Offenes Strandvergnügen im VW Jolly
Dieser Käfer ist mehr als nur ein Einzelstück
Aus einem kargen Mobilitäts-Grundversorgungs-Automobil einen lebenslustigen Hallodri für sonniges Strandleben ableiten? Der Volkswagen Jolly bewies in den 1960er-Jahren, dass das funktioniert. Wir drehen mit dem Einzelstück eine Runde auf Sylt.
Peng! Mit dumpfem Knall fliegt rechts vorn schon wieder das Zeltstangengestell aus der Halterung. Mit brutalen 60 km/h schlingert der Käfer Jolly über die Küstenstraße hier oben am Sylter Ellbogen, und es ist nicht nur der Wind, der bei dieser waghalsigen Fahrt fauchend in den Baumwollbaldachin fährt: Eine steife Brise aus Nordwest saugt an dem kleinen, beigen Zeltdach, das mit seinem geknüpften Troddelsaum ein wenig wirkt wie aus dem Wohnzimmer von Oma Erna abgestaubt. Zu viel Wind jedenfalls für das dünne Gestänge, wir schaffen es mit einem schnellen Griff gerade noch, den entwischenden Schattenspender von seiner munter flatternden Reise nach Dänemark abzuhalten. Die linke Hand führt das kaum fingerdicke Lenkrad, mit der rechten Hand werden die losen Gestängeenden wieder ineinander gesteckt. Geschafft! Jetzt aber schnell beide Hände ans Steuer, denn die Pendelachse hinten tut in diesem lebensfroh dahin holpernden Käfer genau das, was ihr Name vorgibt: Sie lässt den VW Jolly pendeln wie einen Schafschwanz.
In den Salzwiesen zur Rechten blökende Wollknäuel schauen dem dahin schlingernden Gefährt erstaunt hinterher, selbst der Gesichtsausdruck fassungsloser Wandernder in den Dünen links gleicht fatal dem der Vierbeiner von der anderen Straßenseite. Sylt ist ja so einiges an automobilen Extravaganzen gewöhnt, aber ein kernig röhrendes Sonnendach mit Häkelkante und mintgrünem Unterbau schockiert die Sommerfrischler:innen nun doch sichtlich.
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Volkswagen Jolly mit fest eingebauter Sommerferien-Stimmung
Dabei gehört der in pastelligem Pistazieneiscreme-Grün lackierte Kapp-Dach-Käfer ganz bestimmt zur wirklich freundlichsten Autosorte, die man sich überhaupt nur vorstellen kann: Offenherzig und gänzlich aggressionsfrei schippert der VW Jolly unbekümmert über Deutschlands nördlichste Insel – als rollender Strandkorb, mobile Camping-Liege, Metall-gewordene Urlaubsstimmung. Der nur 25 PS (18 kW) starke 1,2-l-Boxer schnattert beflissen gegen den Fahrtwind an, und trotzdem ertappt man sich immer wieder bei der vergnüglichen Fantasie, auf dem Rückweg nach Westerland einfach die Stoffmarkise hochzuklappen und sich als Segelboot auf Rädern dahintreiben zu lassen – hart am Wind und auf diese Weise womöglich viel schneller als benzingetrieben. Das kleine Ding heißt ja nicht umsonst "Jolly", sozusagen eine Mischung aus "Jolle" und "Lolli" – allein der Name lässt einen breit grinsen. Zumindest bis einem die Lefzen in der steifen Nordseebrise flattern und man dann lieber wieder den Mund zumacht…
Dass sich der Jolly eher diffus fährt und man ständig mit einem Abflug des Baldachins rechnen muss, stört allerdings überhaupt nicht. Fahrdynamik ist schließlich nicht das große Sehnsuchtsthema des Jolly. Aus dem Stand auf 100 km/h "sprintet" er recht flott – und damit wäre dann auch schon seine theoretische Höchstgeschwindigkeit erreicht, die allerdings nur mit abgenommenem Sonnendach zu schaffen ist. Es sei denn, man klappt das Ding hoch und – Sie wissen schon...
