Zwar wurde die Firma 1873 zur Herstellung vom Strickmaschinen gegründet, doch die Inhaber setzten bald auf einen neuen, boomenden Markt: Fahrräder. Die Firma stieg im Deutschen Reich schnell zum Marktführer für Zweiräder auf. 1892 erhielt sie ihren endgültigen Namen NSU – die drei Buchstaben standen für die Heimatstadt Neckarsulm.
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Doch die Menschen waren es bald leid, selbst in die Pedale treten zu müssen. So entschloss sich NSU 1901 zu einem mutigen Schritt und stellte das erste „Neckarsulmer Motorrad“ mit einem 1,25 PS starken Einzylinder-Viertaktmotor vor. Um die in Deutschland noch weitgehend unbekannten Motorräder populär zu machen, setzte NSU von Beginn an auf Rekordfahrten und Motorradrennen. Bis in die 50er-Jahre hinein holten die Neckarsulmer zahlreiche Grand-Prix-Siege und WM-Titel auf zwei Rädern. Die Bekanntheit der Marke stieg: 1955 war NSU der größte Zweiradhersteller der Welt, über 344.000 Fahrzeuge verließen in jenem Jahr die Werkshallen. Kurz darauf brach der Markt für Motorräder ein. Der vom Wirtschaftswunder verwöhnte Deutsche wollte sich auf seinem Zweirad nicht mehr Wind und Wetter aussetzen und sparte auf ein eigenes Auto.
Um die Käufer zu halten, musste NSU den Sprung zum Automobil wagen. Bereits zum zweiten Mal: Schon von 1906 bis 1929 hatte die Firma im benachbarten Heilbronn Autos und Lastwagen gebaut. Doch die Verkaufszahlen waren mäßig – trotz öffentlichkeitswirksamer Rennerfolge auch im Automobilsport. Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise war Schluss – das Werk in Heilbronn wurde an Fiat verkauft.
Ende der 50er-Jahre wollten es die Verantwortlichen bei NSU besser machen. Im Herbst 1957 präsentierten sie den NSU Prinz: Die nur 3,20 Meter lange Karosserie lehnte sich an das Design größerer Limousinen an und gefiel auf Anhieb. Unter der Heckklappe konnte der kleine Adlige seine Herkunft vom Motorrad aber nicht verleugnen: Der luftgekühlte Zweizylinder-Viertakter ähnelte den Zweirad-Motoren. Aus 583 cm3 Hubraum holte er 20 PS. Damit gehörte der Prinz zu den sportlichen Kleinwagen seiner Zeit. Zwei Jahre später erschien eine stärkere Variante, die bei unverändertem Hubraum 30 PS leistete und den NSU auf Tempo 120 beschleunigte. „Fahre Prinz und du bist König“ versprach die Werbung. Von der ersten Generation verkaufte NSU rund 95.000 Exemplare.
Der Nachfolger – Prinz 4 genannt – wurde ab 1961 zum Erfolgsmodell: Mehr als 620.000 Stück liefen bis 1973 vom Band. Mit dem größeren Prinz 1000 debütierte auf der IAA 1963 jenes Auto, das auch die Basis für die sportlichen TT- und TTS-Versionen lieferte. Deren Leistung reichte in der Serie von 55 bis 70 PS – bei 680 Kilogramm Leergewicht. Kein Wunder, dass NSU mit diesen Modellen bald auch die Rennstrecken eroberte. Gleichzeitig bereiteten die Techniker in Neckarsulm eine Revolution im Motorenbau vor: 1964 begann die Produktion des NSU Wankel Spider, des ersten Serienfahrzeugs mit Kreiskolbenmotor. Das von Felix Wankel erfundene Triebwerk war flach, drehfreudig und dabei laufruhig. 2386 Exemplare des Cabrios liefen vom Band.
PROBLEMATISCHES PROJEKT Ro 80
Doch nach diesem Versuchsballon sollte der spektakuläre neue Antrieb nicht allein Imageträger bleiben: Die Schwaben wollten sich mit einem Wankel-getriebenen Auto in der Mittelklasse positionieren. 1967 feierte die NSU Ro 80 genannte Neuentwicklung ihr Debüt. Und neben der Neckarsulmer Prinzen-Garde mit ihren luftgekühlten Heckmotoren wirkte die frontgetriebene Limousine aus der Feder von Designer Claus Luthe regelrecht futuristisch. Zu einem Verkaufserfolg entwickelte sich der NSU jedoch nicht: Anfängliche Probleme mit dem Zweischeiben-Wankeltriebwerk sorgten bald für einen angeknacksten Ruf. Immerhin wurde der Ro 80 bis 1977 gebaut – doch da war NSU längst keine eigenständige Marke mehr. 1969 hatten sich die Schwaben mit Audi zur „Audi NSU Auto Union AG“ zusammengeschlossen – allein waren sie nicht mehr zukunftsfähig. Jetzt gehörten sie damit zum Volkswagen-Konzern. Und die letzte eigenständige NSU-Entwicklung K70 kam 1970 als erster VW mit Frontantrieb und wassergekühltem Motor auf den Markt. Die Marke NSU verschwand mit dem Produktionsstopp des Ro 80, 1985 wurde schließlich auch der Firmenname in Audi AG geändert. Geblieben ist aber das legendäre Kürzel TT, das heute bei Audi für ausgeprägt sportliche Autos steht.
Markus Bach/Dieter Serowy
AUTO ZEITUNG