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Der Jolly erfrischt durch seine simple Art
Ach, Sie haben das ernst gemeint mit dem Abnehmen der Markise? Gar nicht wegen der Vmax, sondern der Frischluft-Max? Kein Problem, das geht herrlich einfach: Klapphaken öffnen, Gestänge auseinanderziehen, Stoff zusammenrollen – und ab mit dem ganzen Rohr-Stoff-Paket unter die hintere Korbsitzbank. Auch die kann man, wie die Vordersitze, mit einem Handgriff nach vorn klappen, völlig simpel. Während man so andächtig mit Stoff und Stangen wurschtelt, wird man wieder daran erinnert, wie sehr moderne Autos jene Frische und Unschuld verloren haben, die früher zur Serienausstattung gehörte – auch wenn man sie damals vielleicht überhaupt nicht zu schätzen wusste, sondern sich nach mehr Komfort und weniger Mühe sehnte.
Aber leider wird dieser Segeltörn nur eine frivole Fantasie bleiben – die natürlich viel über den Charakter des VW Jolly erzählt. Am Steuer des kopflosen Käfer rutscht man über glatte Korbsessel, die keinerlei Seitenhalt bieten, der Wind pfeift mit Macht durchs maximal offene Interieur, die Zeltplane über dem Kopf knattert mit dem laut röhrenden Boxer um die Wette. Bevor uns nun gleich wieder irgendein Unfug durch den Kopf geht, denken wir lieber kurz an die Entstehungsgeschichte des sommerlichen Charmeurs: Anfang der 60er-Jahre ließ sich Volkswagen vom Fiat 500 Jolly inspirieren. Ghia hatte bereits 1954 auf Basis des Renault 4CV das erste Konzept eines Strandautos entwickelt und wurde 1957 von Fiat-Chef Gianni Agnelli zu einer davon abgeleiteten Konstruktion auf Basis des Nuova 500 angefeuert, der damals auf den Markt kam.
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Als Einzelstück blieb dem Jolly der große Erfolg verwehrt
Agnelli wollte ein kleines Spaßauto für die Industriellen-Sommerfrische, das an Deck der Agnelli-Yacht "Agneta" transportieren werden konnte. Das Auto sollte also klein und leicht genug für gelegentliche Landgänge sein, es sollte aber auch genug Leistung für gelegentliche längere Fahrten auf der Straße haben. Dem Volkswagen-Ableger sollte freilich keine derartige Jetset-Karriere vergönnt sein – als Einzelstück blieb er beinahe unter dem Radar der Automobilgeschichte. Heute zelebriert man einen VW Jolly mit Schmetterlingen im Bauch – ein paar Meter vom Ferienhaus runter zum Strand reichen völlig, um jenen schwerelosen Zustand zu erreichen, den man "Gute Laune" nennt: Picknickkorb im Fußraum, nette Leute dabei, die Welt duftet nach Sonnencreme und Meer, zwischen den Fußzehen grieselt der Sand. Weil es eben Sommer ist.
Technische Daten des VW Jolly
AUTO ZEITUNG 22/2014 | VW 1200 Jolly |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 4/2 |
Hubraum | 1131 cm³ |
Leistung | 18 kW/25 PS |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 67 Nm 2000/min |
Getriebe/Antrieb | 4-Gang-Getriebe/Hinterrad |
L/B/H | 4070/1540/1510 mm |
Leergewicht | 640 kg |
Bauzeit | 1960 |
Stückzahl | 1 |
Beschleunigung null auf 100 km/h | ca. 55 s |
Höchstgeschwindigkeit | 100 km/h |
Verbrauch auf 100 km | k.A. |
Grundpreis (Jahr) | unverkäufl. Einzelstück |